Der Wolf ist im Revier:Nervöse Nachbarn

Der Wolf ist im Revier: Was, wenn Wölfe sich in die Städte vorwagen, wie die Füchse es längst tun?

Was, wenn Wölfe sich in die Städte vorwagen, wie die Füchse es längst tun?

(Foto: Johannes Simon)

Seit in Münsing ein Wolf vier Lämmer gerissen hat, wird im Kreis Tölz-Wolfratshausen diskutiert, den Räuber zum Abschuss freizugeben. Der Vorfall ereignete sich nicht einmal 15 Kilometer von der Grenze zum Landkreis München, dennoch bleibt man im Landratsamt gelassen

Von Stefan Gallerund Konstantin Kaip, Landkreis

Im Mai 2015 behaupteten gleich mehrere Menschen steif und fest, im Südosten des Landkreises, im Wald an der Grenze von Putzbrunn zum Nachbarkreis Ebersberg einen Wolf gesehen zu haben. Zwei Schafe wurden damals gerissen, eine gentechnische Analyse hatte ergeben, dass sie tatsächlich das Opfer eines Wolfes geworden waren. Dennoch blieben die Behörden gelassen, der zuständige Forstbetrieb Wasserburg erließ keine Warnhinweise und gab auch keine Aktionspläne heraus. Seit Mitte dieser Woche hat man nun die Gewissheit, dass auch jene vier Lämmer, die Anfang April in der Nähe des Starnberger Sees gerissen worden waren, in die Klauen eines Wolfes geraten sind. Auch bei den jungen Schafen, die man in Münsing im Kreis Bad Tölz-Wolfratshausen gefunden hat, wurde ein Gentest angewandt.

Im dortigen Landratsamt fand am Freitag eine Pressekonferenz statt, bei der Vertreter der Behörden und der betroffenen Verbände über den Münsinger Beutegreifer diskutierten. Bauern, Almbauern und Jäger forderten eine wolfsfreie Zone. Anders seien die Weidewirtschaft und der Schutz der Wälder nicht zu erhalten. Für die Vertreter der Naturschutzverbände ist ein Abschuss hingegen keine Option. Sie sehen den Staat in der Pflicht, Präventionsmaßnahmen zu treffen und die Nutztierhalter finanziell zu unterstützen.

Wie Franz Steger von der Unteren Naturschutzbehörde Bad Tölz-Wolfratshausen bestätigte, konnten die Speichelproben der in St. Heinrich gerissenen Schafe per DNA-Analyse einwandfrei einem Wolf aus der Alpenregion zugeordnet werden. Die Untersuchungen dauerten noch an und könnten möglicherweise noch Aufschluss über Geschlecht und Rudelzugehörigkeit des Tieres geben. "Wir gehen davon aus, dass es sich um ein Einzeltier auf Durchwanderung handelt", sagte der Leiter der Stabsstelle im bayerischen Landesamt für Umwelt, Wolfgang Berger. Neue Hinweise, dass sich das Tier noch in der Region aufhalte, gebe es nicht.

Der Halter der Schafe habe bereits eine Entschädigung aus dem staatlichen Ausgleichsfonds erhalten - je nach Alter und Geschlecht zwischen 120 und 250 Euro pro Tier. Auch habe er von dem Angebot, Schutzzäune zu leihen, Gebrauch gemacht. "Wir haben zum jetzigen Zeitpunkt eigentlich alles getan", sagte Berger.

Man müsse jedoch mehr tun, sagte der Lenggrieser Georg Mair, Vorsitzender des Almwirtschaftlichen Vereins Oberbayern. "Wir fordern wolfsfreie Gebiete, um die Weidewirtschaft zu erhalten." Mair erinnerte an einen Einzelwolf, der 2010 im Mangfallgebirge mehr als 40 Schafe gerissen habe. Ein Schutzzaun müsse nach derzeitigem Standard 1,50 Meter hoch, elektrisch und im Boden verankert sein, das sei weder finanziell noch technisch machbar. Ein praxistaugliches Patentrezept sei nicht zu erkennen, sagte Mair. "Der Wolf fördert die Stallhaltung, und das wollen wir nicht."

Zum selben Schluss kam der Kreisobmann des Bauernverbands in Tölz-Wolfratshausen, Peter Fichtner: 2015 seien der Bundesregierung 700 Wolfsrisse an Nutztieren gemeldet worden, darunter 16 Rinder. Komme es erst einmal zur Bildung von Wolfsrudeln in Bayern, sei "das Ende der Weidewirtschaft vorprogrammiert", sagte er. Tierschutz dürfe "keine Einbahnstraße sein", sagte Fichtner. "Zur Bestandsregulierung bleibt nur der Abschuss, ohne Wenn und Aber."

Die Schutzwürdigkeit des Wolfes herabzusetzen sei eine "Scheinforderung, die keinem nutzt", fand hingegen Friedl Krönauer, Vorsitzender der Kreisgruppe des Bund Naturschutz (BN). Stattdessen müsse der Staat "Geld in die Hand nehmen für die Nutztierhalter". Es gehe darum, "eine vernünftige Lösung zu finden, wie der Wolf bei uns leben kann und Viehhaltung als wichtiger Teil unserer Kulturlandschaft weiter möglich ist".

Obwohl Münsing weniger als 15 Kilometer von Schäftlarn und damit vom Landkreis München entfernt ist, reagiert man im Landratsamt am Mariahilfplatz ausgesprochen entspannt auf die Kontroversen bei den Nachbarn: "Es gibt laut Unterer Naturschutzbehörde und der Jagdbehörde im Landratsamt keinerlei Anzeichen darauf, dass auch im Landkreis München aktuell Wölfe unterwegs sind", sagt Pressesprecherin Christine Spiegel auf SZ-Nachfrage. Dennoch sei natürlich keineswegs auszuschließen, dass der Wolf irgendwann im Münchner Landkreis auftaucht, schließlich legen die Tiere auch mal 20 Kilometer in einer einzigen Nacht zurück. "Wir wissen ja aktuell nicht, wie er sich bewegt", sagt Christine Spiegel und verweist auf die Informationsseiten des Bayerischen Landesamts für Umwelt (www.lfu.bayern.de), wo es eine eigene Rubrik gibt, in der alle relevanten Fakten zum Canis Lupus zusammengestellt wurden. Darunter auch eine Anleitung, wie man sich im Falle einer direkten Begegnung mit einem Wolf zu verhalten habe.

So eine direkte Begegnung dürfte im Landkreis München aber eher unwahrscheinlich sein, sagen Experten. Heinz Utschig, zuständiger Leiter des Forstbetriebs Wasserburg, hatte schon vor zwei Jahren klargestellt, dass sich der Wolf in der Nähe der Stadtgrenze keinesfalls sicher fühlen würde: "Die Wölfe suchen sich Raum, aber nicht gerade mit S-Bahn-Anschluss", so Utschig damals.

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