"Die Sterne" in München:In der Stadt der Reichen

Hamburger Schule auf Station in München: Die Sterne begeistern mit ihrer alten Hymne "Was hat Dich bloß so ruiniert". Und am Ende wird das Konzert zu einer kleinen Protestaktion gegen das Rauchverbot.

Kathrin Haimerl

Ihre Sterne im November? fragt eine Münchner Boulevardzeitung in fetten Lettern: Gut! Zumindest am ersten Tag des neuen Monats. Schließlich funkeln Die Sterne aus Hamburg im 59:1. Allein das ist etwas Besonderes: Bekennende Hamburger in München. Doch irgendwie haben sie sich mit dem kleinen Club in der Sonnenstraße auch ein Stück Heimat gesucht, denn nirgendwo sonst gibt es in München einen Konzertraum, der genauso auch in Hamburg existieren könnte: Ein kleiner, abgeschrammelter Raum, der es durchaus mit dem legendären Pudel-Club an der Elbe aufnehmen könnte.

Die Sterne

Neue Hamburger Schule: Die Sterne möbeln den typischen Klang nun um - mit Diskoanleihen.

(Foto: www.diesterne.de)

Nach Tocotronic und Jochen Distelmeyer geben nun mit den Sternen weitere, bundesweit bekannte Vertreter der Hamburger Schule ein Konzert in der bayerischen Landeshauptstadt. Fehlen eigentlich nur noch Tomte und Kante, dann wären in diesem Herbst die wichtigsten Vertreter alle da gewesen. Sänger Frank Spilker und seine Band bringen Münchner und Exil-Hamburger zum Tanzen. Am Ende lässt der Riese Spilker das Konzert zu einer kleinen, aber feinen Protestaktion gegen das strikte Rauchverbot im Freistaat werden.

Die Sterne sind längst erwachsen. Es gibt sie nun bereits seit 18 Jahren. Mit ihrer neuen Platte 24/7 versuchen sie einen Spagat zwischen fein ironisiertem Elektropop und dem berühmten Sound der Hamburger Schule: Ein schmutziger Gitarrensound also mit oft tiefgehenden Texten. Die Sterne möbeln den typischen Klang nun um - mit Diskoanleihen. Und sie machen das gut. Sehr gut. Es ist, wenn man so mag, die neue Hamburger Schule.

Es folgen weitere Lieder über Konsumkritik und Weltverzweiflung, wie "Aber Andererseits": "Ich bin am Ende, es geht mir schlecht, aber obwohl ....." Eine besonders hübsche Variation ist ihr sehr elektronisches Stück "Depressionen aus der Hölle" mit folgenden Refrain: "Wohin zur Hölle mit den Depressionen? Ich gehe in die Disko. Ich will das wohnen." Oder etwa "Life in Quiz" und seinem ebenfalls sehr eingängigen Refrain: "Sprich mit meiner Hand."

Die Sterne lassen die sehr entspannte Hymne "Fick das System" folgen, danach kommen "Deine Pläne" ("Du solltest meine sehen") und "Big in Berlin". Das Publikum geht mit. Selbstverständlich auch bei "Wahr ist, was wahr ist" mit der wunderbaren Zeile: "Ich bin fest entschlossen, diesen Ort zu verlassen, die Fesseln zu sprengen und alles zu hassen, was ich hier geliebt habe und was nicht. Es tut mir leid - inklusive Dich. Wahr ist, was wahr ist, dass das, was war, nicht mehr da ist." Schließlich wird es kombattant-resignativ mit "Ich könnte den ganzen Tag nur schreien, aber nein, da hilft nichts auf der Welt, wenn dir St. Pauli auf den Geist fällt."

"Was hat Dich bloß so ruiniert?"

Nach fast zwei Jahrzehnten auf der Bühne sind die Sterne etabliert, und manchmal auch situiert, aber doch niemals festgefahren. Die Zeit ist nicht spurlos an ihnen vorübergegangen. Wäre ja auch schrecklich. Aber besonders deutlich wird das durch den Kontrast mit der sehr, sehr jungen österreichischen Vorband Bilderbuch. Die Jungs machen zwar sehr viel dreckigeren Garagenrock, haben allerdings längst nicht so tiefe Augenringe wie der Sterne-Schlagzeuger.

Den Überbau des Konzertes aber bildet eins ihrer besten und ihr berühmtestes Lied: "Was hat Dich bloß so ruiniert?" Es ist ein Motto. Für die Fans, für die Gruppe. Und der Text ist nach wie vor genial, er trifft den Nerv des Publikums. Am Rande der Bühne steht ein Fan in Trainingsjacke, der die Hymne mit geschlossenen Augen mitsingt: "Warst Du nicht fett und rosig? Warst Du nicht glücklich? Bis auf die Beschwerlichkeiten. Mit den anderen Kindern streiten, mit Papa und Mama. Wo fing es an und wann? Was hat dich irritiert? Was dich bloß so ruiniert? ... Was hat Dich bloß, was hat Dich bloß, was hat Dich bloß so ruiniert?"

Nach all den Depressionen, der Niedergeschlagenheit, die immerhin mit Diskoklängen aufgelockert werden, gibt es zum Abschluss endlich mal Aufhellung: "Die Stadt der Reichen" wird zur glitzernden Demonstration gegen das Rauchverbot. Spilker fordert seine rauchenden Fans auf, dies doch bitte auf der Bühne zu tun. Und das lassen die sich nicht zweimal sagen. Die Fans also als Teil der Bühnenperformance, um Spilker tummeln sich Dutzende Frauen und Männer, kleine Rauchwölkchen steigen auf.

Und dann gibt es einen Gesangsbattle zwischen den Rauchern auf der Bühne und den Nichtrauchern davor. "Es liegen tausend Leichen", singen Spilker und seine Raucher auf der Bühne. "In der Stadt der Reichen", antwortet der Rest im Club. Und so lassen die Sterne noch eine Weile ihre Fans die Liedformeln mitsingen, bis alle an diesem Abend wie in Trance glücklich grinsen. Dann verabschiedet sich Spilker mit folgendem Satz: "Ein großartiger Abend bei Euch - in der Stadt der Reichen."

Anderthalb Sternstunden und ein Hauch von Hamburg in der Münchner Sonnenstraße.

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