Landrat Christoph Göbel:Anpacken und anecken

Auszeichnung für ehrenamtliches soziales Engagement im Landkreis, Ismaning, Bürgersaal

Kein Rebell, sondern ein Mann, der praktische Lösungen sucht - der CSU-Landrat für den Kreis München, Christoph Göbel.

(Foto: Florian Peljak)

"Fehler", "fatal": Christoph Göbel ist CSU-Landrat im Landkreis München und kritisiert beim Thema Flüchtlinge auch mal die eigene Partei. Über einen rastlosen Pragmatiker, dem viele auch einen Ministerposten zutrauen. Über einen rastlosen Pragmatiker, der sich niemals verbiegen lassen möchte.

Von Martin Mühlfenzl

Wenn er den Kopf leicht nach links hinten reckt, ist klar, was gleich passieren wird. Erst grinst Christoph Göbel spitzbübisch in die Runde der Kreisräte im kleinen Sitzungssaal im Landratsamt am Mariahilfplatz. Dann stößt er sich mit den Händen vom ovalen Tisch blitzschnell nach hinten ab und rollt mit seinem Bürostuhl in Richtung Wand. Dort steht das Büffet mit einer reichhaltigen und gleichermaßen leichten Auswahl an Schnittchen, das als das beste im Landkreis München gilt. Zumindest in den politischen Gremien.

Wenn der Landrat des Landkreises Münchens dann an den Tisch zurückgerollt kommt, erwartet ihn aber auch schwere, etwas unverdaulichere kommunalpolitische Kost. Und das nicht erst seit dem Sommer 2015, als Deutschland seine Grenzen öffnete und mit den Zehntausenden Flüchtlingen, die gewissermaßen über die verlängerte Balkanroute München und auch den Landkreis erreichten. Als schlagartig die Aufgaben der Landkreise und Kommunen explodiert sind.

Dass der 42-jährige Göbel in seiner Partei, der CSU, aber vor allem weit darüber hinaus seit seinem Amtsantritt 2014 an Statur gewonnen hat, liegt an seiner Haltung in der Flüchtlingsfrage. An seiner zupackenden Art, wenn es darum geht, schnell Lösungen zu finden. Und insbesondere daran, dass Göbel kein Blatt vor den Mund nimmt, wenn er das Gefühl hat, dass den Kommunen, Städten und Landkreisen Steine in den Weg gelegt werden. Durch seine Partei. Durch die Staatsregierung.

"Wirklich herausragend", sagt der Grünen-Fraktionschef

"Man kann mit Christoph Göbel und der CSU bei uns im Landkreis in vielen Bereichen unterschiedlicher Meinung sein. Aber wie er die Flüchtlingspolitik gestaltet, ist wirklich herausragend", sagt der Fraktionssprecher der Grünen im Münchner Kreistag, Christoph Nadler. Die stellvertretende Landrätin Annette Ganssmüller-Maluche von der SPD, die Göbel bei der Wahl 2014 unterlegen war, sagt: "In dieser Frage können wir froh sein, ihn zu haben." Und Göbel selbst postet auf seiner Facebook-Seite schon mal einen Bericht über Angela Merkels Haltung zum neuen US-Präsidenten und schreibt darunter, von ihm aus könne es nach der nächsten Bundestagswahl gerne mit Merkel als Kanzlerin weitergehen. Während sich auch in seinem eigenen Kreisverband die Stimmen mehren, die sagen, Merkel sei nicht mehr ihre Kanzlerin.

Göbel aber ist kein Rebell. Er ist auch kein Grüner oder ein Genosse im Gewand des Christsozialen. Der 42-Jährige ist vielmehr ein ausgesprochener Pragmatiker, der gewissermaßen am untersten Ende der Hierarchie-Kette Entscheidungen in reale Politik umsetzen muss, die auf sehr viel höheren Ebenen getroffen werden. Dazu gehörte zunächst natürlich die Entscheidung, im Herbst 2015 die Grenze zu öffnen. Als Hunderte, Tausende am Münchner Hauptbahnhof ankamen, war es Göbel, der Freiwillige, Gemeinderäte, Feuerwehrler, Sanitäter und viele mehr mobilisierte, um kurzerhand das in die Jahre gekommene Tenniscenter Keferloh in eine Notaufnahmeeinrichtung umzuwandeln. Eine Möglichkeit, für die sie in der Landeshauptstadt sehr dankbar waren.

Seine Frau Ochmaa und seine beiden kleinen Buben haben den Rastlosen in dieser Zeit nur selten zu Gesicht bekommen. Christoph Göbel sagt aber, dass sein Zuhause ihm den nötigen Rückhalt und die Ruhe gibt, die er braucht. Und seine Frau hat einen nicht unwesentlichen Anteil an seiner - viele sagen - liberalen Haltung in der Flüchtlingspolitik. Ochmaa Göbel kommt ursprünglich aus der Mongolei, wo die Familie in der vergangenen Woche auch das mongolische Neujahrsfest feierte. Die beiden haben sich auf dem Oktoberfest kennengelernt; sie war dort als Übersetzerin für eine mongolische Delegation, er noch als Gräfelfinger Bürgermeister und stellvertretender Landrat. Die Herkunft seiner Frau, sagt Göbel, habe ihn natürlich nachhaltig beeinflusst: "Ich kann nachvollziehen, mit welchen Gefühlen und Stimmungen Menschen anderen Kulturen begegnen und was sie zum Teil dabei durchmachen." Diese Haltung verleihe ihm, vermutet er, bei dem sensiblen Thema der Migration "wohl mehr Glaubwürdigkeit".

Und sie zwingt ihn, zu kämpfen, wenn er Ungerechtigkeiten wittert und seine Arbeit und die seiner Behörde und des Landkreises gefährdet sieht.

Wenn etwa immer neue Regularien und Gesetzespakete - oft Verschärfungen -, aus der Staatskanzlei und dem Sozialministerium auf den Weg gebracht werden und dann über die Regierung von Oberbayern ihren Weg bis auf die kommunale Ebene finden.

Christoph Göbel hat sehr früh für sich entschieden, alle relevanten Gestalter und Entscheider in der Frage der Unterbringung und menschenwürdigen Behandlung von Flüchtlingen mit ins Boot zu holen: die Bürgermeister, Kreisräte aller Parteien, die Ehrenamtlichen, die Polizei und vor allem die Bürger. Und gerade Letztere haben es ihm nicht immer leicht gemacht.

Eine Welle der Empörung

Ein Abend in der Gemeinde Ottobrunn im vergangenen Jahr. Im Wolf-Ferrari-Haus, dem Ortszentrum, haben Bürgermeister Thomas Loderer (CSU) und der Landrat zu einer Informationsveranstaltung geladen; es geht um eine Siedlung für etwa 500 Flüchtlinge, die in dem Ort entstehen soll. Als Göbel die Treppe zum Festsaal hinaufgeht, ist er noch bester Dinge, obwohl es "schon ein arbeitsreicher und schwerer Tag" war, wie er sagt. Aus schwer wird an dem Abend hart - unerträglich eigentlich für einen Mann, der auf Argumente und Diskurs setzt. Aber das würde Göbel so nicht sagen. Ihm und Loderer schlägt eine Welle der Empörung entgegen, immer wieder begleitet von Zwischenrufen aus den Reihen der Empörten, selbst Nazivergleiche bleiben nicht aus.

An vielen anderen Abenden widerfährt dem CSU-Landrat Ähnliches. Mal heftiger, mal etwas sachlicher. Immer aber sind es Ängste, gegen die Göbel anreden muss.

Da hilft es freilich wenig, dass ihm die Staatsregierung immer wieder Steine in den Weg legt. So zumindest erlebt er das. Der Landkreis München wendet den sogenannten Königssteiner Schlüssel konsequent auf seine Kommunen an; strikt nach Bevölkerungszahl weißt das Landratsamt Flüchtlinge zu. Und die 29 Städte und Gemeinden wissen, dass sie in Form von Unterkünften ihren Beitrag leisten müssen. Doch dann kam im vergangenen Jahr der Baustopp neuer Unterkünfte. Von einem Tag auf den anderen durfte das Landratsamt selbst bereits genehmigte Bauten nicht weiter verfolgen. Die Kommunen und mit ihnen der Landrat standen dem Beschluss fassungslos gegenüber. "Ein Riesenfehler", sagte Göbel damals. Mittlerweile besteht diese Vorgabe nicht mehr.

"Der Freistaat lässt uns hängen!" Diesen Satz sagte Göbel in den Etatverhandlungen des Landkreises. Damals kritisierte er heftig, dass die Staatsregierung immer mehr Aufgaben auf die Landkreise abwälze, aber nicht für das notwendige Personal zahle. Dieser Frontalangriff ließ in der Folge auch andere CSU-Landräte in den Chor der Kritik einstimmen.

Seit kurzem geht die Staatsregierung auch deutlich restriktiver bei der Vergabe von Arbeitserlaubnissen vor, insbesondere bei Flüchtlingen mit geringer Bleibeperspektive. Göbel nennt das "falsch und fatal". Überall dort, wo viele Menschen lange auf engem Raum zusammen leben müssten, sagt der Landrat, gebe es sozialen Sprengstoff. "Wir müssen sie beschäftigen. Sie müssen in Ausbildung und in Arbeit", sagt Göbel. "Das ist der richtige Weg, um Auseinandersetzungen zu verhindern. Unabhängig von der Bleibeperspektive." Und als Jurist, der er nun mal ist, sagt er: "Wir nutzen da in unserer Behörde den Spielraum, den wir haben. Bei uns werden keine Arbeitserlaubnisse verweigert. "

Eine Stabsstelle Asyl

Zu seinen Leistungen gehört es auch, die Flüchtlingsarbeit professionalisiert zu haben. Im Landkreis München gibt es hierfür die eigens geschaffene Stabsstelle Asyl mit derzeit etwa 80 Mitarbeitern. Hier wird alles koordiniert, was im bevölkerungsreichsten Landkreis des Freistaats mit Schutzsuchenden zu tun hat - von der Unterbringung über die Arbeit der Helferkreise bis zur Jobsuche.

Viele in der CSU fragen sich, ob einer wie Christoph Göbel in der Partei noch etwas anderes werden könnte. Auf Landesebene? Minister? Er selbst kann und will das nicht beantworten. "Ich werde mich nicht verbiegen lassen. Sonst könnte ich nicht mehr in den Spiegel schauen."

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