Anti-Atom-Demo in München:Strahlendes Comeback

Lesezeit: 5 min

80er-Jahre-Stimmung in München: Zehntausende protestieren gegen die Atompolitik der Bundesregierung - und bilden eine kilometerlange Menschenkette durch die Innenstadt. Besonders häuftig zu sehen: Die gelbe Fahne mit der lachenden roten Sonne.

Kathrin Haimerl

12.30 Uhr, Staatskanzlei. Noch ist es verhältnismäßig ruhig. Moderator Urs läuft durch die Grüppchen, die sich am Karl-Scharnagl-Ring versammelt haben. "Servus, ich bin der Urs", sagt er zu einer Frau mit kurzen, blonden Haaren, die eine gelbe Tonne mit sich rumträgt. Atommüll steht drauf. "Servus", sagt sie, "ich bin die Eva, ich komm aus Ingolstadt." Die Eva heißt mit Nachnamen Bulling-Schröter und sitzt für die Linke im Bundestag. Bei der Auftaktkundgebung vor der Staatskanzlei ist sie ganz richtig. Die Linke-Anhänger scheinen hier in der Überzahl zu sein.

Der rote Smiley auf gelbem Grund - er ist seit Jahrzehnten das Markenzeichen der Anti-Atomkraft-Bewegung. Das ist auch bei der Demonstration in München nicht anders. (Foto: dapd)

Es ist Großdemo in München. Ein überparteiliches Bündnis hat zur "Kettenreaktion" aufgerufen. Die Bezeichnung hat schon einmal funktioniert - beim Nichtraucherschutz. An diesem Samstag geht es um Atomkraft im allgemeinen und um den Atomkompromiss der schwarz-gelben Bundesregierung im Besonderen. Hier in München wollen sie es nun den Berlinern nachmachen, die Mitte September das Regierungsviertel umstellt haben. Eine Menschenkette wollen sie auf zehn Kilometern durch die Innenstadt spannen - und zwar entlang der Institutionen, die das Bündnis mitverantwortlich macht für den Pro-Atom-Kurs der Berliner Koalition. Die Linie verläuft von der CSU-Zentrale in der Nymphenburger Straße über den Münchner Standort des Energieriesen Eon in der Brienner Straße, entlang der Staatskanzlei sowie des bayerischen Wirtschafts- und Umweltministeriums.

"Ende Oktober will die Regierung das Energiekonzept durchpeitschen", sagt Bulling-Schröter. Sie spricht von einem Vertrag "zwischen den Energiekonzernen und der Bundesregierung": "Das ist absolut undemokratisch." Den Anwesenden hier vor der Staatskanzlei gefällt das, dafür gibt es Applaus.

Am Rand verteilt eine Frau gelbe Bänder an die Umstehenden. "Nehmt die Ketten", sagt sie zu zwei jungen Mädchen. "Das haben wir früher auch schon so gemacht. Und außerdem ist es ein schönes Andenken an die Demo." Die Bänder also sollen zur Verlängerung der Menschenkette dienen, falls nicht genügende Leute kommen. Die Sorge der Frau sollte unbegründet sein: Am Ende werden die Veranstalter von 50.000 Teilnehmern sprechen, die Polizei freilich von weniger. Von deren Seite ist zu hören, es seien 20.000 gekommen.

Die Frau, die die gelben Bänder verteilt, heißt Angelika Lüdemann. 58 Jahre alt ist sie und aus Nürnberg angereist. Die Demo, von der sie eine Kette als Andenken mitgenommen hat, das war die Menschenkette zwischen Stuttgart und Ulm. "Das war schon eine größere Aktion", sagt sie. Trotzdem. Froh ist sie, dass die Leute wieder auf die Straße gehen. "Ich finde das richtig. Zumal vor dem Hintergrund der unsäglichen Äußerungen in Zusammenhang mit Stuttgart 21." So einfach lassen sich die Bürger ihr Recht zu demonstrieren nicht abspenstig machen, soll das heißen. Und das sei gut so.

Demo gegen Atomkraft
:100.000 gegen die Kernenergie

Das Regierungsviertel ist umzingelt: Bei einer der größten Anti-Atom-Demos aller Zeiten machen in Berlin etwa 100.000 Menschen ihrem Unmut über die geplante Laufzeitverlängerung Luft. CDU-Generalsekretär Gröhe nannte den Protest unglaubwürdig.

Ortswechsel. Es ist 13.30 Uhr. Menschen belagern den Königsplatz. Im Hintergrund singt jemand zur Melodie von Janis Joplins Mercedes Benz: "Lieber Gott, bitte schenk mir ein kleines Akw". Der Rest geht im Raunen der Menge runter. Auf der Wiese liegen Punks und sonnen sich. Ein kleiner Bub mit Greenpeace-Weste klettert auf ein Podest und ruft mit heller Stimme in ein Megaphon "Abschalten! Abschalten!". Es herrscht ein buntes, friedliches Durcheinander.

Anti-Atom-Demo in München
:50.000 gegen die Atomkraft

Größte Ant-Atom-Demo seit Wackersdorf: In München haben Zehntausende gegen die Atompolitik der Bundesregierung demonstriert. Quer durch die Innenstadt bildeten die Demonstranten eine kilometerlange Menschenkette.

Bildern.

Besonders häufig zu sehen: die gelbe Fahne mit der lachenden roten Sonne und dem Schriftzug "Atomkraft? Nein Danke". Es ist der Button der Anti-Atomkraft-Bewegung der 80er Jahre.

Mitten in der Menge ist eine Gruppe zum beliebten Fotomotiv geworden. Zwei Mädchen halten Plakate hoch, die Angela Merkel mit herabhängenden Mundwinkeln als Che Guevara zeigen: Revolution, fordern sie. Der zwölfjährige Michael in der Mitte hält ein anderes Plakat hoch, das Frau Merkel mit dem bösen Mr. Burns aus der Simpson-Serie vergleicht. Aus Dingolfing seien sie angereist, sagt Hubert Kern, der so etwas wie das Familienoberhaupt zu sein scheint. Sie wohnen nur wenige Kilometer entfernt von dem ältesten Meiler in Bayern, Isar 1. Sicher vor dem Atomkraftwerk habe er sich noch nie gefühlt, sagt Kern.

Mit seinen 50 Jahren ist er demonstrationserfahren. "Ich war dabei, als 8000 Polizisten gegen 1500 Demonstranten vorgegangen sind", sagt er - und meint damit die Großdemos in Wackersdorf. Und: "Es kann mir keiner erzählen, dass Isar 1 in den letzten 30 Jahren sicherer geworden ist. Kein Auto wird sicherer, wenn es 30 Jahre älter ist." Der Mann muss wissen, wovon er spricht. Er ist Maschinenbauer.

14 Uhr ist es inzwischen. In der Münchner Facebook-Gemeinde hat sich diese Uhrzeit herumgesprochen. Die Sportfreunde Stiller sollen zusammen mit einem Teil von La Brass Banda im Rahmen der Anti-AKW-Demo auftreten. Und zwar im Marienhof hinter dem Rathaus. Eine Gruppe aus vielleicht 200 Menschen hat sich gebildet. Und tatsächlich: Peter Burger, der Sänger der Sporties, stimmt "ein Kompliment" an. "Superlässig, dass die da mitmachen", sagt einer der Demonstranten.

Währenddessen bringen sich die Menschen vor der Staatskanzlei in Stellung. Mittendrin: Die Grünen-Landtagsabgeordnete Margarete Bause, die sich hinter ein großes Plakat gestellt hat und "abschalten, abschalten!" in Richtung Staatskanzlei skandiert. Ihre Mitstreiter schwenken die Fahnen der Grünen. "Wir hatten geglaubt, die Zeiten seien vorbei, dass wir auf die Straße gehen müssten", sagt sie.

Da stehen sie also wieder. Mit Trillerpfeifen und den Aufklebern mit der roten, lachenden Sonne. Ein Mann löst sich kurz aus der Reihe und ruft in Richtung Staatskanzlei: "Hörst Du, Seehofer! Abschalten!" Drüben tut sich nichts, die Fenster bleiben dunkel.

Irgendwo in der Reihe zwischen Staatskanzlei und dem Odeonsplatz wehen mehrere österreichische Fahnen, eine davon schwenkt Reinhilde Spiekermann. 49 Jahre alt ist sie. Über ihre Ohrringe hat sie zwei Rote-Sonne-Aufkleber geklebt. Zum Anlass passend steckt die resolute kleine Frau zwischen zwei Pappdeckel. Vorne hat sie mit dickem Filzer drauf geschrieben: "Lieber heute aktiv als morgen radioaktiv". Auch den Spruch kennt man aus den 80ern. Und da war Reinhilde Spiekermann auch schon mit dabei.

An diesem Samstag also bezieht die Oberösterreicherin Stellung in München, denn: "Die radioaktive Wolke macht ja nicht an der Grenze halt." Neben ihr steht Tochter Monika, 14 Jahre alt. Sie nickt energisch. Auf ihr Schild hat sie mit geschrieben: "Ich strahle auch so", - ein dicker Smiley prangt daneben. "Das muss man sich mal vorstellen", sagt die Jugendliche aufgeregt: "Das sind 1000 Generationen, die der Atommüll überlebt."

15.30 Uhr. Odeonsplatz, Abschlusskundgebung. Noch trommeln sie vorne auf der Bühne. Die Stimmung in der Menge ist gespannt. Das Gedränge ist groß, schon klar. Aber sind tatsächlich genügend gekommen, damit die Menschenkette geschlossen werden konnte? Vorne sagt einer ins Mikro: "50.000 Menschen sind hier in München." Applaus kommt auf. Wenige Zeit später spricht Münchens Oberbürgermeister Christian Ude. Er greift die Bundesregierung an, die "keinen Respekt mehr zu kennen scheint vor Sonne, Wind und Wasser". Und die die Atomkraft für "die Krone der Schöpfung auf Erden hält". Dafür gibt es Applaus. "Dass wir jetzt wieder auf die Straße gehen müssen, ist dem Wortbruch der schwarz-gelben Regierung zu verdanken", sagt er. Und trifft damit die Stimmung in der Menge.

"Unverschämt ist das", sagt eine alte Frau, die sich gebeugt auf ihren Stock stützt. 82 Jahre alt ist sie nun. Und steht in der Menge, um ein Zeichen zu setzen. Ein einziges Wort hat die Frau auf ihr Plakat geschrieben: "Abschalten!" steht da mit dickem Filzer. Die Protestbewegung ist zurück.

© sueddeutsche.de - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: