Asylhelfer:Angekommen in der Realität

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In den Tennishallen in Keferloh demonstrierte der Landkreis im September vergangenen Jahres eindrucksvoll seine Hilfsbereitschaft. (Foto: Claus Schunk)

Als die ersten Flüchtlinge eintrafen, zeigten viele Menschen im Landkreis große Hilfsbereitschaft. Knapp zwei Jahre später herrscht Frust. Etliche Helfer sind erschöpft und enttäuscht von Politik und bürokratischen Hürden

Von Irmengard Gnau, Landkreis

"3+2", so lautet das Versprechen, das Gerlinde Reichart derzeit Hoffnung macht. Anfang August ist das neue Integrationsgesetz in Kraft getreten, das die Bundesregierung im Sommer beschlossen hat. Es soll unter anderem sicherstellen, dass Asylbewerber, die einen Ausbildungsplatz gefunden haben, diese Ausbildung auch zu Ende bringen können, also meist für einen Zeitraum von drei Jahren sich ihres Aufenthalts sicher sein dürfen. Finden sie danach eine "ausbildungsadäquate Beschäftigung", wie es beim Bundesarbeitsministerium heißt, wird eine Verlängerung der Aufenthaltsgestattung für zwei weitere Jahre erteilt.

Diese Regelung könnte eine neue Chance sein für Malick Niang und Khadim Samb. Die beiden jungen Männer sind aus dem Senegal nach Deutschland geflohen und leben als Asylbewerber in einer Unterkunft in Kirchheim. Mit viel eigenem Engagement und der Unterstützung des örtlichen Helferkreises um Gerlinde Reichart hatten beide einen Ausbildungsplatz gefunden, als Fachlagerist beziehungsweise Orthopädietechniker. Doch als ihre Asylanträge abgelehnt wurden, entzog die zuständige Ausländerbehörde im Landratsamt Niang und Samb die Arbeitserlaubnis - sie mussten ihre Ausbildung abbrechen.

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(Foto: Claus Schunk)

Ob Deutschunterricht,...

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(Foto: Claus Schunk)

...praktisches Anpacken bei der Essensausgabe in einer Notunterkunft,...

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(Foto: Florian Peljak)

...Unterstützung beim Bewirtschaften eines eigenen Ackers...

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(Foto: Claus Schunk)

...oder das Herrichten alter Fahrräder - im ganzen Landkreis setzen sich Bürger ehrenamtlich für Asylbewerber und deren Integration ein.

Manche Helfer haben das Gefühl, sie laufen gegen unüberwindbare Mauern

Für die Helfer ebenso wie für die Ausbildungsbetriebe ein Schlag ins Gesicht, hatten sie sich doch über die Maßen dafür eingesetzt, eine Stelle für die jungen Männer zu finden und diese so auch zu integrieren. "Natürlich ist es frustrierend, wenn man jemanden erfolgreich in Arbeit bringt und am Ende war alles umsonst", sagt Reichart. Die Unterstützer wollten Niang und Samb nicht aufgeben. Sie stellten einen Antrag bei der Ausländerbehörde, schrieben Briefe an Bayerns Ministerpräsident Horst Seehofer und den Münchner Landrat Christoph Göbel (beide CSU), reichten zwei Petitionen an den Landtag ein.

Nun gibt es einen Zwischenerfolg: Die Ausländerbehörde gestattete Samb und Niang, ihre Ausbildung ab September fortzusetzen - für sechs Monate. "Natürlich freuen wir uns über die Regelung", sagt Reichart. "Aber was ist danach?" Die Ungewissheit bleibt. Der Landtagsausschuss vertagte die Petitionen auf Oktober, nach der Sommerpause. Bei einigen Helfern im Landkreis schleicht sich das Gefühl ein, dass ihr Engagement an gewissen Stellen gegen unüberwindbare Mauern prallt. "Manchmal wiehert der Amtsschimmel so laut, dass man wütend werden kann", sagt Sabine Horak, Sprecherin des Helferkreises in Pullach, der knapp 100 Asylbewerber betreut.

"Man bekommt sehr viel zurück von den Menschen, aber es ist eine unglaubliche Herausforderung für unsere Helfer." Die Frusterlebnisse mehren sich. In Pullach fehle es vor allem an genügend geeignetem Wohnraum, sagt Horak. "Eigentlich ist das Problem allen im Rathaus bekannt, aber wenn es um konkrete Planungen geht, wird vertagt, vertagt, vertagt." Nicht gerade das, was man sich wünscht, wenn man sich in seiner Freizeit ehrenamtlich und freiwillig für eine gute Sache einsetzt. Es sei eine Erschöpfung zu erkennen bei den Helfern, beobachten auch Renate Grunow vom Helferkreis Grasbrunn-Vaterstetten und Yvonne Meininger, die den Ismaninger Helferkreis seit zwei Jahren koordiniert. Körperlich, zeitlich und auch emotional.

"Wir sind am nächsten dran an den Flüchtlingen."

"Das Grundproblem ist: Als Helfer sind wir das letze Glied in der Kette", sagt Meininger. Das bedeutet auch: "Wir sind am nächsten dran an den Flüchtlingen." Die ehrenamtlichen Helfer sind für die Asylbewerber oft die ersten Ansprechpersonen, sie erleben die Sorgen und Nöte hautnah mit - bei den oft existenziellen Fragen, die die Flüchtlinge umtreiben. Darf ein Flüchtling in Deutschland bleiben oder muss er zurückkehren in ein Land, das ihn in die Flucht getrieben hat, mit Gewalt, Krieg, Perspektivlosigkeit oder Diskriminierung? Wie lässt sich umgehen mit dem Furchtbaren, das ein Mensch auf der Flucht hat erleben müssen? Wie geht es der Familie, sind die Angehörigen noch am Leben? Welche Zukunft gibt es im Ankunftsland und was muss der Geflohene tun, um alle Anforderungen des deutschen Asylverfahrens zu erfüllen?

Eigentlich sollen die ehrenamtlichen Helfer vor allem Integrationsarbeit vor Ort leisten, den Neuankömmlingen ganz praktisch helfen, in ihrer neuen Heimat zurechtzukommen. Aufgaben wie die Beratung bei Behördengängen übernehmen offiziell die Sozialbetreuer, die je nach Kommune entweder direkt vom Landratsamt gestellt sind oder von Wohlfahrtsverbänden. Diese leisteten auch gute Arbeit, betonen die Helfer unisono. Den Hauptamtlichen könne man keinen Vorwurf machen, sagt Renate Grunow. Auch diese arbeiteten sich auf, die Verzahnung mit den Ehrenamtlichen funktioniere erstaunlich gut. Dennoch stelle sie sich manchmal die Frage: "Sind wir Flüchtlingshelfer oder Amtshelfer?"

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Bei einem Betreuungsschlüssel von einem Sozialbetreuer, der für 100, wenn nicht gar mehr Asylbewerber zuständig ist, bleiben Probleme immer noch oft genug bei den Helfern hängen. Einige von ihnen haben sich in den vergangenen Monaten unfreiwillig zu Experten in Asylrechtsfragen und zu Notfallpsychologen entwickelt. "Es war eigentlich zu wenig Zeit, die schönen Dinge miteinander zu machen", sagt Meininger rückblickend.

"Das frisst unglaublich viel Energie."

Das Scheitern an bürokratischen Hürden, die lange Ungewissheit, bis ein Asylverfahren schließlich entschieden ist, und nicht zuletzt für viele Helfer nicht nachvollziehbare politische Entscheidungen nähren Frust und Erschöpfung. "Man hat häufig das Gefühl, es wird geblockt", sagt Reichart. "Das frisst unglaublich viel Energie", ergänzt Meininger. Sie hat für sich die Konsequenz aus diesen Erfahrungen gezogen und gibt ihren Posten als Koordinatorin des Ismaninger Helferkreises zum Ende des Monats ab. Als freiwillige Helferin wird sie aktiv bleiben. Wer die Stelle künftig übernimmt, müssen Gemeinde und Caritas noch entscheiden.

"Die Situation ist nicht rosig, davor darf man die Augen nicht verschließen", bestätigt Sabine Horak. Die Helfer würden sich manchmal mehr konkrete Hilfe wünschen, dass das Landratsamt auch die Ehrenamtlichen mehr begleitet, weniger Bürokratie und mehr Menschlichkeit gegenüber den Asylbewerbern. "Für das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge sind es Nummern, für uns Helfer sind es immer Menschen", sagt Meininger. Die offiziellen Stellen müssten sich Gedanken machen, mahnt Grunow, einen Weg finden, etwa den Freiwilligendienst gesellschaftlich aufzuwerten. "Die Motivation lässt sich so nicht jahrelang aufrechterhalten", mahnt sie. Dabei brauchten die Neuangekommenen gerade jetzt noch viel Unterstützung.

Es gibt viel zu verbessern. In einem sind sich die Helfer gleichwohl einig: Sie werden sich weiter in ihren Kommunen für die Flüchtlinge und deren Integration einsetzen. Manchmal, meint Meininger, habe Frust ja auch den umgekehrten Effekt: "Dass man sagt: Jetzt erst recht."

© SZ vom 07.09.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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