Ausblick 2018: Kinderbetreuung:Container und andere kreative Ideen

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Ein Platz in einer Kindertagesstätte wie hier in Haar in der Casinostraße ist keine Selbstverständlichkeit. (Foto: Claus Schunk)

Die Städte und Gemeinden im Landkreis tun sich schwer, den Rechtsanspruch der Eltern auf einen Betreuungsplatz für ihr Kind zu erfüllen. Trotz aller Anstrengungen gibt es vielerorts Wartelisten.

Von Nadja Tausche

Für jedes Kind vom vollendeten ersten Lebensjahr bis zum Schuleintritt steht den Eltern ein Betreuungsplatz zu. Im Landkreis tun sich fast alle Gemeinden und Städte jedoch schwer, diesen Rechtsanspruch zu erfüllen. Einerseits wächst angesichts des Zuzugs und der steigenden Zahl von Doppelverdienern die Nachfrage nach Betreuungsplätzen. Andererseits finden die Gemeinden, wenn sie genug Kindergärten und Krippen gebaut haben, oft nicht das nötige Personal, um diese zu betreiben. Denn Erzieher können sich von ihrem Gehalt die hohen Lebenshaltungskosten im Großraum München kaum leisten. In vielen Kommunen stehen deshalb Kinder auf Wartelisten für einen Platz in Krippe oder Hort. In anderen können momentan alle Kinder betreut werden. Aber auch dann hat die Gemeinde meist auf kreative Lösungen zurückgreifen müssen: Von Kitas in Containern über Betreuer aus dem EU-Ausland hin zur Belegung von Plätzen in Nachbargemeinden. Ein Überblick anhand von sechs Beispielen.

Unterschleißheim

In Unterschleißheim fehlt der Platz, um alle Kinder unterzubringen. 82 Kinder standen Ende Dezember auf der Warteliste für die Krippen, 29 auf der für die Kindergärten. Das liegt an Problemen bei Bauvorhaben. Eigentlich hätte auf dem ehemaligen Airbus-Gelände eine Kindertagesstätte gebaut werden sollen. Weil das Areal verkauft wurde, ist das Projekt vorerst auf Eis gelegt. Außerdem verzögert sich die Erweiterung der privaten Kindertagesstätte "Champini". Zwar brauchen laut sagt Thomas Stockerl, Referent des Bürgermeisters, nicht alle Kinder auf den Wartelisten sofort einen Platz. Manche Eltern haben ihr Kind schon für das kommende Kindergartenjahr angemeldet, andere warten auf eine bestimmte Einrichtung. Trotzdem muss die Stadt bauen, um neue Betreuungsplätze zu schaffen. Die Rathausverwaltung hat mit dem neuen Eigentümer des Business-Campus auf dem ehemaligen Airbus-Gelände verhandelt. Dort soll eine Einrichtung entstehen, auch im Büropark Microcity schafft die Stadt zusätzliche Plätze. Unterschleißheim hat im Moment 264 Krippen-, 947 Kindergarten- und 70 Tagesmütterplätze, die beiden Bauvorhaben sollen 150 zusätzliche Plätze bieten. Und auch in der Containereinrichtung am Meschendörferweg können Kinder untergebracht werden.

Haar

Bei der Planung neuer Betreuungseinrichtungen gibt es eine große Schwierigkeit: Vorherzusehen, wie viele Plätze die Gemeinde in Zukunft brauchen wird. Wie viele Kinder durch Neubaugebiete dazukommen, könne die Gemeinde noch einigermaßen abschätzen, sagt Ute Dechent, die Referentin der Haarer Bürgermeisterin. Aber: "Es ist schwierig, die Nachverdichtung zu kalkulieren", also wenn auf bereits bebauten Grundstücken größere oder zusätzliche Häuser entstehen. Die Zahl der Zuzüge könne man ebenfalls schlecht planen.

Auch in Haar wird gebaut, um den Bedarf an Betreuungsplätzen zu decken. Dieses Jahr beginnen die Arbeiten für eine Kindertagesstätte in Gronsdorf, eine weitere Kita ist im Jugendstilpark geplant. Im vergangenen Sommer ist eine Großtagespflege am Ahrntaler Platz eröffnet worden. Auch in Haar sind in einer Containeranlage am Wieselweg vorübergehend Krippengruppen untergebracht. Die Gebühren, die Eltern für die Krippen, Kindergärten und Horteinrichtungen der Gemeinde zahlen, steigen dabei jedes Jahr um drei Prozent. Das habe aber nichts mit den vielen Bauvorhaben zu tun, sagt Dechent, Gebührenerhöhung sei eine Standardentwicklung.

An der Bedarfsmessung der Gemeinde in Prozent ist erkennbar, wie viele Eltern ihre Kinder überhaupt in einer Einrichtung unterbringen wollen: 69 Prozent aller Eltern haben im Schuljahr 2016/17 einen Krippenplatz gebraucht, 98 Prozent aller Eltern einen Platz im Kindergarten und 75 Prozent wollten einen Platz im Hort. Dabei konnten laut Dechent nahezu alle Kinder untergebracht werden. Probleme gab es bei Inklusionsplätzen: Hier lag die Zahl der Kinder, die nicht berücksichtigt werden konnten, "im unteren einstelligen Bereich".

Ottobrunn

In Ottobrunn standen Ende Dezember 20 Kinder auf der Warteliste für die Krippen, 18 auf der für die Kindergärten. Dass aktuell nicht allen Kindern ein Platz angeboten werden kann, hat eine andere Ursache als in Unterschleißheim und Haar. "Baulich haben wir genügend Plätze", sagt Benjamin Zacher, Geschäftsführer der Kindertageseinrichtungen Ottobrunn GmbH, der Trägerfirma von sieben Einrichtungen in der Gemeinde. Aber: "Man muss sich als Träger echt was einfallen lassen, wie man gutes Personal generiert." Die Bezahlung sei schlecht, Wohnen im Landkreis teuer. Außerdem seien die meisten Beschäftigten Frauen und gingen irgendwann in Elternzeit, um danach häufig nur in Teilzeit zurückzukehren.

Die Eltern dieser Kinder können sich glücklich schätzen: Sie haben in Haar einen Kindergartenplatz bekommen. In einigen Gemeinden klappt das für viele zumindest nicht auf Anhieb. (Foto: Claus Schunk)

Zachers Lösung: Erzieher aus dem EU-Ausland anwerben. Betreuer zum Beispiel aus Spanien haben Pädagogik studiert, man müsse sie nur eingliedern, sagt er. Um Ottobrunn für ausländische Bewerber attraktiv zu machen, sei es nötig, dass die Gemeinde Wohnungen bereitstellt. Bezahlbare Wohnungen seien auch für inländische Betreuer ein gutes Argument, nach Ottobrunn zu kommen. Momentan leben aber nur drei Angestellte seiner Firma in Gemeinde-Wohnungen, so Zacher. 722 Kinder sind insgesamt in den Einrichtungen untergebracht, sagt Wolfgang Walter, Abteilungsleiter der Haupt- und Personalverwaltung der Gemeinde. Für die Kinder auf den Wartelisten stehe die Eröffnung einer Krippen- sowie einer Kindergartengruppe bevor.

Feldkirchen

Um einschätzen zu können, für wie viele Kinder Betreuungsplätze gebraucht werden, läuft die Bewerbung in vielen Gemeinden über ein Softwareprogramm. So ist es seit vergangenem Jahr auch in Feldkirchen. Mit dem Programm können sich die Eltern für einen Betreuungsplatz anmelden und ihre ersten drei Prioritäten angeben. "Man hat schneller aktuelle Zahlen", sagt Geschäftsleiter Heinz-Josef Reiser von der Gemeinde. Eltern können sich frühzeitig um einen Platz bewerben, und man könne besser planen.

In Feldkirchen waren zum Stand 1. September 2017 alle Kinder mit Rechtsanspruch in den 132 Krippenplätzen, 275 Kindergärtenplätzen und 290 Plätzen in Hort und Mittagsbetreuung untergebracht. Wartelisten gibt es keine. Für dieses Jahr deuten sich aber Schwierigkeiten an. "Wir haben schon vor Weihnachten reihum Absagen bekommen", klagte eine werdende Mutter bei der Bürgerversammlung. Sie fordert den Ausbau des Kindergartens Arche Noah. Reiser räumt Probleme ein. Von den fünf Trägern in der Gemeinde komme das Feedback, dass geeignetes Personal schwer zu finden sei. Und auch der Platz spielt in Feldkirchen eine Rolle: "Wir haben wie viele andere Gemeinden nicht ausreichend Räumlichkeiten", sagt Reiser.

Höhenkirchen-Siegertsbrunn

Was in Höhenkirchen vor allem fehlt, ist Transparenz. Deshalb sind einige Bürger selbst aktiv geworden, um die zu schaffen. Der Arbeitskreis "Kind und Familie" soll Fragen klären: "Wie werden Plätze vergeben, wann sind die Anmeldefristen, warum hat die Nachbarin einen Platz und ich nicht?", sagt Brigitte Richter, Gründungsmitglied des Höhenkirchner Arbeitskreises. Der Arbeitskreis werde von allen Fraktionen und Bürgermeisterin Ursula Mayer (CSU) unterstützt und sei für alle Bürger offen zur Mitarbeit, sagt Richter. Die Mitglieder haben sich in fünf Gruppen aufgeteilt, die sich etwa mit dem Thema Platzvergabe oder Ferienbetreuung beschäftigen.

Wie viele Kinder in Höhenkirchen-Siegertsbrunn trotz Rechtsanspruchs keinen Platz haben, dazu möchte die Gemeinde keine aktuellen Zahlen herausgeben. "Aber wenn 40 Leute kommen, ist das ein Thema, das bearbeitet werden muss", sagt Richter über die Gründungsveranstaltung im Oktober. Außer für Transparenz will der Arbeitskreis dafür sorgen, dass in Zukunft auch tatsächlich mehr Kinder betreut werden können. "Aber wir wissen nicht, ob wir Plätze schaffen müssen oder nur das Personal brauchen, um die Plätze zu besetzen", sagt Richter. Es müsse sich etwas ändern, denn Höhenkirchen-Siegertsbrunn solle ein lebenswerter Ort für Familien bleiben.

Putzbrunn

Wenn in der eigenen Gemeinde keine Betreuungsplätze mehr geschaffen werden können, dann bleibt noch eine Möglichkeit: Schauen, ob Nachbargemeinden Plätze übrig haben. Weil die Betreuer fehlten, konnte die vierte Gruppe der Kinderkrippe "Haus der kleinen Strolche" in Putzbrunn nicht mehr öffnen, einige Kinder konnten nicht untergebracht werden. Deshalb hat die Gemeinde überlegt, Plätze der "Champini"-Kita im Münchner Stadtteil Waldperlach in Anspruch zu nehmen.

Mittlerweile hat die Arbeiterwohlfahrt für ihr "Haus der kleinen Strolche" drei zusätzliche Betreuer gefunden. Damit kann die Gemeinde zwölf weiteren Kindern einen Krippenplatz anbieten und die vierte Gruppe im März wieder öffnen.

Bürgermeister Edwin Klostermeier (SPD) überlegt, die sechs Plätze in der "Champini"-Kita trotzdem zu belegen. "Wir wissen nicht, wie es ab September aussehen wird", sagt Klostermeier. Die Kooperation mit der Waldperlacher Kita würde immerhin Plätze für 25 Jahre sichern. Auch in der Nachbargemeinde Grasbrunn könnte Putzbrunn bei Bedarf ein paar Plätze belegen. Allerdings nur bis September, denn dann wisse Grasbrunn selbst nicht, wie es weitergehe und ob man die Plätze vielleicht selbst braucht.

Nachverdichtung, Einwohnerzuwachs und immer mehr berufstätige Eltern - laut Klostermeier ist es wahrscheinlich, dass sich die Situation weiter zuspitzt. Momentan gebe es 96 Krippenplätze und 225 Plätze in Kindergärten. Bis Ende 2017 hat die Gemeinde damit alle Bedarfsplätze bereitstellen können. "Wir haben es immer geschafft, auch über Einzelmaßnahmen alle Kinder zu versorgen", sagt Bürgermeister Klostermeier. Aber er sagt auch: "Mittelfristig werden wir das nicht schaffen."

© SZ vom 05.01.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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