Brunnthal:Vom Besen zum Objekt

Die Ausstellung "AvantgArt" in der Galerie Kersten in Brunnthal versammelt moderne Werke von Joseph Beuys über Ottmar Hörl bis Christo, die irritieren, gefallen und provozieren - und zur Diskussion über den Kunstbegriff anregen

Von Udo Watter, Brunnthal

Das blauschwarze Wandobjekt, das sich dem Betrachter im Obergeschoss als erstes bietet, sieht stylish aus. Es gefällt durch elegantes Design, die stilvolle Farbkombination. Gut, bei näherer Betrachtung könnten die Borsten den Eindruck der Noblesse etwas schmälern. Ottmar Hörls Objekt besteht aus sechs Besenstücken, die dank ästhetisch geschickten Arrangements den Putz- und Kehrkosmos verlassen und eine neue Aura gewonnen haben. Davor sind zwei schwarze Seifenschachteln drapiert, auf denen in weißen Lettern steht: Unschuld. Darin zwei weiße Seifen mit derselben Aufschrift. Konzeptionelle Auflage: 82 Millionen. Für jeden Deutschen eine. Zum Hände in Unschuld waschen. Da schau an.

Brunnthal:

Ren Huis "Selbstbildnis von unten".

(Foto: Claus Schunk)

Was macht ein Objekt, zumal ein alltägliches, zu einem Kunstwerk? Dass man es behauptet? Dass man es signiert? Dass man es mit ideeller Bedeutung auflädt? Die Ausstellung "AvantgArt - Moderne Objektkunst", die derzeit in der Brunnthaler Galerie Kersten zu sehen ist, hat diverse aufregende Arbeiten zu bieten, die über den Kunstbegriff zu diskutieren einladen. Der Otto Normalbetrachter wird sich etwa mit dem Multiple "Intuition" von Joseph Beuys, das neben Hörls Besenkomposition hängt, eher schwer tun. Es ist ein offenes Holzkistchen, in dessen Innenraum mit Bleistift zwei horizontale Linien gezeichnet sind. Mit unterschiedlichen Enden. Und das Wort Intuition. "Ich finde das sensationell", sagt Galerie-Leiter Holger Weinstock. Mit einfachen Mitteln einen Gegenstand in den Bereich der Kunst zu transformieren, das gefällt ihm. Es entspricht Beuys berühmtem Credo "Jeder Mensch ist ein Künstler", seiner Idee, alle Formen der Kreativität als künstlerischen Akt aufzufassen. Unumstritten war diese Einstellung freilich nie. "Ich habe mir dazu schon einiges anhören müssen", sagt Weinstock und schmunzelt. So viel geändert hat sich auf Diskursebene offenbar nicht, seit Marcel Duchamp mit dem Ready-made "Fontäne" - ein signiertes Urinal - 1917 in New York ein Schlüsselwerk der modernen Kunst ausstellte und damit heftige Kontroversen auslöste.

Brunnthal: Lee Ji-Hyuns Pluck-off-Werk "Christies".

Lee Ji-Hyuns Pluck-off-Werk "Christies".

(Foto: Claus Schunk)

Nun, ein Urinal gibt es in Brunnthal nicht zu sehen, dafür allerlei spannende, zum Großteil dreidimensionale Arbeiten moderner und zeitgenössischer Künstler - teils mit hilfreichen Erklärungen versehen. Bekannte Namen sind darunter, aber auch interessante, nicht so im Fokus stehende Künstler. Neben Beuys, Christo, Otto Piene, Hanns Joachim Goedecke oder Jacinto Moros etwa Regina Schumann, Beate Sillescu oder Uta Belina Waeger.

Es ist eine Ansammlung von spannenden, teils humorvollen, eigenwilligen, provokanten Arbeiten, die in Größe und Aussage vielfältig ausfallen. Ein inhaltlich stringentes Konzept gibt es in dem Sinn nicht und den Besucher könnte auch das Gefühl beschleichen, etwas viele Exponate in den Räumen der Galerie präsentiert zu bekommen. Weinstock freilich sagt: "Wir wollten möglich viel bieten und die Objekte zwanglos nebeneinander stellen."

Brunnthal: Ottmar Hörls blauschwarze Besenstücke.

Ottmar Hörls blauschwarze Besenstücke.

(Foto: Claus Schunk)

Ins Auge stechen etwa Barbara Storck-Brundretts Arbeiten wie "Zuckertraum" ein überdimensioniertes bonbonartiges Wandobjekt (Leinwand, Mischtechnik) in poppig-knalligen Farben: vielleicht im ersten Moment süß-verführerisch, aber durch das aufgebrochene Innere schnell wieder abstoßend. Die Künstlerin spielt gerne mit Schein und Sein, der Verlogenheit der Konsumwelt.

Lee Ji-Hyun aus Südkorea hat eine eigene Technik entwickelt, mit der sie Bücher bearbeitet: Inspiriert vom Prozess des Verfalls, von der Vergänglichkeit, fing sie an, Bücher als Zeugnisse von Kultur, als Symbole des Erinnerns, einzuweichen, auseinander zu nehmen und mittels Rupftechnik (pluck off) wieder neu zu gestalten. Zu sehen sind in Brunnthal eine Ausgabe von "Romeo und Julia" sowie ein Katalog von "Christie's". Der Chinese Ren Hui ist dafür bekannt, aus lackiertem Holz mit Stanzeisen Bilder herauszuarbeiten - bestehend aus Punktsetzungen, die mit Hilfe von Licht, Schatten und Umrissen Porträts ergeben wie das eindrucksvolle "Selbstbildnis von unten". Darüber hinaus gibt es noch vieles mehr zu bestaunen: Stahlplastiken, die wie eine Papierfaltung anmuten, eine Trillerpfeife aus Filz, Herzkissen mit Sumo-Ringern, Friedenstaubenbananen, Gartenzwerg-Skulpturen oder Günther Ueckers "Holzkiste benagelt mit Gedicht". Nicht alles wird jeden ansprechen, manches wird irritieren oder verständnislos machen. Diskussionsmaterial, wie weit Kunst und Avantgarde geht, findet der Betrachter jedenfalls genügend.

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(Foto: Claus Schunk)

Die Ausstellung dauert bis zum 5. Januar. Geöffnet ist die Galerie Kersten montags bis freitags von 9 bis 12.30 und 14 bis 18 Uhr, samstags von 10 bis 13 und sonntags von 13 bis 16 Uhr.

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