Kultur:Was München zur echten Großstadt fehlt

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Das Kulturprojekt "Bahnwärter Thiel" hatte bisher im Viehhof seinen Platz; an Pfingsten musste es nun in die Maxvorstadt umziehen. (Foto: Alessandra Schellnegger)

Jede noch so kleine Baulücke in der Innenstadt verschwindet, und mit ihr die Subkultur.

Kommentar von Michael Bremmer

Ach München, du kleine große Stadt. Wie gewaltig war das Staunen, als am Donnerstag ein in die Jahre gekommener Schienenbus quer durch München transportiert wurde - auf einem Lastwagen. Ein Video in den sozialen Netzwerken dokumentierte die Überführung vom Schlachthofviertel in die Maxvorstadt, mehr als zehntausend Mal wurde der Film angeklickt, die Zeitungen berichteten, die Menschen reagierten emotional. Wie in einer Kleinstadt, wenn ein Wanderzirkus Einzug hält.

Und warum der ganze Zirkus? Weil mit dem Bahnwärter Thiel ein - zugegebenermaßen - außergewöhnlicher Club nicht ganz aufgeben muss, sondern vorübergehend an einem neuen Ort in München eine zweite Chance bekommt.

Ein Bahnwaggon, das Programm eine Mischung aus Partys, Ausstellungen, Lesungen und "Schienenbus-Konzerten" - das reichte, um München ins Staunen zu bringen, häufig kombiniert mit dem Ausruf, das hier sei ja "voll Berlin". Ähnliche Reaktionen hört man bei Besuchern des Biergartens "Zur Freiheit" im Viehhof, der Anfang Juni wieder öffnet.

Maxvorstadt
:Wie es mit dem Bahnwärter Thiel weitergeht

Das Kulturprojekt musste den Viehhof verlassen - und macht jetzt Station vor der Hochschule für Fernsehen und Film. Betreiber Daniel Hahn erzählt, was bis Oktober dort geplant ist.

Von Laura Kaufmann

Nun ist das Selbstverständnis der Münchner eigentlich zu groß für Vergleiche mit der Hauptstadt. Das mag für den Sport gelten, für die Hochkultur - aber blickt man auf die Subkultur, dann gibt es hier keinen Anlass für Superlative. Hier hält man sich mit temporären Lösungen am Leben.

Nur: Die Freiflächen verschwinden. Der Viehhof? Hier soll das Münchner Volkstheater eine neue Heimat finden. Der Ruby-Biergarten? Hier stehen bereits die Glockenbachsuiten. Die Kultur-Jurte? Darf bis Ende Juli, optional bis Ende 2016 in Untergiesing stehenbleiben. Der Wannda Circus? Zieht jetzt nach Freimann, später vielleicht nach Allach. "Wir suchen die ganze Zeit nach Plätzen und Orten, aber es gibt einfach nichts mehr", sagt Wannda-Gründer Daniel Hahn.

Im Stadtzentrum wird wie wild gebaut, jede noch so kleine Baulücke wird geschlossen, auf einem Filetgrundstück entsteht ein weiterer Konzertsaal. Natürlich ist das wichtig, irgendwie. Aber es darf sich dann keiner wundern, wenn Kreativität und Subkultur aus der Innenstadt verschwinden. Wenn München wirklich wachsen will, muss es Platz für Underground und Wildwuchs lassen. Das gehört dazu, wenn man eine echte Großstadt werden will.

© SZ vom 17.05.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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