Kulturpolitik:Wer hat eine Vision für München?

Schneekugel mit Münchner Rathaus, 2010; Schneekugel mit Münchner Rathaus, 2010

Wie ein Vakuum, in dem ab und an jemand einen harmlosen Schneesturm entfacht, so wirken Bemühungen aus dem Rathaus, wenn es um Kunst und Kultur in der Landeshauptstadt geht.

(Foto: Robert Haas)

Wie nur wenige Städte hält München einen gigantischen Schatz aus Theater, Museen, Orchestern und Bands. Doch die Politik weiß damit nichts anzufangen. Eine Polemik.

Von Susanne Hermanski

München hat viele Künstler und ein riesiges Kulturpublikum, aber hat es einen Kulturpolitiker, mit mehr Weitblick als bis zum Zaun seines Vorgartens? Hat die Stadt eine oder einen, der eine Vision hat, was man machen könnte aus diesem gigantischen Schatz aus Museen, Theatern, Orchestern, Bands, Dichtern und Denkern? Wer hat den Überblick, was wichtig ist, schützenswert, entwicklungsfähig oder längst schon erbarmungswürdig marode in der Kulturszene dieser Stadt? Oder fragen wir hier unter vollkommen falschen Voraussetzungen? Reichen die Vorstellungskräfte der Politik grundsätzlich nur zum Visualisieren kleiner Kreuze auf Stimmzetteln? In einer Woche wie dieser drängen sich solche Fragen besonders virulent auf.

Begonnen hat sie mit einem Misstrauensvotum der CSU gegen den wichtigsten Mann, den die SPD vor drei knapp Jahren für sich im Münchner Kulturleben in Position gebracht hatte: den Intendanten der Kammerspiele, Matthias Lilienthal. Die CSU hat ihn wissen lassen, dass die Stadtratsfraktion einer Verlängerung seines Vertrages über 2020 hinaus, nicht zustimmen werde. Mit Lilienthal attackierte die CSU nicht irgendeinen Theatermacher, sie griff mit ihm eines der wenigen weithin sichtbaren kulturpolitischen Statements der SPD an.

Lilienthals Berufung zum Chef der städtischen Vorzeigebühne war eine aus tiefer Überzeugung getroffene Entscheidung, dass sich das Haus öffnen und demokratisieren sollte. Und sie war eine Herzensangelegenheit des Kulturreferenten und SPD-Mannes Hans-Georg Küppers. Wer zur Attacke gegen Lilienthal bläst, hofft also, dass sich der konservative Kulturfreund später einmal dem gegenüber dankbar zeigt, der das Ende des vermeintlichen Berliner Spuks im Jugendstil-Juwel eingeläutet hat.

Die Kulturpolitik, die SPD und CSU in München betreiben, hat ohnehin zunehmend den Charakter eines Kuhhandels. Ein Streit im Kulturausschuss vom November zeigte mustergültig, worum es dabei geht. Die CSU wollte finanzielle Unterstützung für junge Gesangstalente der klassischen Musik (die Reihe "Rising Stars" in der Musikhochschule) durchsetzen, die SPD mehr Geld für Laienchöre. Klarer die Klischees nie klingen. Aber das große Ganze kommt so auch nicht vorwärts.

Noch etwas größer war die zweite Personalie der Woche: das Ende des Münchners Ludwig Spaenle als Bayerns Kultusminister. Diese landespolitische Entscheidung ist wichtiger als die kleine städtische Ranküne. Zum einen, weil die Kulturszene ohnedies zittert, der neue, in Nürnberg geborene Landesvater werde künftig lieber mehr Geld nach Franken pumpen als nach München. Zum anderen, weil jetzt laufende Diskussionen auf ein beinah vergessenes Vakuum aufmerksam machen.

Spaenle, der flugs nach einer neuen Aufgabe sucht, kandidiere womöglich 2020 als Bürgermeister für die CSU, heißt es. Und wäre der Ex-Kultusminister nicht auch wie gemacht für den Job des Kulturbürgermeister in der Stadt? Von Josef Schmid, der diesen Posten bislang für sich beansprucht hat, ist in Zukunft ja nicht mehr sonderlich viel zu erwarten. Er kandidiert derzeit bereits für den Landtag.

Sonderlich viel von sich reden gemacht hat er ohnehin nicht auf dieser Position des Kulturbürgermeisters. Immerhin hat er an manchen Stellen aber durchaus Fleiß gezeigt. Unter anderem setzt die Münchner Pop- und Club-Szene gewisse Hoffnungen in ihn, weil er ernsthaftes Interesse an deren Nöten gezeigt hat, und nun ein entsprechendes Papier der CSU in Arbeit ist, das in diesem Frühjahr noch vorgelegt werden soll. Ob es ein großer Wurf wird, muss sich also noch erweisen.

Klar ist hingegen: Die Aufgaben, die von Stadt und Staat in München in den kommenden Jahren auf dem kulturellen Sektor gelöst werden müssen, sind enorm. Es genügt ein Blick auf die Liste der Museen und der anderen Kulturinstitutionen, die akut zur Renovierung anstehen: der Gasteig, das Haus der Kunst, die Neue Pinakothek, und die Musikhochschule in der Arcisstraße gehören dazu. In der Archäologischen Staatssammlung, in der Glyptothek und im Deutschen Museum laufen die Arbeiten bereits.

Die Kulturszene will machen - und die Stadt veranstaltet "Hearings"

Die Kosten sind in der Summe gewaltig. Doch noch gewaltiger ist das Problem, dass häufig die Konzepte im Inneren der Häuser ebenso renovierungsbedürftig sind wie die äußeren Hüllen. Am Schlamassel um das Berliner Humboldt Forum im Alten Stadtschloss sieht man, wie fatal es sein kann, wenn man sich zuerst und zu lang um die Gestaltung einer Hülle kümmert, und dann erst um Inhalte und Menschen, die sie vertreten sollen.

Der Wandel der Welt hin zu Digitalisierung und Globalisierung geht auch an Museen nicht vorüber. Und es gibt tolle, frische Ideen für eine zeitgemäße Vermittlung von Kunst und Kultur. Deshalb fragt sich so mancher, wie zeitgemäß manche Konzepte in München sein können, deren Umsetzung sich seit mehr als zwei Jahrzehnten hinschleppt. Das Münchner Stadtmuseum ist so ein Beispiel. Angesichts bröckelnder Bauten und des angestaubten Images beschloss der Kulturausschuss, ein Hearing zum Thema "Konzepte für Kommunale Museen von morgen" zu veranstalten. Das war im Juni 2002 und ist biologisch gesehen, eine ganze Generation her. Immerhin spricht man nun seit drei Jahren schon von der "Vorplanungsphase der Generalsanierung". Und noch in diesem Frühling will der Stadtrat entscheiden, wie es danach weitergeht.

Wenn solche Detailprobleme schon politisch nicht gelöst werden, wer wagt sich da noch zu fragen, wie es mit der Planung von kulturellen Räumen für die neu entstehenden Viertel einer immer weiter wachsenden Stadt steht. Die Standortdiskussion um das Ausweichquartier für den Gasteig hat nämlich vor allem eines gezeigt: Viele Flächen werden gerade mit dringend notwendigen Wohnungen zu gepflastert, aber wenn dort schon nicht an die nötigen Plätze für Kitas oder Schulen gedacht wird, wer sollte dann auf die Idee kommen, einen Gemeinschaftssaal einzuplanen, in dem später einmal Konzerte stattfinden oder Bands proben könnten?

Sind es nur noch Privatleute wie Werner Eckart, der sein Ex-Pfanni-Gelände mit allem, was dazu gehört, veredeln will zum "Werksgelände", in dem sich später einmal Mieter ganz besonders wohl und zahlungsbereit fühlen sollen? Soll die Politik darauf vertrauen, dass sich auf diese Weise in Zukunft Unterzentren herausbilden, die auch außerhalb von Altstadt und Museumsmeile interessantes urbanes Kulturleben gedeihen lassen? Oder denkt man sich von politischer Seite, dass die Kultur ohnehin vollkommen überschätzt wird als Bindeglied zwischen ihren Bürgern? Genügt München nicht das Oktoberfest als sinnstiftende Einheit? Da teilen immerhin alle ihren Rausch - sogar mit Besuchern aus aller Welt. International ist München in der Folge auch für drei Dinge bekannt: für Bier, BMW und den FC Bayern.

Wie sehr sich gerade die Kulturschaffenden der Stadt noch eine andere Art von Gemeinsamkeit wünschen, zeigt derzeit das Faust-Festival. Initiiert hat es natürlich kein Kulturpolitiker - das muss ja auch nicht sein -, sondern der holländische Museumsdirektor der Kunsthalle Roger Diederen. Daran beteiligen sich mehr als 200 Institutionen und einzelne Künstler. Und das nicht etwa nur für eine "Lange Nacht", sondern über vier Monate hinweg.

En passant haben sie sich selbst ein Netzwerk geschaffen, das es nun, auch nach dem Festival, das im Juli enden wird, gälte, aufrecht zu erhalten, zu hegen und zu pflegen. Aber ist irgendjemand in Sicht, der sich darum kümmern würde? Wer auch?

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