Rinah:Rettung aus heiterem Himmel

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Im echten Leben sieht man Rinah, hier mit ihrer Mutter Patricia, selten ohne Mütze. (Foto: Claus Schunk)

Die 13-jährige Rinah aus Aschheim leidet unter Blutkrebs. Dank Stammzellen einer Spenderin aus den USA, die im Wettlauf mit der Zeit eingeflogen wurden, hat sie ein neues Leben geschenkt bekommen

Von Ulrike Schuster, Aschheim

Am 21. Oktober wird Rinah zum zweiten Mal Geburtstag feiern. An diesem Tag vor einem Jahr haben sich die Schüler des Max-Joseph-Stifts in der Aula versammelt, Kerzen angezündet und Blumen aufgestellt. Ihre Mitschülerin Rinah war nicht dabei.

Die 13-Jährige hing am Tropf. Fremdes Blut strömte durch ihre Adern. Das unsichtbare Geschenk: gesunde Stammzellen. Solche, die ihren Job ordentlich machen, die Blut bilden, das Sauerstoff durch den Körper transportiert, Blut gerinnen lässt und Infektionen abwehrt.

Rinahs körpereigene Zellen können das nicht, sie hat Blutkrebs. Das sagte ihr der Arzt im Mai 2015. Seitdem steht das Leben der jungen Aschheimerin Kopf: Untersuchungen, Wartezimmer, Gebote, Verbote, Müssen, Nicht-Dürfen, Mitleid, Beileid, Tabletten. Blutkonserven halten sie am Leben. Die letzte Rettung: ein genetischer Zwilling, der ihr Stammzellen spendet.

Die Lebensretterin wurde in den USA gefunden

Mama Patricia und viele Freunde helfen dem Zufall auf die Sprünge. Je mehr Menschen sich in der Knochenmarkspenderdatei der DKMS registrieren lassen, desto wahrscheinlicher findet sich der Zwilling mit dem austauschbaren Blut. 4309 Menschen wurde bei einer Typisierungsaktion Blut abgezapft - damit zählt "Gemeinsam für Rinah" zu den Top Ten in Bayern. Rinahs Lebensretterin wurde aber in den USA gefunden, in St. Diego. Sie ist 44 Jahre alt. Mehr darf die Schülerin nicht wissen. Der Datenschutz erlaubt es nicht.

Es war wie im Krimi: Ein Arzt setzt sich in den Flieger, düst mit dem Taxi ins Krankenhaus, packt den versiegelten Stammblutbeutel in den Koffer, fliegt zurück, das Lebenselixier auf dem Schoß hütend. Zu Hause sitzen Mutter und Vater am Laptop, wissen: Maschine LH 453, Abflug Los Angeles, 6 Uhr früh. Sie zittern vom Boden aus mit, in Gedanken sind sie in der Luft, beim Landeanflug atmen sie auf. Liegen zwischen Entnahme und Transplantation mehr als 72 Stunden, war alles umsonst.

Währenddessen wird Rinahs Immunsystem platt gemacht, um Platz für das gesunde zu schaffen. Am unspektakulärsten ist die Transplantation selbst: Blut läuft rein, fertig. Viel mächtiger ist die Wirkung. Alles schmerzt, sie kann kaum liegen, bekommt Mini-Chemos, damit die neuen Stammzellen nicht abgestoßen werden. Da entsteht kein Appetit, da ist viel Leere, sie wird künstlich ernährt.

Ein Post-it an der Tür: 2000 Leukozyten - das ist die Freiheit

Dann, nach Wochen, das befreiende Ergebnis: Die Blutwerte steigen, die Stammzellen müssen sich eingenistet haben. In Woche fünf klebt der Arzt ein gelbes Post-it an die Tür. Darauf stehen Zahlen, die sie in die Freiheit entlassen: 2000 Leukozyten, 217 000 Thrombozyten, Hämoglobin-Wert: 11,7. Alles normal, wie bei einem gesunden Menschen. "Ein Wahnsinnsgefühl, klar", sagt die 13-Jährige. Unbeschwerter Alltag ist aber noch lange nicht, es herrscht Schonzeit im Haus. Der Weg zurück ist hart.

Rinah wird jetzt wieder unterrichtet, die Lehrer der Hauptfächer besuchen sie zu Hause. "Das war natürlich lockerer als in der Schule, Hausaufgaben gab's aber trotzdem." Von daheim geht das Einkaufen viel bequemer und glücklicherweise hört Online-Shopping nie auf Spaß zu machen. "Vor Glück schreien, mach' ich aber nicht."

Außer wenn Florian David Fitz als Dr. Marc Meier den OP in "Doctor's Diary" betritt, einer von Rinahs Lieblingsserien. Sie liebt Serien, zur Zeit mal wieder "Grey's Anatomy", Geschichten aus dem harten Alltag junger Ärzte.

Aus dem eigenen Leben postet Rinah gerne Fotos auf Instagram, einem sozialen Netzwerk. Wie im echten Leben sieht man sie dort selten ohne Mütze, sie mag ihre "Krebs-Haare" nicht: krause blonde Locken. "Scheiße kurz", sagt sie beim Blick in den Spiegel. Einmal die Woche streicht sie eine Paste aus Senfpulver drüber, 30 Minuten Einwirkzeit. Das brennt, macht die Haare aber schneller wieder lang. "Sobald der Bob im Nacken sitzt, kommt die Mütze runter."

Dass die Sache mit den Haaren ein Riesenthema ist, muss Stylistin Mariya geahnt haben. Sie fragte Rinah, ob sie nicht Lust auf ein Fotoshooting hätte, mit Schminke, hüftlangem Kunsthaar, extravaganten Kleidern. "Und wie ich wollte, mich endlich mal wieder richtig stylen und schön fühlen." Mariya rückte mit Friseur und Fotograf an.

Nationalspieler Boateng hat zum Spenden aufgerufen

Mal posierte Rinah als Femme fatale auf den Stufen der Oper, mal als Rocker-Lady auf dem Motorrad. Die Fotos stehen gerahmt in Rinahs Kinderzimmer. Stylistin Mariya kannte Rinah nicht, sie hatte bloß von ihrer Geschichte gehört, sie wollte ihr eine Freude machen. Einfach so.

Die gleiche Absicht hatte Schulfreundin Pia. Fast täglich schrieb sie Rinah einen Brief, oft zwei Seiten mit Tinte und Briefmarke. Über zehn Monate - so lange war Rinah nicht in der Schule - hielt Pia sie über Lehrer, Quatsch und Gossip auf dem Laufenden. Normal fühlt sich ihr Leben seit den Osterferien an. Seitdem geht Rinah wieder in die Klasse 7b. Mit "normal" meint sie Struktur, Routine und das tun, worauf sie Lust hat - Alltag eben.

Am liebsten steht sie auf der Bühne, spielt Musical. Später will sie Schauspielerin oder Moderatorin werden. Ihr gefällt das Scheinwerferlicht, die große Aufmerksamkeit. Und sie mag Jérôme Boateng. Der Fußball-Nationalspieler lacht Rinah von einer Cola-Dose mit seinem Bild an. "Der hat mich beeindruckt", sagt sie. Auf seiner Facebookseite hatte der Bayern-Star zum Blutspenden für Rinah aufgerufen. Einmal hat sie ihn sogar getroffen. Das Wichtigste sei, mit dem Kämpfen nie aufzuhören, sagte Boateng zu ihr. Rinahs neuer Kampf heißt neues Schuljahr. Ein Kinderspiel. Sie ist andere Gegner gewohnt.

© SZ vom 10.09.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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