Kurioser Prozess in München:"Sonst wird der Englische Garten zugemacht"

Kurioser Prozess in München: Die wagemutigen Surfer im Eisbach im Englischen Garten haben immer viele Zuschauer.

Die wagemutigen Surfer im Eisbach im Englischen Garten haben immer viele Zuschauer.

(Foto: Robert Haas)

Eine Stewardess wird am Eisbach im Englischen Garten durch einen herabfallenden Ast am Kopf verletzt. Nun verlangt sie Schadenersatz von der Stadt München. Für die steht einiges auf dem Spiel - der Anwalt der Stadt droht mit drastischen Mitteln.

Von Ekkehard Müller-Jentsch

Ein Satz, spontan dahin gesagt, kann eine Lappalie zum Politikum machen. Solch ein Satz fiel gestern in einem Amtshaftungsprozess vor dem Landgericht München I: "Sonst wird der Englische Garten zugemacht", sagte Rechtsanwalt Christian Koller von der Münchner Kanzlei Tacke Krafft zum Vorsitzenden Richter Frank Tholl.

Es ging in der Verhandlung um einen vergleichsweise harmlosen Unfall nahe der Eisbach-Welle: Einer Zuschauerin war ein Ast auf den Kopf gefallen und sie verlangt nun 3000 Euro Schmerzensgeld. Für einen herabfallenden Ast in einem Bereich, in dem sehr viele Bäume stehen, will die Stadt aber keinesfalls in die Haftung genommen werden - kein Wunder angesichts der vielen Bäume, die allerorten auf städtischem Grund und Boden stehen. Deshalb könnte dieser Prozess rasch gewaltige Wellen schlagen.

In jedem Reiseführer steht die Eisbachwelle als besondere Attraktionen dieser Stadt. Die wagemutigen Surfer dort haben immer viele Zuschauer. So auch am 13. Juni vergangenen Jahres, als eine Stewardess mit ihrem Begleiter gegen 15 Uhr unter einem Baum sitzend den Wassersportlern zuschaute. Plötzlich sauste ein etwa ein Meter langer und 15 Zentimeter dicker Ast auf sie herab.

Narbe am Stirnansatz

Mit einer blutenden Platzwunde musste die Frau im Perlacher Krankenhaus behandelt werden. Sie hatte zudem einen Kollaps und ein Halswirbel-Syndrom erlitten, wurde eine Nacht zur Beobachtung in der Klink behalten und war dann 14 Tage arbeitsunfähig geschrieben.

Ihr Problem: Als Flugbegleiterin ist sie dienstlich gehalten, ihr Haar straff nach hinten zu kämmen. So ist die deutliche Narbe am Stirnansatz stets sichtbar: "Das macht sie unsicher", sagt ihr Rechtsanwalt Wolfgang Müller aus Rosenheim. Wie man sich davon irritieren lassen könne, fragte der Anwalt der Stadt zurück. "Sie sind keine Frau", gab Müller zu Antwort. Und erklärte: Die schönheitschirurgische Entfernung werde rund 1250 Euro kosten.

Aus juristischer Sicht hat dieser Streit aber eine noch viel brisantere Dimension als den Streit um ein paar Tausend Euro: Denn sollte München am Ende tatsächlich wegen Verletzung der Verkehrssicherungspflicht rechtskräftig verurteilt werden, dann müssten alle Bäume auf öffentlichem Grund künftig häufiger und intensiver kontrolliert werden - und das könnte die Öffentliche Hand richtig teuer zu stehen kommen.

So lässt sich wohl auch die spontane Drohung des Rechtsanwalts nachvollziehen, der diesen Streit wohl nicht zum Präzedenzfall werden lassen will. Auch ein Vergleichsvorschlag des Gerichts, den Zoff mit einer Zahlung von 1000 Euro zu beenden, traf bei ihm auf wenig Begeisterung - entscheiden müsse das ohnehin die Stadt.

Bäume müssten unter die Lupe genommen werden

Warum überhaupt München bei einem Unfall im Englischen Garten verklagt wird, und nicht der Freistaat Bayern, wurde in der Verhandlung nur vage erklärt: Für den Bereich um die Eisbachwelle sei seit einiger Zeit die Stadt verantwortlich.

Thomas Köster von der staatlichen Schlösser- und Seenverwaltung erklärt auf Nachfrage der SZ, dass er als Chef des Englischen Gartens schlimmstenfalls sogar persönlich etwa für Surfunfälle auf der Eisbachwelle hätte haften müssen und dieses Risiko nicht habe tragen wollen. So sei vor etwa drei Jahren der Bereich - ein etwa 25 Meter langer Streifen von der Prinz-Regenten-Brücke an rechts und links der Ufer - im Tausch gegen anderen Grundstücke in das Eigentum der Stadt übergegangen.

Sollten sich Stadt und Stewardess nicht einigen, wird das Gericht voraussichtlich einen Sachverständigen beauftragen. Dieser müsste dann klären, wie oft und wie präzise Bäume unter die Lupe genommen werden müssten. Eine schwierige Aufgabe: Fachleute wissen beispielsweise, dass sich etwa bei Buchen gerade im Sommer sehr schnell ausgetrocknete Totholzteile bilden und herbstürzen können.

Das Gericht hat auch schon deutlich gemacht, dass die geforderten 3000 Euro Schmerzensgeld im Falle eines Urteils nicht erreicht werden würden - die Stewardess wird wohl höchstens ein Drittel der Summe erhalten. Sollte der Vergleich scheitern, gibt das Gericht bekannt, wie das Verfahren fortgesetzt werden soll.

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