Armut im Landkreis:Mangel im Wohlstandsland

Im Landkreis München gelten mehr als 20000 Menschen als arm. Vor allem für Ältere, Alleinerziehende und große Familien sind die zum Teil horrenden Mieten ein existenzielles Problem.

Von Martin Mühlfenzl

Altersarmut, 2015

Viele Ältere drohen in die Armut abzugleiten. Sozialarbeiter kommen zu ihnen nach Hause.

(Foto: Catherina Hess)

Ottobrunn, Unterschleißheim oder Taufkirchen sind nicht Neukölln. Und dennoch lässt sich manches aus dem Berliner Problembezirk auch auf den Landkreis München übertragen. Franziska Giffey, die Noch-Bezirksbürgermeisterin von Neukölln und baldige Bundesfamilienministerin, sagte in einem Interview mit der Deutschen Welle: "Die Frage ist, kümmern sich Eltern wirklich um ihre Kinder. Geben sie ihnen das mit, was sie an Unterstützung brauchen." Wenn sie das nicht täten, so die Sozialdemokratin weiter, "müssen wir das tun, dann brauchen wir starke staatliche Institutionen".

Giffey zeichnet für einen Bezirk mit etwa 330 000 Einwohnern verantwortlich, in dem der Anteil von Schülern mit Migrationshintergrund teilweise 70 Prozent beträgt. Christoph Göbel (CSU) ist Landrat eines Landkreises mit 350 000 Einwohnern, in dem ein Gymnasium nach dem nächsten entsteht - und manche Probleme doch ganz nach denen in Berlin klingen. "Wir müssen die Armut in allen Lebenslagen beobachten und gefährdete Gruppen ausmachen", sagte Michelle Flohr, die im Landratsamt die Sozialplanung verantwortet, im Jugendhilfeausschuss des Landkreises bei der Vorstellung des Armutsberichtes. "Wenn es um Familie geht, sind vor allem viele Maßnahmen zur Prävention wichtig, wie Erziehungsberatungsstellen, die Familienstützpunkte, die Jugendsozialarbeit an Schulen." Der Staat, in diesem Fall der Landkreis, sagte Flohr, sei in der Pflicht bei der Armutsbekämpfung und Vermeidung.

Im Jahr 2010 hat der Landkreis München erstmals einen Armutsbekämpfungsplan erstellt, der seitdem immer weiter fortgeschrieben und weiterentwickelt wird. Denn Armut ist auch im reichen Landkreis München, in dem seit Jahren Vollbeschäftigung herrscht, ein Thema: Etwas mehr als 6000 unter 18-Jährige etwa beziehen in den 29 Städten und Gemeinden Grundsicherung; damit liegt die Armutsquote unter Kindern und Jugendlichen bei etwa zwei Prozent. Von den 350 000 Bürgern im Landkreis gelten etwa sechs Prozent als arm - also in etwa 21 000 Menschen.

Sozialarbeiter kümmern sich um die Kinder in den Schulen

Die Gründe, warum Menschen in dieser Wohlstandsregion in Armut abrutschen oder aus ihr nicht mehr herauskommen, sind vielfältig. Was in den seltensten Fällen zur existenziellen Bedrohung wird, ist der Verlust des Arbeitsplatzes. "Der Arbeitsmarkt ist nicht das Problem", sagte Landrat Göbel. "Die Lage auf dem Arbeitsmarkt ist so gut, dass die Menschen kaum und selten um ihre Stelle fürchten müssen." Vielmehr, das machte auch Michelle Flohr deutlich, führe die anhaltend angespannte Lage auf dem Wohnungs- und Immobilienmarkt zu ernsthaften Bedrohungen. Es gibt laut Flohr im Landkreis München so etwas wie die "Wohnungsarmut". Betroffen hiervon, von den horrenden Mietpreisen und dem Mangel an Wohnungen, seien vor allem "Ältere, Alleinerziehende und große Familien".

Um an diese Personen und Gruppen heranzukommen, hat die Kreispolitik in den vergangenen Jahren ein Bündel an Maßnahmen entwickelt, das die Grünen-Kreisrätin Brigitte Huber als "breit und vielfältig" würdigte. Der Landkreis sei "sehr gut zielgruppenorientiert aufgestellt", sagte Huber, wenn es darum gehe, "die sehr persönlichen Gründe für Armut" zu eruieren und nach Lösungen zu suchen. Dazu gehört vor allem die Jugendsozialarbeit an Schulen (Jas). An allen Schulen des Landkreises kümmern sich professionelle Sozialarbeiter um Kinder und Jugendliche, die besonderer Unterstützung bedürfen - und die diese zu Hause nicht in ausreichendem Maße erhalten. Bildung sei eine der wichtigsten Präventionsmaßnahmen, um vor Armut zu schützen, sagte Landrat Göbel.

Zudem ist die aufsuchende Sozialarbeit um vier Stellen aufgestockt worden: Die Mitarbeiter kümmern sich um Senioren, kommen zu diesen nach Hause und nehmen Rücksicht auf ein besonderes Problem, das mit Armut verbunden ist: Scham.

Der Plan zur Armutsbekämpfung müsse konsequent in Zusammenarbeit mit allen Kommunen und Sozialpartnern weiterentwickelt werden, sagte der Landrat. Der Landkreis selbst kann neben den Sozialleistungen weitere Beiträge leisten: So liegt die Quote von schwerbehinderten Beschäftigten im Landratsamt mit zehn Prozent weit über der gesetzlich vorgeschriebenen.

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