Bundespräsidentenwahl:Ausweitung der Gauck-Zone

32.000 Unterstützer hat die Facebook-Gruppe "Joachim Gauck als Präsident" inzwischen. Dahinter stehen etliche FDP-Mitglieder. Nun will die Bewegung ihre Botschaft auf die Straße bringen - in München fiel der Versuch ins Wasser.

K. Haimerl

Der Mann im Anzug und mit Aktenkoffer passt irgendwie nicht dazu. Vor einer Bühne am Stachus hat sich am Donnerstagabend eine kleine Gruppe gebildet, 30 Leute drängen sich unter Regenschirmen. Vereinzelt ragen zwischen den Schirmen Schilder hervor. Darauf zu sehen: Ein Bild von Joachim Gauck.

Demonstration fuer Gauck als Bundespraesident

Im Regen stehen: Eine Pro-Gauck-Demonstrantin auf dem Münchner Stachus.

(Foto: ag.ddp)

Der Mann beugt sich zu der Frau neben ihm. "Gauck, wer soll das eigentlich sein?", fragt er. Die Frau: "Das ist der Kandidat fürs Präsidentenamt." "Und wer sind die Leute hier?" Die Frau: "Wir sind von der Gruppe von Facebook." Der Mann: "Ach, der Kandidat von Facebook."

Würde Facebook die Abgesandten in die Bundesversammlung schicken, hätte einer klar gewonnen: Joachim Gauck, 70, parteilos, ehmaliger DDR-Bürgerrechtler und früherer Chef der Stasi-Unterlagenbehörde. Mehr als 32.000 Mitglieder hat die Gruppe "Joachim Gauck als Präsident" inzwischen. Es ist das erste Mal, dass sich in der deutschen Netzgemeinde hinter einer Personalie aus der Politik eine derartige Kampagne formiert hat.

Die Veranstaltung am Münchner Stachus ist Teil davon. Die Bewegung aus dem Netz soll nun auf der Straße weitergehen. In insgesamt vier deutschen Städten fand an diesem Donnerstag deshalb fast zeitgleich eine Pro-Gauck-Demo statt. Es ist der 17. Juni 2010, der Jahrestag des Volksaufstands in der ehemaligen DDR. Das Datum geht auf den Vorschlag eines Fans der Facebook-Gruppe zurück.

Aufstand der Netzgemeinde also? Nein, sagt Marc Antonio Schaut, der in München die Rolle des Sprechers der Gruppe übernommen hat, das wäre übertrieben. Vielmehr sollte es ein Fest der Demokratie werden, der Freiheit, der Werte eben, für die Gauck einstehe, sagt er und gerät ins Schwärmen. Am Nachmittag im Vorfeld der Veranstaltung kündigt er an: "Heute geht die Bewegung richtig los."

Eine Veranstaltung mit 1000 Teilnehmern hatte Schaut vorsorglich angemeldet. Knapp 30 sind gekommen. Gauck kann nur hoffen, dass er am 30. Juni bei der Bundespräsidentenwahl mehr Unterstützer hat.

Schaut trägt einen hellgrauen Anzug, der sich an den Schultern vom Regen dunkel gefärbt hat. "Wir sind eben keine Schönwetterdemokraten", sagt er in das Mikro, das ihm ein ZDF-Reporter hinhält.

Einer der Schlechtwetterdemokraten am Stachus ist auch Christoph Giesa. Der 29-Jährige ist Gründer der Gauck'schen Facebook-Gruppe und extra von Berlin nach München gereist. Außerdem ist Giesa Mitglied der FDP, jener Partei also, die eigentlich für den Wunschkandidaten von Kanzlerin Angela Merkel (CDU) stimmen sollte: Christian Wulff. "Böse Briefe von Parteikollegen habe ich noch keine erhalten", sagt Giesa.

Im Gegenteil. Giesa ist nicht der einzige Abweichler in den Reihen der Facebook-Gruppe. Vielmehr seien die Mehrheit der Administratoren FDP-Mitglieder. Giesa sagt, er stehe in Kontakt mit Gaucks Team und dessen Sohn. "Er lässt uns immer freundliche Grüße ausrichten."

Joachim Gauck beobachtet das Geschehen wohlwollend von seiner Webseite aus. Inzwischen hat er seiner Fangemeinde auch zwei Videobotschaften gewidmet. Darin gibt er zu: "Ich bin 70, und nicht oft im Internet unterwegs." Dennoch sei er völlig "überwältigt" von der Resonanz. Seine Kinder und Enkel würden ihn über die Aktivitäten auf dem Laufenden halten. In der neuesten Videobotschaft erzählt er, wie er in den Landtagen um Unterstützung wirbt und sagt mit Blick auf die Abstimmung am 30. Juni: "Ich kann immer noch zählen, der Kandidat ist immer noch realistisch. Aber er rechnet seit gestern und heute ein bisschen fröhlicher."

Auf der Bühne am Stachus hat der Redner gewechselt. Der Mann hat viel zu sagen, aber es ist wenig zu hören. Denn er spricht ohne Mikro. Am Rand steht ein älterer Herr. "I find an Gauck guat", entfährt es ihm plötzlich. "Der hat a Schneid ghabt, damals in der DDR." Der ältere Herr ist 70, genauso alt wie Gauck. Und auch er gehört nicht zur Generation Facebook. Den Termin für die Veranstaltung hat ihm vielmehr ein anderes soziales Netzwerk verraten: Sein SPD-Ortsverein.

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