Ärztestreik in München:Wunden nähen statt streiken

In der Notaufnahme des Schwabinger Krankenhauses ist vom Arbeitskampf der Münchner Ärzte nichts zu spüren. Sebastian Sepp, der Chirurg vom Dienst, wäre trotzdem "gern dabei".

S. Handel

Es ist sehr ruhig in der Eingangshalle des Schwabinger Krankenhauses - ab und zu fährt draußen ein Auto vor, dann stehen Besucher am Übersichtsplan und versuchen herauszufinden, wo sie hinmüssen. Alte Männer in Morgenmänteln schlurfen herum, eine Mitarbeiterin wechselt einen defekten Stuhl aus, und alle 15 Minuten kommt das Klinik-Taxi vorbei, ein kleiner Elektrowagen, der Besucher, Patienten und Personal durch die weitläufigen Gänge chauffiert.

Ärztestreik

Im Schockraum in der Notaufnahme des Schwabinger Krankenhauses werden 24 Stunden am Tag Schwerstverletzte versorgt.

(Foto: Foto: Catherina Hess)

Auch Sebastian Sepp ist ganz entspannt; er trägt Piepser und Turnschuhe, was vielleicht die Insignien seines Stands sind: Er ist Unfallchirurg und arbeitet in der Nothilfe der Klinik. Nein, sagt Sebastian Sepp, vom Ärztestreik ist in seiner Abteilung nichts zu spüren.

Seit Montag sind die Ärzte an kommunalen Krankenhäusern in den Ausstand getreten, 150.00 in 200 Kliniken bundesweit sind es, sagt der Marburger Bund, die Gewerkschaft der angestellten Ärzte. 4000 kamen zur Auftakt-Kundgebung auf dem Stachus. In München wird das Städtische Klinikum bestreikt, das sind die Häuser in Harlaching, Bogenhausen, Neuperlach, an der Thalkirchner Straße und eben in Schwabing.

Etwa die Hälfte der rund 1400 Mediziner soll sich am Ausstand beteiligen, sagt der Marburger Bund. Doch der Patient oder der Besucher in Schwabing wird davon nur das mitbekommen, was in der Zeitung steht.

Im Fall von Sebastian Sepp ist das selbstverständlich: Die Notaufnahmen wurden vom Streik ausgenommen, denn es wäre unterlassene Hilfeleistung, wenn ein Unfallopfer antransportiert wird und der Arzt ihm sagt, er könne ihn jetzt nicht behandeln, er müsse streiken.

Und so arbeitet Sepp mit zwei Kollegen und einem Oberarzt in aller Ruhe die Fälle ab - fast scheint es, als würde er sich ein bisschen mehr Action wünschen, jetzt, da gegen drei Uhr nachmittags nur noch zwei Patienten im Wartebereich der Ambulanz sitzen. "Natürlich kann sich das innerhalb von Minuten ändern", sagt Sepp.

40 Ärzte sind der Unfallchirurgie in Schwabing zugeteilt, an einem normalen Werktag sind davon etwa 25 im Dienst. Zwei Kollegen beteiligen sich nach Sepps Wissen am Streik, jedoch eben nicht welche aus der Nothilfe, sondern aus den Stationen, wo die Patienten nach der Behandlung versorgt werden, bis sie nach Hause entlassen werden können.

"Wir können die Leute nicht runterfahren"

Dort, so sagt der Arzt, "merken's die Kollegen schon ein bisschen, dass sich die Arbeit verdichtet hat", dass also der einzelne mehr zu tun hat. Aber längere Wartezeiten, Patientenbeschwerden - keine Rede davon.

Gegen die Arbeitsbelastung und für mehr Gehalt streiken die Ärzte - und für eine Anerkennung ihrer Arbeit, gerne auch in Geld. Der Marburger Bund hat darauf hingewiesen, dass die stündliche Zulage für Nachtarbeit bei gerade mal 1,28 Euro liegt und nannte diese Summe "ein Trinkgeld".

Wenn Sebastian Sepp Nachtdienst hat - was fünf, sechs Mal im Monat vorkommt -, dann teilt er sich diesen Dienst mit zwei Kollegen, so dass jeder zwischendurch ein paar Stunden schlafen kann, was durchaus nötig ist bei einer Schichtdauer von 15.45 bis acht Uhr früh. Das hat allerdings den Nachteil, dass dadurch der Nachtdienst zum Bereitschaftsdienst wird - so heißt das, wenn weniger als die Hälfte der Anwesenheits-Zeit gearbeitet wird. Und dafür gibt es gar keine Extra-Vergütung.

Aber es hilft ja nichts: "Wir können die Leute nicht runterfahren", sagt Sepp. Denn die kommunalen Kliniken sind als Vollversorger gesetzlich verpflichtet, die Notfall-Versorgung rund um die Uhr sicherzustellen, 24 Stunden am Tag, 365 Tage im Jahr. Es kann also ein Schwerverletzter zu jeder Tages- und Nachtzeit nach Schwabing gebracht werden, es sind immer zwei Chirurgen da, ein Anästhesist, das nötige Pflegepersonal, ein Neurochirurg, wenn nötig - diese Ressourcen vorzuhalten macht es teuer, ein solches Krankenhaus zu betreiben.

Fünf Jahre nach der Privatisierung schreibt das Klinikum München immer noch rote Zahlen. Andere Träger hingegen können es sich aussuchen, wen sie behandeln möchten - natürlich ist es einträglicher, das Aussehen einer ansonsten gesunden Frau chirurgisch den Vorstellungen ihres Gatten anzupassen, als auf der Palliativstation einen schwerstkranken Menschen mit hohem technischen und personellem Aufwand so lange zu versorgen, bis es Zeit für ihn ist zu gehen.

Sebastian Sepp trägt den schönen Titel "Erster chirurgischer Dienstarzt in der chirurgischen Nothilfe", was bedeutet, dass er zwar genauso Assistenzarzt ist wie seine beiden Kollegen, dass er aber über besondere Qualifikationen verfügt, die es ihm ermöglichen, die unerfahreneren Mediziner anzuleiten und zu beaufsichtigen.

Da steckt eine Menge Verantwortung dahinter, und dafür, so sagt er, "ist es schon erstaunlich wenig, was hinten herauskommt", wenn er seinen Gehaltszettel anschaut. Natürlich ist er Mitglied im Marburger Bund, natürlich versteht er die Kollegen, die von ihrem Streikrecht Gebrauch machen, und wenn er könnte, wie er wollte, dann wäre er auch dabei, "natürlich".

Aber weil München versorgt werden muss, weil Armbrüche gegipst und Kopfwunden genäht werden müssen, deshalb ist hier, in der Nothilfe des Schwabinger Krankenhauses vom Streik nichts zu spüren, wie es überhaupt, auch um vier Uhr nachmittags, ziemlich ruhig ist, immer noch.

Alte Männer in Morgenmänteln schlurfen über den Gang, in Sebastian Sepps Warteraum haben sich immer noch nicht mehr Patienten eingefunden - gute 100 sind es an einem normalen Tag -, und da kommt ja auch schon wieder das Klinik-Taxi angesurrt. Außer dem Fahrer sitzt niemand drin.

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