Ausstellung:Künstlerinnen auf Gratwanderung

Die zehn Frauen der Gruppe Artso aus dem südöstlichen Landkreis bestücken im Foyer des Landratsamts erstmals alleine eine Ausstellung. Viele Mitglieder haben erst spät und gegen äußere Widerstände zur Kunst gefunden

Von Christina Hertel

Der Mensch ist ein sonderbares Wesen. Lebt in Gemeinschaft und ist doch alleine, macht sich schön und wirkt manchmal dadurch besonders hässlich, gibt sich Mühe außergewöhnlich witzig zu sein und ist bloß geschmacklos, hat hohe Ziele und schießt darüber hinaus. Verschiedene Geschichten vom Menschsein erzählt die Ausstellung "Gratwanderung", die noch bis Donnerstag, 24. Mai, im Foyer des Landratsamts am Mariahilfplatz in München zu sehen ist. Zehn Künstlerinnen zeigen dort Ölmalerei, Aquarelle, Collagen, Objekte aus Keramik, Zinn und Holz, die das ganze Leben abbilden: Menschen, die an Grenzen stoßen, die sich in ihren Träumen verlieren, die für den einen mutig sind und für den anderen dumm.

Elf Figuren sitzen beieinander, sie sind mit Fäden verbunden, doch sie schauen aneinander vorbei, ins Leere. Sie sind vernetzt, aber einsam. "Selbstversponnen" heißt die Arbeit von Frederike Hofmann. Sie will mit dem Werk darauf aufmerksam machen, dass sich Menschen zu häufig mit sich selbst beschäftigen und zu selten über den Tellerrand blicken. Hofmann ist 79 Jahre alt und auch Teil eines Netzwerks: Sie ist Mitglied bei "Artso" und eine von zehn Künstlerinnen aus dem südöstlichen Landkreis, die gerade zusammen 51 Arbeiten im Landratsamt zeigen.

Ausstellung: Uta Riess platzierte ihre Miniaturfiguren auf einem Stuhl.

Uta Riess platzierte ihre Miniaturfiguren auf einem Stuhl.

(Foto: Alessandra Schellnegger)

Ihre Gruppe stehe - anders als ihre Figuren - in einem regen Austausch miteinander, es gebe viele Treffen, lange Diskussionen, sagt Hofmann. Artso hat es sich zur Aufgabe gemacht, Frauen zu fördern und ihnen Möglichkeiten zu bieten, ihre Werke auszustellen. An Gemeinschaftsausstellungen hat sich Artso schon häufiger beteiligt, nun zeigt die Gruppe zum ersten Mal Arbeiten alleine. Frauenförderung in der Kunst - heute noch notwendig? Hofmann zögert. Dann sagt sie: "Wer qualitativ hochwertige Arbeit leistet und selbstbewusst auftritt, wird sich durchsetzen. Egal, ob Mann oder Frau." Gleichzeitig sei ihr bewusst, dass in der Vergangenheit die Welt anders ausgesehen habe. Und das bekam sie selbst zu spüren: Hofmann hätte gerne Kunst in Hamburg studiert. Doch ihr Vater habe sie gezwungen, ihre Leidenschaft aufzugeben und ein BWL-Studium zu beginnen. "An der Akademie haben sie mir gesagt: Wer malen will, malt - ob mit Studium oder ohne." Und Hofmann malte. Die Kunst, meint sie, habe sie gerettet - davor, dass sich ihre Welt eines Tages nur noch um Putzen, Kochen und Kinder drehte.

Ein anderes ihrer Werke zeigt das Artensterben, für das der Mensch verantwortlich ist, weil er keinen maßvollen Umgang mit der Natur findet. Hofmann zeichnete mit feinen Pinseln Schmetterlinge, die wie in einem Schaukasten nebeneinander liegen. Doch immer wieder bleibt ein Kästchen leer. In weißer Schrift auf grünem Grund steht daneben: Glyphosat - Fluch oder Segen? Obwohl sie eigentlich keine große Naturschützerin sei, will Hofmann nach eigenen Angaben zeigen, dass der Mensch lernen müsse abzuwägen.

Auch Beate Schubert aus Ottobrunn verdiente zunächst nicht mit der Kunst ihr Geld. Sie wollte Bildhauerin werden, doch die Eltern ließen sie nicht. Sie arbeitete als Innenarchitektin. "Früher habe ich Räume für Menschen gemacht und jetzt mache ich Menschen für Räume." Schubert stellt im Landratsamt unter anderem eine blaue, lebensgroße, nackte Frau aus, die sich eine Folie vom Gesicht zieht. "Lifting" ist der Titel des Werks. "Die Leute", sagt Schubert, "tun alles dafür, um jung zu bleiben und schön auszusehen. Doch das Ergebnis ist manchmal ganz schrecklich." 20 Jahre ist die Skulptur schon alt - doch immer noch aktuell.

Beide Künstlerinnen konnten zunächst nicht ihren Traum leben. Trotzdem wirken sie heute zufrieden. Hofmann sagt, sie habe durch das Wirtschaftsstudium viel gelernt. Schubert meint, manchmal sei es sogar besser, wenn man sich selbst etwas beibringen müsse. Auch Anja Schleicher, die Leiterin der Künstlergruppe, hat ihre Fähigkeiten auf keiner Universität erworben, sondern sich in vielen Seminaren, Akademien und Kursen immer weitergebildet. Sie kommt aus Brunnthal, arbeitete als Grafikerin und zeigt in der Ausstellung verschiedene Digitalcollagen, die abbilden, in welchen Bereichen Menschen überall abwägen müssen, um das Maß aller Dinge zu finden - bei der Ernährung, dem Sport, dem Humor, der Zuwanderung. Schleicher ist sich ebenfalls nicht sicher, ob es heutzutage Frauen tatsächlich noch schwerer haben, in der Kunst Fuß zu fassen. "Ich habe eher ein Problem damit, dass sich generell zu viele Menschen Künstler nennen." Sie selbst bezeichnet sich deshalb nicht so. Obwohl sich die Bedingungen für Frauen in der Kunst verbessert hätten, sei ihre Gruppe auf keinen Fall überflüssig. "Vielleicht", meint Schleicher, "sind Männer auch einfach mehr Einzelkämpfer als wir Frauen."

Die Ausstellung "Gratwanderung" ist bis 24. Mai jeweils montags bis donnerstags zwischen 8 und 17 Uhr, freitags zwischen 8 und 15 Uhr im Landratsamt zu sehen. Der Eintritt ist frei.

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