Fluktuation in Gemeinderäten:Leicht im Abgang

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Illustration: Sead Mujic

Früher mussten Stadt- und Gemeinderäte gewichtige Gründe angeben, um zurücktreten zu dürfen. Heute müssen sie sich nicht einmal mehr erklären. Im Landkreis haben zuletzt mehrere Mandatsträger von diesem Recht Gebrauch gemacht.

Von Daniela Bode

Sich durch Bauanträge und Sachverständigengutachten wälzen, in der Fraktion beraten, mehrere Abende im Monat im Gemeinderat und in Ausschüssen verbringen. Keine Frage, das Amt als Stadt- oder Gemeinderat ist fordernd. Und in jüngster Zeit formt sich im Landkreis München das Bild, dass dieser einst so beliebte Posten an Attraktivität verliert. Oder dass er möglicherweise nicht mehr so ernst genommen wird - von denjenigen, die sich dafür beworben haben. Denn mittlerweile ist es sehr viel einfacher, sich von diesem Amt auch wieder zu verabschieden.

Allein in Neubiberg sind seit September drei Gemeinderäte ausgeschieden

Zahlreiche Mandatsträger haben in den vergangenen Monaten ihr Amt niedergelegt. Allein in Neubiberg verabschiedeten sich seit September drei Gemeinderäte. Sebastian Pflumm von der Überparteilichen Wählervereinigung der Studenten an der Bundeswehruniversität (USU), Ulrike Dowie von den Grünen und zuletzt Thomas Felber von den Freien Wählern für Neubiberg und Unterbiberg. In Oberhaching trat Ludwig Ertl (Vereinigte Freie Wähler) nach etwas mehr als eineinhalb Jahren im Dezember zurück. In Kirchheim warf Renate Meyer, die 19 Jahre lang für die SPD im Gemeinderat von Kirchheim saß, im Februar vorigen Jahres hin. Und in Ottobrunn ließ sich die junge Christina Schutz im Mai 2015 von ihren Aufgaben entbinden.

Warum lässt sich jemand aufstellen, wählen und scheidet kurze Zeit später wieder aus? Es stellt sich die Frage, ob die neue gesetzliche Regelung damit zu tun haben könnte. Denn seit dieser Amtsperiode, also seit dem Frühjahr 2014, müssen gewählte Gemeinde- und Stadträte keinen Grund mehr nennen, wenn sie ihr Amt niederlegen oder es nicht annehmen wollen. Das steht in Artikel 48, Absatz 1, Satz 2, der Gemeinde- und Landkreiswahlordnung, der 2012 eingefügt worden ist. Zuvor mussten die Betroffenen einen wichtigen Grund nennen, um ihr Amt aufgeben zu dürfen. Etwa eine schwere Krankheit, den Beruf, die Familie oder das Alter. Wer wegzieht, verliert das Amt ohnehin.

Fluktuation in Gemeinderäten: Der Neubiberger Gemeinderat ist ein streitbares Gremium. Aber damit hat die hohe Fluktuation unter den Mandatsträgern nichts zu tun.

Der Neubiberger Gemeinderat ist ein streitbares Gremium. Aber damit hat die hohe Fluktuation unter den Mandatsträgern nichts zu tun.

(Foto: Claus Schunk)

Die Meinungen dazu sind unterschiedlich. Nina Schierlinger, stellvertretende Hauptamtsleiterin in Neubiberg, sieht keinen Zusammenhang. "Ich glaube nicht, dass einem die Einführung der neuen Regelung die Entscheidung erleichtert, sein Ehrenamt niederzulegen", sagt sie. Alle, die seit 2014 in Neubiberg von ihren Posten zurücktraten, hätten das auch nach dem alten Recht tun können, sagt sie. Pflumm ist der Ausbildung wegen nur noch selten in Neubiberg, Dowie hat familiäre Gründe angeführt, Felber berufliche.

"Es erleichtert einem natürlich schon die Entscheidung"

Renate Meyer aus Kirchheim wiederum hat vor allem aus Frust über das "endlose Gezerre um die Ortsmitte" den Gemeinderat verlassen. Laut Andreas Gaß, Referent für Kommunalrecht beim Bayerischen Gemeindetag, hätte das nach altem Recht nicht ausgereicht. Meyer sagt jedoch, dass es für sie bei der erneuten Annahme des Ehrenamts nicht relevant war, dass sie keinen wichtigen Grund mehr braucht, um sich daraus zu verabschieden. "Es erleichtert einem aber natürlich schon die Entscheidung", sagt sie.

Drei Wechsel in kurzer Zeit dürften die Neubiberger derweil nicht beunruhigen, da es in der vorangehenden Amtsperiode - als also die neue Regelung noch nicht galt - um ganz andere Zahlen ging. Da gaben zwölf Gemeinderäte, also gleich das halbe Gremium, ihr Amt ab. Die einen zogen weg, die anderen waren beruflich oder familiär sehr eingespannt.

14 Monate

nach ihrer Wahl zur Gemeinderätin in Ottobrunn hat die 19-jährige Christina Schutz im Mai 2015 ihren Rücktritt erklärt. Ein Schritt, der ihr damals nicht leicht gefallen ist; den sie aber nach reiflicher Überlegung so habe treffen müssen. Eine Entscheidung, die der Christsozialen von Kollegen aber auch viel Respekt eingebracht hat. Schutz begründete ihre Demission vor allem mit ihrer Unerfahrenheit als Kommunalpolitikerin und der Erkenntnis, "persönlich reifen" zu wollen. Sie habe, sagte Schutz nach dem Rücktritt, den eigenen Ansprüchen noch nicht gerecht werden können.

Einem Nachrücker, Rüdiger Berger, hat der Gemeinderat damals die Ablehnung des Ehrenamts versagt. Er war der vierte Listennachfolger für den Grünen Christoph Bernatowicz. Berger gab damals an, wegen seiner Ehrenämter nicht antreten zu können. Nach dem eigentlichen Willen der Grünen hätte erst der elfte Listennachfolger nachrücken sollen.

An schlechter Stimmung im Gremium haben die Rochaden laut Schierlinger nicht gelegen. "Das Klima im Gemeinderat war eigentlich gut", sagt sie. Vielmehr glaubt sie, dass einige Gemeinderäte "den Spagat zwischen Familie, Beruf und Ehrenamt nicht geschafft haben".

"Dass das Ehrenamt so nach hinten durchgereicht wird, ist ungewöhnlich"

Neubiberg war allerdings ein Sonderfall. "Dass ein Listennachfolger weggezogen ist, kommt vor, aber dass das Ehrenamt so nach hinten durchgereicht wird, ist ungewöhnlich", sagt Gaß. Dass einzelne Gemeinderäte ihr Mandat niederlegen, komme in ganz Bayern derweil immer wieder vor. Belastbare Zahlen hat der Referent nicht. Ob die Zahl also im Vergleich zu der Zeit, als noch ein wichtiger Grund genannt werden musste, gestiegen ist, kann er nicht sagen. Jedoch hatte der Bayerische Gemeindetag im Gesetzgebungsverfahren kritisch angemerkt, "dass die Niederlegung leichter wird und damit das wichtige kommunale Ehrenamt eine gewisse Beliebigkeit erfährt", sagt er.

Der kommunale Spitzenverband hatte beim Gesetzgebungsverfahren eine weitere Befürchtung: Dass bekannte Personen als Zugpferde auf die Listen gesetzt werden, obwohl sie gar nicht die Absicht haben, in den Gemeinderat gewählt zu werden. Auch hierzu sind dem Bayerischen Gemeindetag nur Einzelfälle bekannt, Erhebungen gibt es laut Referent Gaß nicht. Im Landkreis wollten Prominente den Parteien vor allem helfen, ihre Listen zu füllen.

In Neubiberg hatte die SPD beispielsweise Franz Josef Himpsl, den Kopf der Unterbiberger Hofmusik auf Platz 21 gesetzt. "Ich wollte die SPD unterstützen, aber auf keinen Fall reinkommen", sagt Himpsl. Wäre er gewählt worden, hätte er das Amt aber, wie er sagt, wahrscheinlich angenommen. Die Generalsekretärin der Bayern-SPD Natascha Kohnen stand auf Platz 24 der Neubiberger SPD. Sie sagt, "in meinem Fall war die Kandidatur 2014 nicht begründet durch ein einfaches Niederlegen nach der Wahl".

Vielmehr wollte sie ihre Heimat-SPD unterstützen durch das Signal, "dass ich auf der Liste kandidiere und die Kandidaten für sehr gut erachte". Auch wenn das logistisch eine Herausforderung geworden wäre, hätte sie das Amt nach eigenen Worten angenommen, wäre sie in das Gremium gewählt worden. In Oberhaching hatte der in der Gemeinde bekannte Internist Ludwig Ertl auf Platz 23 für die Vereinigten Freien Wähler kandidiert. Er wurde in den Gemeinderat gewählt, legte das Amt aber aus beruflichen Gründen im Dezember wieder nieder.

Prominente als Zugpferde auf der Kandidatenliste haben noch nie geschadet. Sie dürften heute sogar wichtiger sein denn je sein, weil gerade kleine Gruppierungen ihre Kandidatenlisten immer schwerer füllen können. Doris Popp, Fraktionsvorsitzende der Grünen im Ottobrunner Gemeinderat, kann das bestätigen. "Es war schon immer schwierig, aber so schwierig wie bei der jüngsten Kommunalwahl war es noch nie." Da die Einwohnerzahl nun bei mehr als 20 000 liegt, mussten 30 statt zuletzt 24 Kandidaten gefunden werden.

Die Grünen haben sich mit der ÖDP zusammengetan und eine gemeinsame Liste gebildet. Manch andere kleine Gruppierung steht nicht nur vor der Herausforderung, die Liste zu füllen, sondern dass später überhaupt noch einer von der Liste da ist. Für die USU - die Studenten im Neubiberger Gemeinderat - ist eine hohe Fluktuation ganz normal, da die Studenten in der Regel nur maximal vier Jahre an der Bundeswehruniversität verbringen. Im September wurde Antonio Melieni als Siebtplatzierter auf der Liste als Nachfolger Pflumms in den Gemeinderat gewählt.

Wenn keiner mehr nachrückt, bleibt der Sitz unbesetzt

Neben diesem waren auch die anderen auf der Liste vor Melieni bereits weggezogen oder standen nicht mehr zur Verfügung. Mittlerweile ist außer Melieni von der Liste nur noch ein weiterer Kandidat übrig. Sollte es einmal dazu kommen, dass keiner von der USU-Liste mehr in Neubiberg ist, würde es aber nicht etwa Neuwahlen geben. Wie Franz Kohout, Politik-Professor an der Bundeswehruniversität, der SZ erläuterte, bliebe dann der Gemeinderatssitz frei. Das heißt, bis zum Ende der Legislaturperiode bestünde das Gremium nur noch aus 23 statt aus 24 Mitgliedern.

Die hohe Fluktuation ist freilich ein Sonderfall. Alle Parteien dürften hingegen damit zu kämpfen haben, dass das wichtige kommunale Ehrenamt auch an Attraktivität verloren hat. "Es kommen einfach keine Neuen nach", sagt die Ottobrunner Grünen-Gemeinderätin Popp. Das Interesse der Bevölkerung an politischen Veranstaltungen sei gering. Zudem beanspruche das Amt viele Stunden in der Woche.

Antonio Melieni sieht das ähnlich. "Ich glaube, dass die Leute kein Interesse mehr daran haben, sich politisch zu engagieren." Die Kirchheimerin Renate Meyer sagt, dass die Vereinbarkeit von Beruf, Familie und Ehrenamt immer schwieriger werde. "Wenn ich sehe, wie viele Unterlagen ein Gemeinderat bekommt, bei jeder Sitzung drei bis vier Zentimeter Papier, dann kommen noch Beruf und Familie dazu. Wer soll das noch schaffen?", fragt sie. Sie glaubt sogar, dass der Aufwand gestiegen ist, etwa mit den neuen Medien. "Eine E-Mail ist schnell geschrieben, aber das muss auch alles gelesen werden."

Es wird sich zeigen, wer im Landkreis als nächstes seinen Platz im kommunalen Gremium räumt. Aus welchem Grund auch immer.

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