Adventskalender für gute Werke:Fünf Jahre mit dem Engel-Bengel

Mit 24 begann Pilar zu Salm, für den Hospizdienst der Malteser todkranke Kinder zu betreuen. Zu einem Jungen entwickelte sie ein besonders enges Verhältnis

Von Claudia Wessel, Gräfelfing

Einmal, aber erst gegen Ende der fünf Jahre, haben sie sich über den Himmel unterhalten. Darüber, ob Stefan (Name geändert) wohl ein guter Engel wäre. Er hat eine ganze Weile überlegt, erinnert sich Pilar zu Salm, und dann hat er gesagt: "Ich wäre wohl eher ein Engel-Bengel."

Heute, eineinhalb Jahre nach Stefans Tod, bringt zu Salm ein Fotobuch mit zu unserem Treffen, das sie für sich selbst, aber auch für die Eltern des jungen Mannes gemacht hat, den sie fünf Jahre lang intensiv betreut hat. Das Buch hat den Untertitel: "Unser Engel-Bengel." Es zeigt Stefan, der immer wesentlich jünger aussah als er war, in verschiedenen Lebensphasen. Ein Foto stammt noch aus dem Krankenhaus in seiner Kindheit. Man sieht darauf, was für dünne Ärmchen und Beinchen er hat. Und wie sehr diese von Wunden übersät sind.

Stefan hatte die Krankheit Epidermolysis Bullosa, auch Schmetterlingskrankheit genannt, weil die Haut so dünn ist wie Schmetterlingsflügel. Und ebenso empfindlich. Es handelt sich um einen Gendefekt. Auch Stefans ältere Schwester litt darunter und ist im Alter von 14 Jahren daran gestorben. Die Wahrscheinlichkeit, die Krankheit zu übertragen, liegt bei 25 Prozent. Vermutlich hatten die Eltern bei der zweiten Schwangerschaft auf ein gesundes Kind gehofft.

Adventskalender für gute Werke: Pilar zu Salm engagiert sich seit zehn Jahren für das Kinder- und Jugendhospiz des Malteser Hilfsdienstes.

Pilar zu Salm engagiert sich seit zehn Jahren für das Kinder- und Jugendhospiz des Malteser Hilfsdienstes.

(Foto: Claus Schunk)

Das Leiden an dieser Krankheit ist unbeschreiblich groß. Die Haut ist so dünn, dass quasi jede Berührung eine Wunde verursacht. Die Betroffenen leiden an unermesslichen Schmerzen. Stefan wollte keine Schmerzmittel nehmen. Er hatte davor aus unerklärlichen Gründen noch größere Angst als vor den Schmerzen. Es hing wohl damit zusammen, dass er den Tod seiner Schwester hautnah mitbekommen hatte und diesen irgendwie auch auf die Schmerzmittel zurückführte, was natürlich nicht stimmte, aber er ließ es sich nicht ausreden. Außerdem, so Pilar zu Salm, lag es wohl an dem Kontrollverlust, den er erlebte, wenn er starke Schmerzmittel nahm, die ihn auch ein wenig taub machten.

Für zu Salm war es der zweite kleine Patient, den sie im Rahmen ihrer ehrenamtlichen Arbeit für das Kinder- und Jugendhospiz des Malteser Hilfsdienstes mit Sitz in Gräfelfing betreute, das unter anderem für den Landkreis München zuständig ist. Die erste Betreuung hatte sie im Alter von 24 Jahren übernommen, das ist jetzt fast zehn Jahre her. Zuerst gab es Zweifel bei den Verantwortlichen, ob jemand in diesem jungen Alter schon eine so verantwortungsvolle Aufgabe übernehmen könne. Doch man ließ die junge Frau an dem Vorbereitungskurs teilnehmen, den alle Ehrenamtlichen des Kinder- und Jugendhospizes machen. "Danach war ich noch überzeugter, dass ich es machen möchte", sagt zu Salm. Sie durfte die Betreuung eines Zwölfjährigen übernehmen. "Ich habe dann festgestellt, dass es gerade bei einem Jugendlichen gut war, dass ich noch so jung war", erinnert sie sich. Man war sich einfach noch näher. Damals kümmerte sich die junge Frau aber auch viel um die große Schwester des kranken Jungen. Nach und nach unternahmen sie viel zu dritt. Der Junge starb nach vier Jahren. Der Kontakt zur Schwester aber besteht bis heute.

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Stefan war zu Salms zweiter Schützling. Er war 15 Jahre alt, als sie ihn kennenlernte. Eigentlich ist die Betreuung so geplant, dass der Ehrenamtliche einmal in der Woche zwei bis drei Stunden in die Familie kommt. Einfach um die Eltern zu entlasten: ein wenig mit dem Betroffenen spielen, den Eltern etwas abnehmen. Doch das Verhältnis von Pilar zu Salm und Stefan entwickelte sich schnell zu einer so intensiven Beziehung, dass die Stunden, die die Betreuerin mit ihm verbrachte, immer mehr wurden. Und sie im Grunde schon eher eine Freundin war.

Denn ihre Zuwendung war für Stefan so wichtig und so wohltuend, dass er sie immer sehnsüchtig erwartete. Er schrieb ihr per Handy: "Wann kommst du endlich wieder?" Haben sie sich viel unterhalten? Über Leben und Tod? "Erst ganz zum Schluss", sagt zu Salm. "Kinder sind da anders als Erwachsene. Sie wollen nicht über ihre Krankheit reden. Sie wollen leben und etwas unternehmen. Und ich bin ganz gut geeignet, um jemanden abzulenken", lacht sie. Das tat sie dann auch intensiv. Fünf Jahre lang hat Pilar zu Salm mit Stefan gespielt, sie war mit ihm und einer befreundeten Krankenschwester im Disneyland in Paris, sie sind gemeinsam auf die Wallfahrt nach Lourdes gegangen, die der Malteser Hilfsdienst kranken Menschen ermöglicht. All diese Dinge werden vor allem von Spenden finanziert. Auch viele andere unbürokratische Hilfen, die die Krankenkassen nicht gewähren, wenn man etwa für den Transport eines Rollstuhlfahrers schnell eine Rampe braucht, ermöglichen Spender.

Auf den Reisen hat zu Salm nicht nur mit Stefan gespielt, sondern ihn auch gepflegt. Sie musste ihm Verbände wechseln, was immer eine große Qual für ihn war. "Es ist so schrecklich", sagt sie, "wenn dich jemand bittet, aufzuhören, und du musst weitermachen." Im Alter von 20 Jahren entwickelten sich die vielen Wunden auf Stefans Haut zu Hautkrebs. Stefan nahm noch eine Reihe von 33 Bestrahlungen auf sich. "Jede Fahrt zum Krankenhaus war ein Horror für ihn, jede Unebenheit, über die das Auto fuhr, fügte ihm Schmerzen zu." Doch er wollte leben. Kaum war die erste Serie von Bestrahlungen vorbei, wurde eine weitere Stelle mit Hautkrebs gefunden. Jetzt wollte Stefan nicht mehr. Er lehnte weitere Bestrahlungen ab. Erst jetzt sprach er auch mit zu Salm manchmal über den Himmel. Sie besuchte ihn bis zuletzt fast jeden Tag. An seinem Todestag kam sie eine halbe Stunde zu spät. Doch für Stefan war Pilar zu Salm mit Sicherheit auch eine Art Engel. Sie hat ihm fünf Jahre lang unzählige schöne Erlebnisse beschert.

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