Aying:Höhlenforscher

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Nach dem Fund eines 60 Meter langen Erdstalls macht sich in Aying Begeisterung breit. Gemeinde, Pfarrei und Bauarbeiter ziehen an einem Strang, um den einzigartigen Stollen zu erhalten. Mithilfe eines Stücks Holzkohle könnte dessen Alter ermittelt werden

Von Michael Morosow, Aying

Mehrere Mitarbeiter des Ayinger Bauamtes haben sich am Montagmittag mutig in ein unterirdisches Stollensystem gewagt. Unter gewöhnlichen Umständen hätten sie unmittelbar nach dem Einstieg Alarm schlagen müssen. In dem Tunnel fehlen Notausgänge, es gibt keine Beleuchtung, keine Stützpfeiler, nicht einmal eine Verschalung weisen die Wände auf. Nun gut, als Menschen diese Gänge und Höhlen gegraben hatten, gab es die bayerische Bauordnung noch nicht. Die Erdställe, auf die am vergangenen Donnerstag ein Baggerfahrer bei Bauarbeiten für den neuen Pfarrsaal gestoßen war, sind irgendwann in der Zeit zwischen 800 und 1200 nach Christus entstanden. Wann genau, weiß man nicht. Welchem Zweck diese eigentümlichen unterirdischen Stollen einst dienten, weiß man auch nicht. Aber eines weiß man: Sie sind eine kleine Sensation für die Erdstallforschung und eine große Herausforderung für die Gemeinde. Erst recht seit Dienstagfrüh, als ein kleiner Teil eines bis nahe an die Oberfläche gegrabenen Tunnelabschnittes den Erschütterungen durch Baumaschinen nicht mehr standhielt und auf mehreren Metern die Decke einbrach.

Dieter Ahlborn, ehrenamtlicher Erdstallforscher aus Aying, kann jedoch beruhigt sein: "Geschichte muss einem was wert sein", sagte Bürgermeister Johann Eichler am Dienstag und kündigte an, dass das eingestürzte Stück durch Betonröhren ersetzt und das gesamte unterirdische Bodendenkmal nicht nur erhalten, sondern begehbar bleiben soll.

Die Kosten seien überschaubar, "und wenn man sich die Begeisterung in Aying über den Fund anschaut, dann müssen wir das tun", sagte Eichler.

Forscher Dieter Ahlborn ist begeistert - auch über die Unterstützung in der Gemeinde. (Foto: Claus Schunk)

Die Begeisterung Ahlborns und seiner Mitstreiter von der Interessengemeinschaft Erdstallforschung (IGEF) gründet sich zum einen auf die mit circa 60 Metern Länge außergewöhnliche Größe der unterirdischen Anlage, vor allem aber auf ihren fast perfekten Erhaltungsgrad. Und dass der Ayinger Erdstall eine große Schlusskammer aufweist, macht ihn laut Ahlborn "einmalig in Oberbayern".

Dass der nahe der Oberfläche liegende Teil des Gangsystems einstürzen würde, sei schon vorher so gut wie klar gewesen, erklärt Bürgermeister Eichler. Aber dieser Bereich werde wiederhergestellt, damit die Verbindungen zu den anderen Gängen nicht unterbrochen werde. Die restlichen unterirdischen Gängen liegen deutlich tiefer unter der Erdoberfläche und sollten die Erschütterungen durch Baumaschinen schadlos überstehen. Und die große Schlusskammer befindet sich ohnehin außerhalb des Bauplatzes. "Die Bauarbeiter ziehen jetzt den Boden so zart ab, dass alles erhalten bleibt", freute sich Bauamtsleiter Günther Schön, und auch Dieter Ahlborn war trotz des kleinen Stolleneinbruchs auch am Dienstag noch bester Laune: "Ich habe das noch nie erlebt, dass eine Gemeinde so interessiert ist, der Pfarrverband so mitzieht und sogar die Bauarbeiter ein derart großes Interesse zeigen, das Ganze zu erhalten."

Noch am Montagabend saßen unter anderem der Bürgermeister, die Erdstallforscher und der Bauamtsleiter zusammen, um über Möglichkeiten zu beraten, die unterirdischen Gänge so weit wie möglich für die Nachwelt zu erhalten. "Wir haben das auf hemdsärmelige Weise gelöst", berichtete Rathauschef Eichler. Hemdsärmelig heißt in diesem Fall, dass ohne lange Erörterungen einfach festgelegt wurde, die Bodenplatte auf der Baustelle um 30 Zentimeter anzuheben, um damit weiteren Einstürzen vorzubeugen. Das dafür notwendige Placet durch das Landratsamt traf noch am nächsten Tag telefonisch ein.

Möglicherweise kann Erdstallforscher Dieter Ahlborn den unterirdischen Stollen doch noch ein Geheimnis entlocken - das ihrer Entstehungszeit. Ein aufgefundenes Stück Holzkohle soll zur Altersbestimmung untersucht werden. "Ein Bürger hat sich spontan bereit erklärt, dafür 100 Euro zu spenden", verriet Eichler.

© SZ vom 14.09.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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