Die Grünen im Landkreis München:Blühende Landschaft

Anton Hofreiter Grönlandreise

Es ist erschreckend zu sehen, wie ganz frischer, blanker Fels sichtbar wird", sagt der Fraktionschef der Grünen im Bundestag, Anton Hofreiter, über seinen Besuch in Grönland.

(Foto: dpa)

Während die Bundespartei in Umfragen bei sieben Prozent dümpelt, strotzen die Grünen im Landkreis vor Selbstvertrauen. Das liegt an der sozialen Struktur im Münchner Umland - und der Energie der Mitglieder

Von Martin Mühlfenzl

Katrin Göring-Eckardt und Cem Özdemir würde ein Besuch bei Claudia Köhler im Unterhachinger Kräutergarten nicht schaden. Dort könnten die beiden Spitzenkandidaten der Grünen für die Bundestagswahl - nicht nur sprichwörtlich - die eigenen Wurzeln erkunden. Denn was könnte grüner sein als ein Bio-Garten für die Bürger mitten in einer immer urbaner werdenden Region? "Hier kann jeder einfach anpacken und ganz real erleben, was die Natur so hergibt", sagt die grüne Gemeinderätin Köhler - und spannt den Bogen zur großen Politik: "Vielleicht sollte sich auch Cem mal wieder mehr mit wirklich grünen Themen beschäftigen."

Wer die Grünen im Landkreis hautnah erlebt, hat es mit einer äußerst selbstbewussten und vor Kraft strotzenden Partei zu tun. Weit mehr als 400 Mitglieder engagieren sich mittlerweile in den Ortsverbänden von Unterschleißheim über Unterhaching, Ottobrunn bis Pullach. In der Isartalgemeinde hat mit Susanna Tausendfreund sogar eine grüne Rathauschefin das Sagen - erstmals überhaupt im Landkreis München.

Die Umfragen? "Spaßig ist das nicht."

Susanna Tausendfreund, neben Anton Hofreiter die Ikone der Partei im Landkreis, kann - angesprochen auf die Umfragewerte der Partei in den Sonntagsfragen - einen Seufzer nicht unterdrücken: "Nein, spaßig ist das nicht", sagt Pullachs Bürgermeisterin. "Wir wünschen uns sicher andere Zahlen, auch wenn es nur Umfragen sind." Werte von zuletzt konstant sieben bis acht Prozent sind definitiv nicht das, was sich die Mitglieder im Landkreis erhoffen - und sie lassen einige daran zweifeln, ob die inhaltliche Ausrichtung des Spitzenduos Göring-Eckardt/Özdemir bei den Bürgern ankommt, oder überhaupt wahrgenommen wird.

Mit Blick auf das Ansehen im Landkreis München sind Zweifel dieser Art eher nicht angebracht. Sagenhafte 16 Prozent holte die Partei bei der Kreistagswahl im Jahr 2016. "Die könnten auf Bundesebene sicher noch was von uns lernen", sagt ein hochrangiger Grüner. Mit 16 Prozent im Rücken redet es sich freilich leicht.

München, Hofbräuhaus, 35 Jahre Grüne,

Pullachs Bürgermeisterin Susanna Tausendfreund ist die Ikone der Grünen im Landkreis.

(Foto: Angelika Bardehle)

Was aber machen die Grünen im Landkreis so viel besser als die Sieben-Prozent-Wahlkämpfer in Berlin? Liegt es tatsächlich an der Arbeit und Präsenz der Mitglieder in den 29 Städten und Gemeinden? Oder ist der prosperierende, unglaublich wohlhabende Landkreis nur ein Gebiet mit besonders guter Ausgangsbasis?

Wer erleben will, wie die Grünen hier ticken, muss nur an einer ihrer Kreisversammlungen im Eine-Welt-Haus in München teilnehmen. Am besten dann, wenn ihr prominentestes Gesicht - Anton Hofreiter - auch da ist. Während bei anderen Parteien zu Besuchen prominenter Vertreter das Protokoll bierernst eingehalten wird, erinnern die Veranstaltungen der Grünen eher an lustige Schulausflüge. Es wird viel gelacht, die Diskussionen laufen sehr offen ab und auch dem "Toni" macht es nichts aus, wenn er bei seinen Berichten aus Berlin von Parteifreunden unterbrochen wird.

Hofreiter auf 40 000 Jahre altem Eis

Unterhaching, KWA-Wohnstift, Claudia Köhler von den Grünen hat dem Küchenchef Quint eine Asylantin vermittelt,

Claudia Köhler aus Unterhaching bringt Flüchtlinge in Ausbildung.

(Foto: Angelika Bardehle)

Beim nächsten Treffen wird Hofreiter seinen Parteifreunden erstens vom Bundesparteitag an diesem Wochenende in Berlin und zweitens von einer besonderen Reise erzählen können: Vergangene Woche war der Sauerlacher in der Arktis, in Grönland. "Da haben mich Forscher an eine Stelle geführt, da stand ich auf 40 000 Jahre altem Eis", sagt Hofreiter. "Und das schmilzt. Das ist einfach nur krass."

Hofreiter ist auch deshalb so beliebt in seinem Heimat-Kreisverband, weil er wie kein anderer leidenschaftlich an die urgrünen Themen herangeht - vor allem den Klimawandel und die Landwirtschaft. Seine grünen Parteifreunde eifern ihm auf kommunaler Ebene in diesem Punkt nach - und das mit spürbarem Erfolg.

"Und die Themen liegen ja wirklich auf der Straße", sagt die Unterhachingerin Claudia Köhler. "Der Verkehrskollaps, die Infrastruktur im öffentlichen Nahverkehr, die Trinkwasser- und Energieversorgung, die ökologische Landwirtschaft, Lebensmittel aus der Region." Wer sich mit diesen Bereichen beschäftige, sagt die Gemeinderätin, und nach Lösungen suche, der erreiche die Bürger auch direkt.

"Deshalb mache ich in Unterhaching auch keine Veranstaltung zur Türkeipolitik", sagt Köhler. "Sondern ich mache eine zum Trinkwasser. Dann ist die Bude voll." Tausendfreund unterstützt Köhler bei der inhaltlichen Ausrichtung: "Die Menschen in unserer Region beschäftigt die Mobilität, sie kümmern sich um Freiflächen, Naturschutzgebiete. All das sind grüne Themen - und wir kümmern uns auch darum."

Natürlich, sagt Tausendfreund, sei der Landkreis aufgrund seiner sozialen Struktur für ihre Partei ein "sehr gutes Pflaster". In Regionen, wo sich Menschen Sorgen um die Miete oder den Arbeitsplatz machen müssten, "rauschen die grünen Themen nach unten", sagt Pullachs Bürgermeisterin. "Hier im Landkreis ist die Aufgeschlossenheit sehr viel größer. Natürlich profitieren wir davon." Hofreiter sagt, in den Regionen um große Städte sei die Bereitschaft der Menschen, sich zu engagieren, deutlich größer als andernorts - auch in Parteien, vor allem bei den Grünen.

Im Kreis jagt ein Antrag den nächsten

"Und dann kommt dazu, dass es regional sehr viel einfacher ist, Themen zu setzen. Die Bürger merken sofort, wenn etwas auf den Weg gebracht wird", sagt Hofreiter. "Und im Landkreis München machen das bei uns auch super Leute, sonst würde es nicht so gut funktionieren."

Die prägenden Gesichter der Grünen sind - neben Hofreiter und Tausendfreund - vor allem der Chef der Kreistagsfraktion, Christoph Nadler, und sein Kreistagskollege Markus Büchler. Sie haben in den vergangenen Monaten vor allem bei der Neuauflage der Energievision, die nun "29++" heißt, sowie beim Aufbau eines Radschnellweg-Netzes Erfolge feiern können. "Wir können wirklich froh sein, dass Christoph mittlerweile Rentner ist", sagt Susanna Tausendfreund - und lacht. "Denn nur so kann er auch so viel Energie in seine Arbeit stecken." Und tatsächlich jagt ein Antrag Nadlers im Kreistag den nächsten. Damit ist den Grünen im Landkreis nicht nur die Aufmerksamkeit ihrer Kreistagskollegen sicher.

Positive Aufmerksamkeit, die den Grünen auf Bundesebene derzeit abgeht. Susanna Tausendfreund sagt, die mauen Umfragewerte hätten mit den handelnden Personen zu tun. "Es wäre so wichtig, dass die grünen Themen, die wir seit Jahren zurecht vertreten, mit charismatischen Personen verbunden werden", sagt Pullachs Rathauschefin. "Katrin Göring-Eckardt und Cem Özdemir machen einen guten Job, aber sie bringen diese Themen nicht so rüber." Claudia Köhler hat die Hoffnung, dass die Umfragewerte wieder steigen, "wenn wir uns auf unseren Ursprung besinnen und nicht locker lassen".

Sie selbst ist in dieser Hinsicht Vorreiterin. Köhler gehört zu denjenigen, die nicht nur reden, sondern gewaltig anpacken - nicht nur im Kräutergarten. Mehr als hundert Flüchtlinge hat die Unterhachingerin mittlerweile in Arbeit oder Ausbildung gebracht. Sie hat um diese Aufgabe nicht gebeten - aber sie hat sie angenommen. Viele Parteifreunde und Helfer erkundigen sich bei Köhler, wie sie Schutzsuchenden in ihren Kommunen auf ähnliche Art und Weise helfen können.

Zum Erfolg der Grünen im Landkreis gehören zweifellos Menschen wie Claudia Köhler - und ein mahnender Hofreiter im nicht mehr ganz so ewigen Eis.

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