Baierbrunn:Meister der Düfte

Baierbrunn: Ferdinand und Andreas Storp führen den Familienbetrieb in Baierbrunn.

Ferdinand und Andreas Storp führen den Familienbetrieb in Baierbrunn.

(Foto: Claus Schunk)

Seit mehr als hundert Jahren hat sich der Familienbetrieb Drom in Baierbrunn dem uralten Kunsthandwerk der Parfümöl-Herstellung verschrieben.

Von Judith Beck

Während Baldini noch mit seinen Kerzenleuchtern auf dem Tisch hantierte, schlüpfte Grenouille schon in das seitliche Dunkel der Werkstatt, wo die Regale mit den kostbaren Essenzen, Ölen und Tinkturen standen, und griff sich, der sicheren Witterung seiner Nase folgend, die benötigten Fläschchen von den Borden. Orangenblütenessenz, Limettenöl, Nelken- und Rosenöl, Jasmin-, Bergamott- und Rosmarinextrakt, Moschustinktur und Storaxbalsam, die er sich rasch herunterpflückte und am Rand des Tisches zurechtstellte. Allmählich begann es im Kessel zu brodeln. Und nach einer Weile, erst zaghaft tröpfchenweise, dann in fadendünnem Rinnsal, floss Destillat aus der dritten Röhre des Maurenkopfs in eine Florentinerflasche."

Eine Szene im Labor eines Maître Parfumeur et Gantier im Paris des achtzehnten Jahrhunderts, wie sie der Schriftsteller Patrick Süskind in seinem Bestseller "Das Parfum" beschreibt. Eine längst vergangene Zeit. Mit Süskinds Worten im Ohr, hat man von der Parfümfabrik Drom Fragrances in Baierbrunn eine ganz bestimmte Szene vor Augen: Ein schwefeliges Gebräu kocht in einem Hexenkessel; es riecht nach Blüten, nach exotischen Pflanzen, ätherischen Ölen, Seifen, Laugen. Durch die langen Gänge der Duftfabrik zieht allerdings weniger der Hauch von Geruchskombinationen. Es riecht nach Desinfektionsmittel wie im Krankenhaus. Entlang des Korridors reihen sich Labors, in denen Rohstoffe geprüft, Düfte zusammengemischt, Neuerfindungen getestet werden. Hier sind die Gerüche intensiver. Ein Bukett von Waschpulver, Duschgel, Lotion, Räucherstäbchen und Parfüm dringt an die Nase.

Im Flur steht eine Vitrine, gefüllt mit Glasfläschchen, deren Inhalt geheimnisvoll aussieht, und sich auch so liest: Eichenmoos, Moschushoden, Bibergeil, Castuswurzeln, Mimosenblüten. Teilweise uralt sind diese Rohstoffmuster, manche aber immer noch aktuell. "Wir verwenden Rohstoffe aus der ganzen Welt. Patschuli aus Indien, Lavendel aus der Provence, Iris aus dem südwestlichen Asien", sagt Andreas Storp, der gemeinsam mit seinem Bruder Ferdinand das Familienunternehmen Drom in dritter Generation führt. Mit der Produktion von reinen Parfümöl-Kompositionen besetzt Drom eine Nische des uralten Kunsthandwerks der Parfümherstellung. Seit mehr als 100 Jahren fabrizieren die Storps in ihrem traditionsreichen Familienbetrieb für Kunden in aller Welt ausgefeilte Duft-Arrangements.

Durch mehrere Türen, Treppen rauf, Treppen runter, geht es weiter in die Produktionshalle. Sie ist erfüllt vom Dröhnen und Zischen der Maschinen und vom aufdringlichen Odeur der Substanzen. Das Duftchaos raubt den Atem. Blumig, herb, süß, alles zusammen. In einem verglasten Bereich in der Mitte der Halle steht ein Herr im blauen Kittel. Er schaut in seinen Computer, läuft umher, drückt Tasten, geht wieder an den Computer. Von seinem zentralen Glasgehäuse aus steuert er die Zusammenstellung der Duftgemische. Aluminiumbehältnisse, gefüllt mit Duftölen, reihen sich in der Halle, säuberlich sortiert in Regalen. An der hohen Decke verlaufen Leitungen, die alle zu einer silbernen Schiene auf der gegenüberliegenden Seite des Raumes führen. An dieser Schiene sind Düsen angebracht, die aussehen, wie zylinderförmige Duschbrausen. Eine an der anderen, auf einer Länge von 20 Metern. Jede enthält ein anderes Parfümöl.

Gerade hält Düse Nummer 27 über einem Eisenbottich. Die Düse fängt an zu sprühen. Erst stark, dann schwächer, bis nur noch vereinzelte Tropfen in den Kessel plumpsen. Dann verschiebt sich die Düsenreihe und Nummer 82 gibt ihre Essenz ab, schwängert den ohnehin von Düften erfüllten Raum mit einer neuen Note. "Wer abends mit der S-Bahn Baierbrunn passiert, riecht genau, wer bei Drom arbeitet", sagt Ferdinand Storp auf dem Weg durch die Produktionshalle. Von hieraus werden Duftöle in die Welt verschickt. Die Kunden verarbeiten die Öle weiter zu Parfüms, Shampoos, Cremes. Als reiner Zulieferer des Duftes steht die Marke Drom dabei jedoch nie auf dem Produkt. Andreas Storp verrät nur so viel: "Die Leute haben sich schon hundertfach mit unseren Produkten eingecremt, ohne es zu wissen."

"Es gibt eine Überzeugungskraft des Duftes, die stärker ist als Worte, Augenschein, Gefühl und Wille. Die Überzeugungskraft des Duftes ist nicht abzuwehren, sie geht in uns hinein wie die Atemluft in unsere Lungen, sie erfüllt uns, füllt uns vollkommen aus, es gibt kein Mittel gegen sie."

Mit einer Apotheke fing es an

Die Geschichte des Familienunternehmens begann vor mehr als hundert Jahren. Der kunstbegeisterte Großvater der Storp-Brüder, Bruno Storp Senior, kam als junger Mann nach München, gründete eine Apotheke und begann mit der Entwicklung von Duft-, Haarwasser und Seifenprodukten. "Unser Großvater wollte Opernsänger werden, die Familie bestand aber darauf, dass er etwas Gescheites lernt", erzählt Ferdinand Storp. Sein Großvater war das achte Kind in der Familie. Die Stahlfabrik der Eltern erbte der Erstgeborene, so studierte er schließlich Pharmazie. "Einfach nur Apotheker sein - wir vermuten, das war ihm zu langweilig." Also verband er die Pharmazie mit seiner künstlerischen Ader und erfand Düfte. Berühmtheit erlangte seine "Storp Schwimmseife". Enkel Andreas schmunzelt. "Die stellen wir heute nicht mehr her. Aber wir haben die Formel im Schrank und können die Schwimmseife jederzeit basteln." 1921 holte der Großvater Dr. O. Martin in die Firma. Dessen Name stand für Kosmetik und fortan auch für die Firma: DR.O.M.

1935 eröffnete Bruno Storp Senior eine kleine Parfümerie in München, in der er Eigenkreationen verkaufte. Von dort aus entwickelte sich die Firma zu einem internationalen Spezialisten für Parfümöl-Kompositionen. Das Familienunternehmen ist mittlerweile mit 400 Mitarbeitern in 43 Ländern vertreten. "Wir produzieren in China nur für den asiatischen Markt, in Brasilien nur für den südamerikanischen. Eine Auslagerung der Herstellung aus Deutschland würde für uns keinen Sinn machen", sagt Ferdinand Storp. Denn die Parfümeure sind teuer - nicht die Produktion. Und die wertvollen Duft-Experten will Storp nicht auf die andere Seite der Welt versetzen. Sein Bruder ergänzt: "Chinesen haben einen anderen Geschmack als Südamerikaner oder Deutsche. Japaner finden zum Beispiel Hyazinth schrecklich, weil das Beerdigungsblumen sind. In Hongkong ist Kirscharoma verpönt, das wird im Hustensaft verwendet."

"Die Parfümherstellung ist weniger chemisch, sondern poetisch."

Doch das Geschäftliche ist für die Storp-Brüder aber nicht das Entscheidende. Ferdinand Storp sieht sich wie sein Großvater als Künstler. "Die Parfümherstellung ist weniger chemisch, sondern poetisch. Kein Chemiker kann den perfekten Duft am Computer entwerfen. Dazu braucht es Künstler", sagt Ferdinand Storp. Diesen Satz könnte auch aus dem Mund von Süskinds Maître Baldini stammen, der gelungene Düfte als Meisterwerke zu erschnüffeln wusste.

"Er sprenkelte einige Tropfen auf das Taschentuch, wedelte es durch die Luft, um den Alkohol davonzujagen, und hielt es sich dann unter die Nase. Mit drei ganz kurzen, ruckartigen Stößen riss er den Duft in sich hinein wie ein Pulver, blies ihn sofort wieder aus, fächelte sich Luft zu, schnüffelte noch einmal im Dreierrhythmus und nahm zum Abschluss einen ganz tiefen Atemzug."

Jan Fockenbrock sitzt gedankenversunken in seinem Sessel. Der Schreibtisch ist überladen mit kleinen Flakons, Kerzen, Fläschchen - Paris Rose, Agrumen, Jasmin. Ihm Regal hinter ihm stehen Weichspüler, Shampoos, Duschgele. Manchmal sei der Tisch so überladen, dass er gar nichts mehr sieht, sagt der Parfümeur. Er arbeitet seit sechs Jahren für Drom, zuerst in New York, jetzt in Baierbrunn. In seinem Büro entwirft er zehn bis 20 Düfte pro Tag, arbeitet parallel an etwa 15 Projekten. "95 Prozent meiner Kreationen werden nicht umgesetzt", sagt er nüchtern. "Es ist wichtig, dass man sich auch einmal verrennt, Grenzen überschreitet und dadurch Neues entdeckt."

Jan Fockenbrock muss gut und vor allem viel riechen. Am besten kann er das morgens, wenn die Nase noch nicht voll ist, sondern frisch und unverbraucht. "Unsere Arbeit ist sehr emotional und sensibel. Die Qualität meiner Kreationen hängt davon ab, wie ich mich fühle", sagt Fockenbrock und schnüffelt an einer Kerze. "Vanillegeruch", sagt er abwesend, "ein klasse Riechstoff."

Parfümeure hören nie auf zu arbeiten. Sie verbringen einen Tag am See, atmen die Frische des Wassers und das Herbe des Sumpfes ein. Sie spazieren durch den Wald, nehmen das Harz der Bäume, die Süße der Waldblumen wahr. "Oft hat man Blitzideen, das sind die besten", sagt Fockenbrock.

Die Kunst eines guten Parfümeurs ist es aber auch, sich einen Duft vorzustellen, ohne ihn zu riechen. "Ein Parfümeur ist ein Koch, der schon weiß, wie sein Gericht schmecken wird, bevor es fertig ist", sagt Ferdinand Storp. "Beethoven hat taub seine besten Stücke geschrieben. Er hatte sie im Kopf. Bei einem Parfümeur ist es das gleiche Prinzip", ergänzt Andreas Storp. Deshalb hat sich nach Ansicht der Storp-Brüder die Parfümherstellung seit dem achtzehnten Jahrhundert, wie Süskind sie beschrieben hat, bis heute gar nicht so viel verändert. "Natürlich sind wir nicht auf der Jagd nach Gerüchen von nackten Frauen. Aber das Motiv von Süskinds Protagonist Grenouille entspricht dem jedes Parfümeurs: die Erfindung des perfekten Parfüms."

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