Kunst:Spritzendes Blut und Käsescheiben auf dem Bett

Im Traditions-Hotel Mariandl verwandeln junge Künstler ausgewählte Zimmer in Orte der Kunst.

Von Thomas Jordan (Text) und Martin Moser (Bild)

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Licht- und Schattenspiele:

Zimmer frei Mariandl 2016

Quelle: Martin Moser

Hotels sind Orte der Begegnung und des Rückzugs, der Freiheit und der unüberschaubaren Möglichkeiten. Sie sind ein "gesellschaftlicher Motor von Leuten, die ihres eigenen Glückes Schmied sind" wie der Kunstprofessor Hermann Pitz in seinem Eröffnungsvortrag der Ausstellung "Zimmer frei!" sagte. Zum 17. Mal bereitet das traditionsreiche Münchner Belle-Époque-Hotel Mariandl die Bühne für junge Münchner Künstler. Jeder darf ein Zimmer gestalten, der Hotelbetrieb läuft dabei in den anderen Zimmern normal weiter. Zu sehen sind ihre Installationen und Performances noch bis Sonntag, auch im Rahmen der Langen Nacht der Museen. Auf ganz unterschiedliche Weise erschließen sie Zugänge zu der Frage: Was kann man mit Hotelzimmern eigentlich noch machen, außer darin zu übernachten?

Zimmer 13 spielt mit der Atmosphäre von Hotelzimmern. Der Künstler Oliver Winheim hat Fenster und Einrichtungsgegenstände in dem eleganten Salon mit Milchglasfolie beklebt und reguliert damit die Lichtzufuhr. Tagsüber wirkt der Raum wie ein Diakasten, das Licht von draußen tritt nur stellenweise und milchig getrübt herein. Nachts zeigen sich an den hohen Decken des Altbaus die Umrisse des Mobiliars und es entstehen geheimnisvolle Schattenspiele. Winheim treibt die Lichtkunst noch weiter: Auf einem Podest steht eine gusseiserne Badewanne, angefüllt mit beleuchtetem Plexiglas. Statt der Wasseroberfläche zeigt sich eine bernsteinfarben schimmernde Maserung. Der Salon lädt den Besucher auf leise und unaufdringliche Weise dazu ein, in das Spiel der Stimmungen und Atmosphären einzutauchen und seine Sehgewohnheiten zu erweitern.

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Die Spuren der Anderen

Zimmer frei Mariandl 2016

Quelle: Martin Moser

Wenn man Zimmer 20 betritt, fällt einem als erstes ein süßlich-strenger Geruch auf. 200 Sandwichkäsescheiben haben die Designer Gerrit Schweiger und Florian Häsler auf dem Lattenrost eines Doppelbetts fein säuberlich aufgereiht. In der Mitte steht eine elektrische Glühbirne, die nicht nur für Licht, sondern auch dafür sorgt, dass mit der entstehenden Wärme auch der strenge Geruch von Tag zu Tag stärker wird. Wie gehen wir mit dem um, was uns unsere Mitmenschen hinterlassen? Wer den ersten Ekel überwindet, stößt auf diese Frage. An dem Thermoball gleich links am Eingang von Zimmer 20 kann jeder Besucher selbst etwas zurücklassen: Legt man seine Hand eine Weile auf die lilafarbene Ball-Oberfläche, zeichnet sich nach kurzer Zeit der eigene Handabdruck ab. Zimmer 20 macht die Spuren der Anderen sichtbar und steigert sie ins Groteske.

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Das Innere der Künstlerin tritt hervor

Zimmer frei Mariandl 2016

Quelle: Martin Moser

Ein zerwühltes Bett, darauf ein aufgeschlagenes Suhrkamp-Bändchen von Marcel Prousts "Die Gefangene," an den Wänden drei großformatige Gemälde: Rücken, Oberkörper und Knie der Künstlerin. In Zimmer 25 lässt Olga Wiedenhöft ihre Innenwelt nach außen treten und mit der Einrichtung in Kontakt treten. Dabei entsteht ein Kunstzimmer, in dem in allen Ecken Porträts der Künstlerin lauern. Selbst wenn sich die Besucher im goldgerahmten Spiegel betrachten wollen, wird das zu einem Dialog mit dem Inneren der Künstlerin: "Ich will mich in deinem Mund ausruhen" steht dort in leuchtend rotem Lippenstift.

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Kraftraum Hotelzimmer

Zimmer frei Mariandl 2016

Quelle: Martin Moser

Zimmer 12 macht das Unsichtbare sichtbar: Wer aus einem Hotelzimmer auf den Flur tritt, kommt von einem geschützten Innenraum in einen ungewissen Außenraum. Diese unsichtbare Spannung, die an der Türschwelle ihr Maximum erreicht, hat Marco Miehling in einer Installation sichtbar gemacht. Am Türrahmen von Zimmer 12 hat er eine Handseilwinde angebracht. Latexseile, die durch das Zimmerfenster hindurch an einem gegenüberliegenden Baum angebracht sind, können damit straff gezogen werden. Das Zimmer kann nicht betreten werden, es ist zum einem Kraftraum geworden, der die Spannung zwischen Innen- und Außenraum veranschaulicht, die hinter jeder Hotelzimmertüre lauert.

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Multimediale Selbst-Entwürfe

Zimmer frei Mariandl 2016

Quelle: Martin Moser

In Zimmer 21 ist alles möglich: Schminkvideos der Künstlerinnen Kitti & Joy sind auf Großleinwand zu sehen und werden Teil eines Videospiels, in dem die Avatare der beiden durch die amerikanische Großstadt Los Santos rasen. Fiktionale Alter-Egos aus dem Actionspiel GTA 5 und die aufwendig konturierten Gesichtspartien der Künstlerinnen überlagern sich. Zimmer 21 ist ein multimediales Spiel mit den Möglichkeiten der Selbstgestaltung. Das Hotelzimmer wird hier zu einem Ort, an dem die Freiheit, immer wieder neue Bilder von sich selbst zu entwerfen, im Mittelpunkt steht.

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Geheimnisse des Mobiliars

Zimmer frei Mariandl 2016

Quelle: Martin Moser

Ein schmales, schwarzes Kabel führt in das Innere des hölzernen Nachtkästchens. Auf dem bläulichen Bildschirm am anderen Ende der Apparatur sieht man verzerrt die Faserstruktur von langen, blonden Haaren. Eine Perücke? In Zimmer 14 können die Besucher das verborgene Innenleben der Einrichtungsgegenstände eines Hotelzimmers entdecken. Der Künstler Thomas Silberhorn unterzieht das Mobiliar dazu einer Endoskopie: Kabel führen tief hinein in Matratzen, Nachtkästchen und Badezimmerschänke und zeigen, was unter der Oberfläche schlummert. Die Besucher werden so zu Detektiven der Geheimnisse der Möbel aus vielen Jahrzehnten Hotelbetrieb. Und zum Abschied grinst aus der Tiefe des Badeschränkchens der fleischfarbene Ober- und Unterkiefer eines Gebisses herauf.

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Blutige Schriften

Marc Avrel

Quelle: Martin Moser

Zimmer 10 ist ein Schlachtfeld aus Blut, Schwert und Schriften. Der Künstler Marc Avrel hat sich mehrere Monate lang Blut abnehmen lassen und damit die heiligen Schriften des Christentums, des Islams und des Judentums getränkt. Er ist dabei tief in seine Familiengeschichte hinabgestiegen: Unter seinen Vorfahren finden sich alle drei monotheistischen Weltreligionen. Bei aller archaischen Gewalt kann die Installation ihre grotesk-komische Seite nicht verleugnen: Es ist eine Spielwiese aus Sand, in die Marc Avrel Bibel, Koran und Thora zusammen mit seinen Blutprobenröhrchen versetzt hat.

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Rauschende Feste

Zimmer frei Mariandl 2016

Quelle: Martin Moser

In Zimmer 23 ist alles angerichtet für einen rauschenden Salonabend im Stil der Jahrhundertwende: Aus dem kleinen Reiseplattenspieler dudelt "La Paloma", der Standglobus ist bis an den Rand gefüllt mit Spirituosen aus aller Welt und in der gusseisernen Badewanne läuft das Badewasser ein. Wenn es Abend wird, treffen sich hier Kapitän, Matrosen und Damen im Abendkleid und feiern die ganze Nacht. Robert Crotlas Seemannszimmer ist eine Hommage an das Zeitalter der Entdecker in der frühen Moderne. Es wirkt wie die zum Leben erwachte Version eines Gemäldes des Pariser Salonmalers Henri Toulouse-Lautrec. Man kann sich vorstellen, dass es nicht lange dauert, bis auch das Doppelbett neben den alten Sitzmöbeln besetzt ist.

© SZ.de/jord/ebri
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