Landessozialgericht:Krebspatient klagt Medikament ein

"Das Rechtsgut Leben überwiegt": Das Landessozialgericht verpflichtet eine Krankenkasse, eine kostspielige Therapie für einen Krebspatienten zu bezahlen. Deren Nutzen und Nebenwirkungen allerdings sind unsicher.

Ekkehard Müller-Jentsch

Geld oder Leben? Diese Frage stand im Mittelpunkt eines Prozesses, den ein krebskranker Mann gegen seine Krankenkasse führte: Muss sie ihm ein sehr teures, aber nicht zugelassenes Medikament bezahlen, das für ihn jedoch die letzte Hoffnung bedeutet? In erster Instanz schüttelte der Sozialrichter noch den Kopf. Doch nun hat das Landessozialgericht diese Entscheidung blitzschnell korrigiert: "Das Rechtsgut Leben überwiegt."

Krebs ist nach wie vor eine der häufigsten Todesursachen in Deutschland. Dennoch muss die Diagnose Krebs längst nicht mehr einem Todesurteil gleichkommen. Sehr kritisch ist es dagegen bei dem besonders bösartigen Hirntumor Glioblastom: Oft nur Monate, aber doch manchmal auch mehrere Jahre überleben Patienten. Hier dürfen Ärzte bei der Behandlung natürlich keine Zeit verlieren - etwa mit langwierigen Grundsatzprozessen um Erfolgsaussichten und Therapiekosten. So wie bei einem 47-jährigen Mann, der an dieser Erkrankung leidet. Spezialisten eines Uni-Klinikums konnten zwar operativ einen Teil des Karzinoms entfernen. Doch es gelang ihnen danach nicht, den Krebs mit radiologischen und chemotherapeutischen Maßnahmen zu stoppen.

Die Ärzte sehen jedoch für ihren Patienten noch eine Chance: Die Behandlung mit einem neuen Medikament namens Avastin könnte den tödlichen Verlauf stoppen oder wenigstens verlangsamen. Für diese Art der Krebsbehandlung ist das Medikament allerdings in Deutschland noch nicht zugelassen. "Die gesetzliche Krankenversicherung darf jedoch nur Kosten für solche Medikamente übernehmen, deren Nutzen und Freiheit von Nebenwirkungen völlig gesichert sind", erläutert Gerichtssprecher Stephan Rittweger die rechtliche Problematik des Rechtsstreits. "Diese Grundentscheidung hat der Gesetzgeber vor dem Hintergrund der Erfahrungen mit dem Arzneimittel Contergan getroffen."

Folglich lehnte die Kasse es ab, die Avastin-Therapie zu bezahlen. Zuvor hatte sie sich beim Medizinischen Dienstes Bayern entsprechend rückversichert. Der Betroffene und seine Ärzte hätten zudem "nicht glaubhaft gemacht, dass alle zugelassenen Therapien ausgeschöpft sind".

Der Patient klagte dagegen, verlor aber in erster Instanz. Er legte sofort Beschwerde ein - mit Erfolg: "Die besondere Dringlichkeit verbietet es, den Patienten auf ein langwieriges Verfahren mit Beweiserhebung und Sachverständigengutachten zu verweisen", stellte nun das Landessozialgericht fest. Alle zugelassenen Methoden der medizinischen Wissenschaft seien hier erfolglos ausgeschöpft. Doch die Ärzte hätten sehr gute und fundierte Gründe, die Behandlung mit Avastin als Erfolg versprechend anzusehen. Das Gericht verpflichtete die Krankenkasse daher, auf jeden Fall für drei Monate die Therapiekosten von rund 20.000 Euro zu tragen.

"Unter diesen Voraussetzungen überwiegt das Rechtsgut des Patienten auf Leben", stellte der Senat fest. "Das mehr oder weniger rein finanzielle Risiko einer nicht vollständig sicheren Therapie hat dahinter zurückzustehen." An der bestehenden Gesetzeslage ändere diese Eilentscheidung natürlich nichts, erklärt Gerichtssprecher Rittweger. Hier sei es aber um Leben oder Tod gegangen: "Bieten die herkömmlichen Maßnahmen keine Aussicht auf erfolgreiche Behandlung und ist nach ärztlicher, wissenschaftlich fundierter Kenntnis ein neues Verfahren aussichtsreich, dann müssen die Kassen auch diese Verfahren übernehmen - das gebietet die grundgesetzliche Entscheidung für Leben und Gesundheit." (Az.: L 5 KR 102/13 B ER).

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