Kunstprojekt in Pasing:Ein Tunnel erzählt Geschichten

Kunstprojekt in Pasing: Der Künstler und sein Werk: Martin Blumöhr malt bunte Landschaften und Geschichten in den einst so trostlosen unterirdischen Gang.

Der Künstler und sein Werk: Martin Blumöhr malt bunte Landschaften und Geschichten in den einst so trostlosen unterirdischen Gang.

(Foto: Alessandra Schellnegger)

Ein schwermütiger Ex-Bankräuber, ein Schwanenflüsterer und der legendäre Knödelschütze: Mit ihren Geschichten hat der Künstler Martin Blumöhr die Wand des Würm-Tunnels in Pasing bemalt - und so ein kleines Paradies geschaffen.

Von Jutta Czeguhn

"Das ist der Schwanenflüsterer", sagt Martin Blumöhr und deutet auf den Neuzugang in seinem Wand-Comic. Ein glatzköpfiger Mann herzt kniend einen Schwan. Eines Tages sei er vorbeigekommen im Würm-Tunnel und habe seine Geschichte. . . Blumöhr hat den Satz noch nicht zu Ende gesprochen, da steht er plötzlich hinter ihm, der Mann mit dem markanten Schädel. Als sei er dem Bild entstiegen. Für einen Geist aber ist Martin Hogrebe, so stellt er sich vor, zu geschäftig. Er müsse weiter zum Weiher bei Schloss Blutenburg, nach seinen Schwänen sehen, die Richtung Ufer steuern, sobald sie ihn nur von weitem sehen.

Magische Zufälle und Begegnungen scheint es im alten Bahntunnel am Pasinger Hermann-Hesse-Weg jede Menge zu geben, seit Martin Blumöhr dort die Wand mit den Geschichten der Passanten bemalt und zu einer Art riesigem Wimmelbild zusammenfügt. Er hat eine Pilotin kennengelernt, die nun wie ein weiblicher Antoine de Saint-Exupéry in einer einmotorigen Maschine durch die Wolken gleitet, einen Mann, der eine Geschlechtsumwandlung vor sich hat, einen schwermütigen Ex-Bankräuber, der Gedichte im Stil von Bukowski schreibt.

Musiker haben im Tunnel ein Konzert für Blumöhr gegeben und ihm einen Blues gewidmet. Pasinger Omas, anfangs skeptisch, verfolgen die Fortschritte an der Wand wie eine TV-Serie und haben den 33-Jährigen mit Kapuzenshirt ins Herz geschlossen. Nachbarn bringen ihm Kaffee, Kinder äußern Bildwünsche, spätnachts schaut hin und wieder der Würmbiber vorbei. Und auch virtuell kann man einen Blick in den 90 Meter langen Tunnel tun (www.tunnelblick-pasing.de, dort finden sich auch die Daten für Spenden, um das Werk am Leben zu erhalten).

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Ein Zeitraffer-Video von der Entstehung der Bilder

Vor etwa zwei Monaten hat der Pasinger Künstler, einst Meisterschüler beim Wiener Malerfürsten Ernst Fuchs, mit seinem insgesamt 225 Meter großen Tableau begonnen. Nun ist das Panorama-Bild fast fertig. "Tunnelblick" heißt, ironisch unterspült, der Titel dieses ungewöhnlichen Projekts. Der Tunnel am Würmkanal war bislang ein gerne gemiedener Unort, niedrig, düster, vernachlässigt in seiner Bausubstanz. Jeder sah zu, dass er hier schnell durchkam zum Licht am anderen Ende.

Jetzt, mit der Kunst an der Wand, ist alles anders. Die Leute flanieren an den redseligen Wänden vorbei, bleiben stehen, diskutieren. Wie in einer Galerie, nur dass dort selten Radler hudeln, denen man aus dem Weg springen muss. Martin Blumöhr könnte, wäre er nicht Maler, wohl eine Sinfonie für Fahrradklingeln komponieren, so viele hat er in den vergangenen Wochen hier gehört. Unterlegt das Ganze mit dem Gurgeln der Würm.

So aber ist eine Bilder-Partitur entstanden, die nicht einzuordnen ist in die Kunst-am-Bau-Üblichkeiten, in den Kunst-im-öffentlichen-Raum-Dekor der Landeshauptstadt. Dafür ist sie zu wenig chic, zu wenig verkopft, zu wenig kommerziell, zu abgelegen und vor allem zu schlecht bezahlt. Kaum verwundert also, dass das Tunnelblick-Projekt in keines dieser Programme gehört, sondern beim Baureferat lediglich unter der Kostenstelle "notwendige Sanierungen" verbucht ist.

Die Stadt, von der Blumöhr seinen Auftrag bekommen hat, zahlt die Materialkosten. Und die Bahn stellt in ihrer unnachahmlichen Großzügigkeit den Tunnel, der auf ihrem Gebiet liegt, zur Verfügung. Dass der Künstler nicht gänzlich ohne Honorar arbeitet, ist dem Bezirksausschuss Pasing-Obermenzing und dem Kulturforum München-West zu verdanken. Letzteres hat das Projekt angestoßen und hofft nun, da das Budget aufgebraucht ist, auf Spenden von Tunnel-Passanten.

Das Arbeiten im Tunnel geht an die Substanz

"Ich komme mit dem Geld grad über die Zeit für Essen und Miete", sagt Martin Blumöhr, der seinen sechsjährigen Sohn Vincent alleine großzieht. Das Thema Geld schiebt er rasch beiseite. Vertiefen will er auch nicht, dass es Irre gibt, die "entartete Kunst" brüllen, wenn sie durch den Tunnel kommen. Dass sie ihm Material klauen oder die Kabel durchschneiden, die den Scheinwerfer und den Kompressor seiner Spraypistole mit Strom versorgen.

Ebenfalls kein großes Gerede macht er darum, dass weder die Stadt noch die Bahn etwas gegen den Wasserschaden im Tunnel unternehmen und er nun gemeinsam mit Rüdiger Schaar vom Kulturforum und einigen Nachbarn nächtelang bis morgens um 4 Uhr eine Sockelmauer aus Spezialbeton mörteln muss. Martin Blumöhr spricht lieber über seine Kunst. "Ich nehme meine Malerei sehr ernst", sagt er mit vor Müdigkeit geröteten Augen.

Das freie Arbeiten im Tunnel geht nicht nur der Feuchtigkeit und Kälte wegen an die Substanz. Blumöhr nennt es ein "Ausgeliefertsein, das jedoch die Sinne wachhält". Was so spielerisch wirkt, ist längst nicht ohne Konzept und Komposition. Der Künstler arbeitet mit Bild-im-Bild-Technik, benutzt Comic-Figuren als Flächen für neue Erzählstränge, Mini-Szenarien. Als Eisbrecher hat er den Pasingern anfangs Wiedererkennbares geliefert; ihren Stadtpark, ihr Westbad, die Blutenburg, die Arcaden, den legendären Knödelschützen.

Winzige, teilweise groteske Details

Er hat den Tunnel nicht von einem Ende zum anderen durchmalt, sondern diese Motive wie Leuchttürme an mehrere Stellen gesetzt. Von diesen visuellen Glutnestern aus ist das Ganze nun zu einem wilden Panorama zusammengewachsen, am Sockel verbunden durch die Würm, die bei Blumöhr Augen hat, und durch die vielen kleinen Geschichten, die ihm die Passanten geliefert haben.

Blumöhr arbeitet mit Acrylfarbe, Spraypistole und diversen Pinseln. Die Betonwand birgt winzige, teilweise groteske Details: in der S-Bahn prügelt sich ein Paar, die Shopper auf den Arcaden-Rolltreppen wirken wie fremdgesteuert, Wolken stehen im Stau. "Feinheit ist mir wichtig", sagt er. Er hat an der Münchner Akademie studiert. Und bei Ernst Fuchs, an dessen herrschaftlicher Atelierpforte in Wien er eines Tages geläutet hat, um sich dem Meister vorzustellen. Fuchs fand Gefallen an der Chuzpe und den Arbeiten des Studenten und machte Blumöhr zum Meisterschüler. "Vom Ernst habe ich gelernt, das Leben in vollen Zügen aufzusaugen und für ein Werk alles zu geben", sagt er, sieht sich aber sonst nicht in der Malertradition der Wiener Schule.

Die Arbeiten im Pasinger Würm-Tunnel gehen in ihre letzte Phase, noch etwa zehn Meter sind zu schaffen. Martin Blumöhr will nun auch den melancholischen Ex-Bankräuber, der eines Nachts vor ihm stand, noch in die Wand bringen. Zum Dank, dass er ihm eines seiner Gedichte geschenkt hat.

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