Kultur:Wenn die Realität zur Farce wird

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Die interaktive Performance "Telecafé 089" befasst sich auf mehreren Ebenen mit dem NSU-Komplex. Eine Mischung aus Rauminstallation, Audioführung und Computer-Rollenspiel lässt Besucher zu Agenten werden

Von EKATHERINA KEL

Agenten sind cool. Sie halten sich verdeckt, handeln heimlich und akkurat und bleiben unbemerkt - sie sind die Meister der Halbwahrheit. Die Coolness droht aber dann in die Boshaftigkeit zu kippen, wenn die Agenten des Verfassungsschutzes scheinbar rechtsextremer Kriminalität den Weg ebnen, um ihre eigene Haut zu retten. Oder um den Staat zu schützen? Moment, was denn nun? Nichts ist so verwirrend wie das Spiel mit der Verwirrung. Das bietet viel Raum zum Fantasieren.

Deshalb haben Studierende der Akademie der Bildenden Künste die Kunstaktion "Telecafé 089" kreiert, die von Montag bis Sonntag in der Akademie Galerie stattfindet. Sie haben vor, eine Fiktionsebene über das verwirrende Spiel mit der Doppelbödigkeit zu legen. Die interaktive Performance entsteht als Mischung aus Rauminstallation, Audioführung und Computer-Rollenspiel und folgt dabei einem strengen Konzept: In der "Aktion" wird der Besucher eingeladen, sich an den ersten beiden Tagen einem Bewerbungsgespräch mit den Veranstaltern zu unterziehen. Wenn man den Anforderungen der Ausschreibung wie "rudimentäre Erfahrung in Observation und Verhörtechnik" genügt, darf man selbst in die Rolle des V-Mann-Agenten schlüpfen. Mit Audioequipment, langem Mantel, dunkler Brille und Aktenkoffer kann der Zuschauer zum Akteur werden und durch die Maxvorstadt ziehen, um geheime Aufgaben zu erfüllen. "Man kann selbst in diese Welt eintauchen und dadurch subjektiv nachspüren, wie man tätig wird", sagt Patrik Thomas, einer der drei Künstler, die hinter dem Konzept stehen. Er arbeitet an der Schnittstelle zwischen Medienkunst, Film und Theater, oft politisch.

Wer den Anforderungen der Ausschreibung wie "rudimentäre Erfahrung in Observation und Verhörtechnik" genügt, darf selbst geheime Aufgaben erfüllen. (Foto: Veranstalter)

Jeder Besucher soll zunächst in einem Internetcafé in der Akademie Galerie landen. Von dort aus hat er die Wahl, tiefer vorzudringen, ob selbst die Agentenrolle ergreifend, nur den Verschwörungstheorien beim täglichen "Stammtisch" lauschend, oder als Zuhörer bei den Diskussionsveranstaltungen. Am Eröffnungsabend gibt es um 18 Uhr eine Diskussion mit NSU-Experten wie Robert Andreasch. Am Sonntag um 17 Uhr endet die Aktion dann mit einer Gesprächsrunde aus Gästen wie Ralf Homann, Andreas Förster oder dem Sprecher der Kritischen Polizisten, Thomas Wüppesahl.

Die Doppelrolle der Verfassungsbehörden diente Patrik Thomas und seinen Kollegen als Inspiration. Sie spiele beim Prozess gegen den "Nationalsozialistischen Untergrund" um Beate Zschäpe, der seit mehr als zwei Jahren im Zentrum Münchens geführt wird, eine entscheidende, aber von der Verwaltungsebene gern kleingeredete Rolle. Der NSU-Prozess trägt mittlerweile den Beinamen "Komplex" und wird von rätselhaften Ereignissen begleitet. Zeugen sterben unerwartet, Akten werden geschreddert, Aussagen von Wahrsagerinnen eingeholt. Das ist fruchtbarer Nährboden für Verschwörungstheorien.

Wer will, kann sich mit Audioequipment als V-Mann betätigen. (Foto: oh)

Das komplexe Thema sorgt für immer mehr Kritik. Sorgt da eine zusätzliche Fiktionsebene nicht nur noch für mehr Spekulationen statt für nötige Ernsthaftigkeit? Patrik Thomas sieht diese Gefahr nicht. Wenn die Realität schon eine Farce sei, so Thomas, dann würde gerade durch die Überhöhung der Realität wieder etwas Klarheit erzeugt, erklärt er die Idee von "Telecafé 089". Es gäbe Figuren innerhalb des Systems, die sich selbst noch absurder zeichneten. Wie zum Beispiel der Verfassungsschützer Andreas Temme aus Kassel, der seine Zeugenaussage in einem Video nachträglich nachstellte, das nun aber als offizielle Dokumentation gelte. Die Studierenden hätten die wiederholten Absurditäten nur wiederaufgegriffen. Doch trotz der Lächerlichkeit sollte man das Thema ernst nehmen, sagt Thomas. "Da wird zu wenig drüber geredet. Es gibt noch genug Ungeklärtes."

Telecafé 089. Geschichten aus dem tiefen Staat , Mo., 13., bis So., 19. April, 14-22 Uhr, Eröffnung: 13. April, 12 Uhr, Akademie Galerie, U-Bahn Haltestelle Universität, Ausgang Nord, weitere Informationen unter: www.adbk.de/de/akademiegalerie

© SZ vom 13.04.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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