Deutsch-Französische Beziehungen:Vor der Belastungsprobe

Trikolore vor dem Eifelturm

Die Stichwahl in Frankreich um das Amt des Staatspräsidenten wird in den Gemeinden im Landkreis, die Partnerschaften zu Orten im Nachbarland unterhalten, besonders aufmerksam verfolgt.

(Foto: dpa)

In den französischen Partnerstädten und den hiesigen Freundschafts-Komitees blicken die Menschen mit Spannung auf die Stichwahl am Sonntag. Sie hoffen, dass unter dem Ausgang nicht die Beziehungen leiden

Von Christina Hertel und Bernhard Lohr

Die einen recken den Daumen in die Höhe. Die anderen weinen. Das Ergebnis der ersten Runde der Präsidentschaftswahl in Frankreich hat die Menschen in Pauillac aufgewühlt. Mehr als 33 Prozent der Wähler in der Partnerstadt Pullachs stimmten vor zwei Wochen für Marine Le Pen, die Chefin und Kandidatin des Front National, nur knapp 19 Prozent erreichte ihr europafreundlicher, wirtschaftsliberaler Kontrahent Emmanuel Macron. Als Bürgermeister Florent Fatin das Ergebnis auf seiner Facebook-Seite postete, zeigte sich an den Kommentaren, wie gespalten die Menschen in dem im Médoc am Atlantik gelegenen Ort sind, aus dem die besten Weine der Welt kommen. Pauillac steht für Frankreich - für ein Land am Scheidepunkt.

Wer mit Menschen, die sich in Deutschland und Frankreich in Partnerschaftsvereinen engagieren, über die am Sonntag bevorstehende Stichwahl spricht, bekommt ein Bild davon. Eine Frau aus dem südfranzösischen Mougins, das mit Aschheim enge Verbindungen pflegt, äußert sich tief frustriert über die Verhältnisse: "Nein, Frankreich vibriert nicht mehr. Der Glanz ist weg", sagt sie. "Individualismus, zu viele Politiker, die nur vom System profitieren, ihre fünf Jahre absitzen und danach ausgesorgt haben." Die Frau aus dem Umkreis des Partnerschaftsvereins, die namentlich nicht genannt werden will, sagt noch, es sei bitter zu sehen, wie einfache Leute betrogen und jede Initiative, etwas zu verändern, zerstört werde. Weder Macron noch Le Pen würden ihre Stimme bekommen. Sie liebe Mougins. Aber: "Je suis profondément dégoûtée!" - "Ich bin zutiefst empört!"

Derart verbittert sind offenbar viele im Süden und im Westen des Landes, wo Le Pen überdurchschnittlich viele Stimmen holte. Pauillac hat mit Florent Fatin einen jungen, konservativen Bürgermeister, der vor der Wahl der Rechtsnationalistin warnt. Er tut es aus Erfahrung. Schon vor Jahren feierte der Front National in seiner Gemeinde Erfolge. Rudolf Sieghart vom Partnerschaftskomitee in Pullach verwundert das gar nicht so sehr. Die großen, renommierten Weingüter seien in der Hand großer Konzerne und Versicherungen, sagt er. Die Arbeiter konkurrierten bei den wenigen Jobs, etwa in der Weinlese, mit Billiglohnkräften aus Nordafrika. Viele sähen sich als Verlierer. Vor Jahren habe man in Pullach versucht, eine Wirtschaftspartnerschaft auf die Beine zu stellen. Doch in Pauillac fehlten die Anknüpfungspunkte, es gebe kaum Betriebe. Die Bevölkerungszahl sinke, viele zögen mangels Perspektiven weg.

Chateau Pichon Longueville Medoc Pauillac Aquitaine France Europe PUBLICATIONxINxGERxSUIxAUTxON

Ein Bild von Frankreich wie gemalt: Doch die Weinlese in Pauillac, der Partnerstadt Pullachs, ist harte Arbeit für relativ wenig Lohn. Um die Jobs konkurrieren die Bewohner des Ortes mit Arbeitern aus Nordafrika, während die Güter oft Großkonzernen gehören.

(Foto: Michael Busselle/Imago Stock&People)

Kommende Woche wird Sieghart wieder nach Pauillac fahren. Er hofft, mit der Partnerschaft wenigstens im Kleinen etwas bewegen zu können - hin zu einem gemeinsamen Europa, zu Zusammenarbeit und Völkerverständigung. Er blickt mit Sorge nach Frankreich und fragt sich, in was für ein Land er am 12. Mai reisen wird. "Ich hoffe, dass Macron gewinnt."

Etwas Gutes haben die Wahl und diese aufwühlenden Zeiten aber doch. Man spürt, wie tief die Freundschaft zwischen den Partnergemeinden hier im Landkreis und in Frankreich ist. Denn egal, ob der Sieg am Ende an Le Pen oder Macron geht, die Menschen scheinen sich sicher zu sein: Es ändert an der Partnerschaft nichts. Selbst dort nicht, wo der Front National stark ist - wie in Chéroy, einer Gemeinde mit nicht einmal 2000 Einwohnern. Im ersten Wahlgang kam Le Pen hier auf fast 38 Prozent und Macron nicht einmal ganz auf zwölf. "Die politische Ausrichtung spielt für uns keine Rolle", sagt Katharina Schuster, die in Höhenkirchen für die Partnerschaft zuständig ist. Und auch Marie-Caroline Taillat, die französische Präsidentin des Komitees, sagt: "Es wird sich nichts ändern - die Leute in dem Verein sind sowieso proeuropäisch." Sie befürchtet nur, dass am Ende viele nicht zur Wahl gehen, weil sie weder Le Pen noch Macron als neuen Präsidenten wollen.

Für die Partnerschaften zu deutschen Gemeinden sei das aber nicht wichtig. Die nächsten Kommunalwahlen sind erst in drei Jahren. "Unsere Ansprechpartner bleiben erst einmal die gleichen", sagt Reiner Höcherl, der sich um die Partnerschaft zwischen Neubiberg und Ablon-sur-Seine kümmert. Mit der Wahl beschäftigt er sich nicht aus Sicht des Vereinsvorsitzenden, sondern einfach so - als politisch interessierter Mensch. Auch wenn sich die wirtschaftlichen Beziehungen zwischen Frankreich und Deutschland verschlechtern sollten, auch wenn sich die Staatsoberhäupter vielleicht nicht mehr so gut verstehen, bliebe das aus seiner Sicht ohne Folgen für die Vereine. Was aber, wenn eine Präsidentin Le Pen ihre Ankündigung wahr macht und Frankreich aus der Europäischen Union austritt?

Edith Fischof möchte sich das gar nicht vorstellen. Sie sei eine Französin mit bayerischen Wurzeln, sagt sie. Noch lieber hätte sie einen europäischen Pass. Doch dass sie den einmal bekommt, glaubt die Rentnerin inzwischen nicht mehr. Zu negativ sei die Stimmung gerade, zu laut seien die Nationalisten. Fischof wanderte vor etwa 40 Jahren nach Frankreich aus, weil sie sich dort verliebte. Ihr Mann kommt aus Nancy in Lothringen, das früher zu Deutschland gehörte, und deshalb klingt Fischofs Name noch so, als hätte sie ihre Heimat nie verlassen. Die Rentnerin lebt in Le Vésinet, der Partnerstadt von Unterhaching. Den Ort kann man sich wie ein französisches Grünwald vorstellen. Nahe an der Großstadt Paris, voll mit reichen Menschen und schönen Häusern. Le Pen erreichte in den Vorwahlen dort gerade mal fünf Prozent. Fischof ist deshalb optimistisch. Aber sie sieht auch, dass Le Vésinet nicht mit dem Rest Frankreichs vergleichbar ist. "Die Menschen hier sind privilegiert, gebildet." Die meisten hätten im ersten Wahlgang ihre Stimme François Fillon gegeben, dem konservativen Kandidaten. Aber der schied aus.

10 Orte

in Frankreich sind durch eine Partnerschaft mit Gemeinden im Landkreis verbunden. Darunter sind Mougins und Mandelieu-La Napoule an der Côte d' Azur, Pauillac in Südfrankreich, Le Rheu in der Bretagne, Meulan, Chéroy in Burgund, Ablon-sur-Seine, Meylan, Le Vésinet bei Paris und Le Crès.

Wenn sich nun am Sonntag jemand aus ihrem Bekanntenkreis für die Nationalistin Le Pen entscheiden würde, dann nur aus einem einzigen Grund: weil sie Stimmung gegen den Islam macht. Seit den Anschlägen in Paris und Nizza habe sich die Stimmung verändert in Frankreich. Viele Leute hätten Angst. Dass Le Pen sagt, sie würde Muslime aus dem Land werfen, Moscheen schließen, komme bei vielen gut an - selbst im reichen Teil Frankreichs. Edith Fischofs Entscheidung steht jedoch fest: Sie wird ihr Kreuz bei Macron machen.

Anton Almer ist sich nicht sicher, ob alle Franzosen immer ehrlich sind, wenn es um ihre Wahlentscheidung geht. Er ist in Taufkirchen der Beauftragte für die Partnerschaft zu Meulan-en-Yvelines, einer Stadt mit fast 10 000 Einwohnern westlich von Paris. Almer reist oft nach Frankreich, aber egal, wen er fragt, immer heiße es: "Auf gar keinen Fall wähle ich Marine Le Pen." Aber irgendwer, denkt sich Anton Almer, müsse sie doch wählen. Er glaubt, die Leute wollten sich nicht outen, es nicht offen zugeben, für wen sie stimmen. Genauso wie in Deutschland auch niemand sage, er finde die AfD gut. Doch eine Hochburg des Front National ist Meulan tatsächlich nicht. Dort gingen die Vorwahlen in etwa so aus wie in ganz Frankreich - jeder der Kandidaten erhielt um die 20 Prozent. Und dieses Ergebnis macht es am Sonntag so spannend.

Wenn Edith Fischof, die bayerische Französin, in ihrem Haus in Le Vésinet aus dem Fenster schaut, sieht sie einen Maibaum - weiß-blau wie jene in Bayern. Die Gemeinde Unterhaching schenkte ihn der Stadt vor Jahren. Fischof ärgert es, wenn jemand die Freundschaft, die sich zwischen Frankreich und Deutschland aufgebaut hat, kaputt machen will. Man müsse daran denken, warum die Partnerschaftsvereine gegründet wurden: als langsame Annäherung zwischen zwei Ländern nach einer tiefen Feindschaft. Und nach zwei langen, entsetzlichen Kriegen.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: