Das Wetter und die Natur:"Es beginnt alles etwas früher"

Haar, Walter Immler beobachtet seit 35 Jahren die Vegetation in der Gemeinde,

Walter Immler weiß auf den Tag genau, wann in Haar seit den Achtzigerjahren die Forsythie zu blühen begonnen hat.

(Foto: Angelika Bardehle)

Walter Immler beobachtet seit 35 Jahren für den Deutschen Wetterdienst die Natur in Haar. Der Rentner ist überzeugt: Der Klimawandel findet bereits statt

Interview von Bernhard Lohr, Haar

Wann blüht der Flieder? Wie entwickelt sich der Mais? Walter Immler, 78, beobachtet seit 35 Jahren in Haar das Wachstum von Pflanzen. Er weiß auf den Tag genau, wann 1996 am Haselnussstrauch die ersten Blüten aufgingen und wann in diesem Jahr. Er führt Aufzeichnungen für die Abteilung Phänologie am Deutschen Wetterdienst in Offenbach, wo das Erscheinungsbild der Pflanzen im Lauf des Jahreskalenders analysiert wird. Danach werden Klimamodelle entwickelt. Bis heute radelt Immler ehrenamtlich jeden zweiten Tag gut zehn Kilometer durch die Gemeinde und inspiziert Blätter und Blüten. Am Klimawandel hat er keinen Zweifel. Er hat es Schwarz auf Weiß.

SZ: Sie beobachten seit 35 Jahren die Vegetation. Anfang der Achtzigerjahre sprach man vom Klima in Europa und in Afrika, aber nicht vom Klimawandel.

Walter Immler: Das ist wohl wahr.

Also die Leute in Offenbach beim Deutschen Wetterdienst sprachen vielleicht schon davon, aber in der öffentlichen Meinung sagte man: Klima, was ist das denn?

Schon Februar, März war überall frisches Grün, die Natur blühte auf. Ist die Vegetation in Haar weiter als vor einem Jahr?

Das kann man so pauschal nicht sagen. Die Erle hat dieses Jahr am 29. März angefangen zu blühen, voriges Jahr war es bereits am 25. März. Da ist wenig Unterschied. Die Forsythie hat 2016 am 30. März geblüht, vor einem Jahr am 9. April, das war eineinhalb Wochen später.

Die eine Pflanze ist früher dran, die andere später, bei gleichen Bedingungen. Das Ganze ist offensichtlich doch eine komplexere Angelegenheit.

Man muss unterscheiden, ob man vom Wetter spricht oder vom Klima. Es kann mal ein paar wärmere Tage geben und dann wieder Rückschläge. Das geht auf und ab. Von Jahr zu Jahr lassen sich keine Schlüsse über Veränderungen beim Klima ziehen. Auf Grundlage meiner Unterlagen müsste ich dafür Jahresreihen aufstellen und das dann durchrechnen.

Was beobachten Sie genau?

Ich beobachte Naturpflanzen wie Fichten, den Haselnussstrauch, die Wiesen, den Flieder und Schneeglöckchen, dazu die landwirtschaftlichen Nutzpflanzen wie Mais oder Gerste und auch Obst: Apfel-, Kirsch- und Birnenbäume. Für jede einzelne Pflanze ist genau festgelegt, was zu notieren und zu melden ist. Ich komme da auf fast 200 Meldungen im Jahr aus dem Gemeindegebiet Haar.

Und da hat sich etwas verändert?

Das Wetter und die Natur: SZ-Grafik

SZ-Grafik

Eine wichtige Beobachtung ist der Beginn der Blüte am Haselnussstrauch; gerade auch für Allergiker. Meine Daten fließen in die Allergikerkarten ein. Beim Hasel habe ich Daten jetzt für mich mal über die Jahre hin ausgewertet: Man möchte es nicht glauben, aber der Hasel blüht mittlerweile 22 Tage früher.

Das ist schon viel. Wann hat denn der Hasel heuer geblüht?

Der ist längst verblüht. Der späteste Zeitpunkt in meinen Aufzeichnungen war im Jahr 1996, da war das Anfang Februar. Den frühesten Wert habe ich zwei Jahre davor 1994 mit Anfang Januar registriert. Aber der Trend ist klar: Es wird immer früher

Und nicht nur beim Hasel.

Bei uns im Garten steht ein Fliederbusch. Den gab es schon, als wir vor 40 Jahren nach Haar gekommen sind. Den beobachte ich seitdem und melde den Beginn der Fliederblüte. Ich habe Mitte Mai Geburtstag. Als wir hier rausgezogen sind, war immer die Frage, ob der Flieder schon blühen wird an meinem Geburtstag oder ob es vielleicht doch keinen Strauß auf dem Geburtstagstisch gibt. Das hat sich geändert. Jetzt ist es so, dass man sagen kann: Der Flieder ist bis dahin fast schon verblüht.

Was Sie melden, das ist vorgeschrieben und die Daten gehen in die Klimaforschung ein.

Ja, so ist es. Vom Deutschen Wetterdienst habe ich fixe Vorgaben, was ich zu beobachten habe. Beim Mais etwa melde ich genau die Sorte, die ich im Blick habe; dann melde ich, wann der Mais bestellt wird, wann die Pflanze aus der Erde rauskommt, wann das Längenwachstum beginnt, wann er zu blühen beginnt und wann sich die Kolben bilden.

Haben Sie nach all ihren Beobachtungen noch Zweifel am Klimawandel?

Überhaupt nicht. Wenn ich das so sehe und in alte Unterlagen rein gucke, muss ich sagen: Es beginnt alles etwas früher.

Die Zoologische Staatssammlung München hat verkündet, dass Tiere länger aktiv sind. So wurden noch am 18. November Gottesanbeterinnen beobachtet, die sonst schon längst erfroren hätten sein müssen. 2014 entdeckte man in München am 9.

November Laubfrösche beim Sonnenbaden. Mit Tieren habe ich nichts zu tun. Dazu kann ich wenig sagen. Aber ich kann mir sehr gut vorstellen, dass es genau so ist. Es gib einen Phänologischen Kalender, in dem es heißt, dass mit der Blüte der Hasel der Vorfrühling beginnt und mit der Blüte des Holunders der Frühling. In einer sogenannten Phänologischen Uhr kann man ablesen, dass der Frühling heute früher anfängt als noch vor zehn, 15 Jahren und der Sommer später endet.

Sie haben einen Garten. Hat der sich verändert in den vergangenen 35 Jahren? Müssen sie häufiger gießen? Stehen dort heute andere Pflanzen?

Nein, das kann ich alles so nicht beurteilen. Mal ist es so trocken und man muss jeden Tag gießen, dann regnet es wieder. Das müsste ich aufschreiben. Der Mensch merkt sich leider nur Extreme.

Pollenallergie

Wenn der Hasel blüht. Laut Walter Immler 22 Tage früher als früher.

(Foto: dpa)

Aber der Klimawandel ist Fakt, vom Menschen gemacht. Wie geht es Ihnen mit dieser Erkenntnis?

Für mich persönlich muss ich sagen: Wir in München haben unter dem Klimawandel bisher nicht zu leiden, außer, dass das Biergartenwetter länger anhält. Aber die Landwirte müssen sich schon mehr Gedanken machen und schauen, dass sie andere Sorten anbauen. Es wird mehr gespritzt. Aber vor allem glaube ich nicht, dass der Trend zu höheren Temperaturen in den nächsten Jahren stoppen wird. Dann kann uns der Klimawandel sehr wohl direkt treffen. Die Enkelkinder werden die Veränderungen bestimmt noch spüren.

Ob Ernährung, Konsum oder Mobilität - jeder beeinflusst das Klima. Eine Ausstellung im Haarer Rathaus geht der Frage nach, was Weißwürste mit dem Klimawandel zu tun haben und was Heimat- und Bergromane über den Klimawandel in Bayern erzählen. Die Ausstellung "Klima Faktor Mensch" des Landesamts für Umwelt (LfU) ist noch bis 18. Mai im Rathausfoyer zu sehen.

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