Kultur:Sie singen um ihr Leben

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Ein ganz besonderer Männerchor - die Münchner Philhomoniker haben sich zum Ziel gesetzt, mit öffentlichen Konzerten die Vorurteile gegen Homosexuelle abzubauen. (Foto: Philhomoniker)

Beim Various Voices Festival werden fast 100 Chöre aus der schwul-lesbischen Szene und Tausende Besucher in München erwartet.

Von Michael Zirnstein

Gloria Gray ist selbstverständlich auch da beim letzten großen Probensonntag vor "Various Voices". Die unübersehbare Travestie-Größe aus dem niederbayerischen Zwiesel wird alle großen Veranstaltungen des schwul-lesbischen Chöre-Treffens moderieren. Sie ist, so heißt das dann, "das Gesicht des Festivals", und eben dieses - für ihre Verhältnisse dezent im Film-Diva-Look der Fünfziger geschminkt - filmt sie nun vor den Probenden im Hintergrund.

Das Video-Selfie für die Internet-Fans gehört zum Show-Business. Doch schnell packt Gloria Gray das Handy wieder weg und stimmt ein in den Gesang der mehr als 100 Chormitglieder und - pardon, das muss hier sein - Mitgliederinnen aus den vier Gastgeber-Gruppen Lilamunde, Melodiva, Philhomoniker und Regenbogenchor und das Spiel des Festival-Orchesters: "Du schöne Münchner Stadt sei tausend Mal gegrüßt. . ." Das wunderbare alte "Isarmärchen" von Bally Prell ist die klingende Visitenkarte der schwul-lesbischen Chöre und wird bei der Eröffnungsgala "Servus in München" am Mittwoch in der Philharmonie Tausende Gäste willkommen heißen.

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"Various Voices" ist ein Riesending in der Szene, ein "schwul-lesbisches-Großereignis", so die Veranstalter. 1997 richtete die Münchner Gemeinde der LGBTI - also der Lesben, Gays, Bi-, Trans- und Intersxexuellen - das Festival schon einmal aus. Wer dabei war, schwärmt noch heute vom Gemeinschaftsgefühl und der Aufbruchsstimmung, die damals herrschte. "Dabei sein ist alles", irgendwie olympisch. Und wie bei Olympia lief auch der Bewerbungsprozess vor fünf Jahren ab. Und doch ist keiner hysterisch bei der Probe. "Wir kaschieren das ganz gut", sagt Martina Kohlhuber vom Organisationsteam, "es sind schon alle aufgeregt, wir arbeiten seit Jahren auf das Festival hin, viele probten zuletzt zwei, drei Mal die Woche, wir wollen, dass es jetzt endlich losgeht."

Martina Kohlhuber war 2013 dabei, als man München in Dublin mit Video und Tracht präsentierte, sie warb später beim großen Sängergipfel in Denver für die Teilnahme nordamerikanischer Chöre - mit Erfolg. Außer Galas mit Gaststars wie ESC-Siegerin Conchita Wurst oder dem Countertenor Andreas Scholl geben beim "14. Europäischen LGBTI-Festival" fast 100 Chöre aus 19 Ländern von Donnerstag bis Sonntag in allen Sälen des Gasteigs jeweils ein Konzert. Gerade aus der Münchner Partnerstadt Kiew wollte man von Anfang an einen Chor dabei haben - nur gab es da noch keinen, öffentliche Auftritte von Homosexuellen waren damals undenkbar.

Mit Ermutigung aus Bayern gründeten sich dann Qwerty Queer, die inzwischen - trotz politischer Texte - im Fernsehen singen durften. Feinde gibt es freilich immer noch. Aber auch schon vier ukrainische LGBTI-Chöre, die alle unter dem Motto "Wir singen um unser Leben" nach München reisen - gesponsort vom Festival. Melodiva etwa sind dafür in einer Spendenaktion bis nach Berlin geradelt. Various Voices ist bei aller Freude und Kunst ein politisches Zeichen - "für eine freie Lebensgestaltung über alle Ländergrenzen hinweg".

Und wenn auch die "Schrillmänner" aus Karlsruhe und die "Zauberflöten" aus Köln dabei sind, ist das alles doch weniger ein homosexy Christopher-Street-Day-Spektakel als man annehmen könnte. "Klar, beim CSD marschieren wir Chöre auch mit zwischen den Wägelchen und dem Bumm-Bumm-Bumm", sagt die Musikwissenschaftlerin Mary Ellen Kitchens, "unser Regenbogenchor singt auch beim CSD-Gottesdienst." Und auch bei Various Voices werde es Partys geben. Aber im Grunde sei die "Art der Zurschaustellung" bei Various Voices eine andere, das Programm konzertierter, sagt die gebürtige Amerikanerin, deren graues Jacket und die grauen Haare ihre strahlende Rolle in der Rainbow-Community etwas verstecken.

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Sie übertrifft an Präsenz selbst den Paradiesvogel Gloria Gray: Kitchens wird sechs Auftritte als Chor- und Orchesterleiterin haben und bei Wagners "Huldigungsmarsch" an Ludwig II. die Triangel im Festival-Orchester spielen. Das leitet sie gemeinsam mit Alexander Strauch, der auch eines der beiden Auftragswerke für Various Voices komponiert hat: Er hat die Musik zu einem "Carmina Burana"-Text geschrieben, den Carl Orff nicht vertont hat: "Suscipe flos florem", ein für die saftige Liedersammlung vergleichweise sittsames Liebes- und Verwirrspiel in Hexametern.

Für den Höhepunkt des Festivals am Samstag hat der Festivalleiter Martin Wettges freilich die Gassenhauer der "Carmina" herausgesucht: "O Fortuna" und so. Schließlich sollen Profis und Laien, alle Chöre, die möchten, und dazu noch rund 10 000 Besucher gemeinsam auf dem Odeonsplatz Orffs Opus magnum singen. "Die Musik öffnet uns", sagt Mary Ellen Kitchens, die selbst im Massenchor mitsingen wird. Ums Eck auf dem Max-Joseph-Platz vor der Oper beschallen auch von Donnerstag bis Samstag bis in den Abend hinein Chöre einen improvisierten Biergarten.

Ist alles schon so normal für die, die offen anders sind? Von Trump über die AfD bis Osteuropa - die Community sieht das gerade erst Erreichte schon wieder wackeln. Und künstlerisch besteht ohnehin Nachholbedarf in Sachen Offenheit, findet Kitchens. Sie mag in den sechs Chören und Orchestern, die sie in München, Kempten, Berlin und Frankfurt leitet, keine allzu offensichtliche "Hetero-Musik", fördert lieber schwule und lesbische Komponisten und insbesondere Frauen. So spielt sie mit dem "Rainbow Sound Orchestra Munich" am Samstag (13.30 Uhr) die Mozarts "Idemeneo" aufgreifende Uraufführung "Furie" von Dorothea Hofmann.

Beim Finale am Sonntag (14.30 Uhr) präsentiert sie erstmals mit dem um etliche Gastmusiker aufgestockten Festival-Sinfonieorchester das zweite Various-Voices-Auftragswerk mit dem Titel "New Era". Die Münchner Musik-Förderpreisträgerin Verena Marisa türmt darin ein aufrüttelndes Klanggewitter um ein Zitat des amerikanischen Aktivisten Harvey Milk auf, hier gesprochen von Barack Obama: "You gotta give them hope." So ein Stück, sagt die Orchesterleiterin, "hat die Philharmonie noch nie gehört. Wir könnten in der Klassik viel vielfältiger, reicher und internationaler sein." Dabei ist klar, das gilt für sie nicht nur in der Musik.

Various Voices Festival ; Mittwoch bis Sonntag, 9. bis 13. Mai, www.various-voices.de

Anmerkung der Redaktion: In einer früheren Version hieß es, Sängerinnen des Chores Lilamunde seien nach Berlin geradelt. Richtig ist, dass der Münchner Chor Melodiva auf die Räder gestiegen ist.

© SZ vom 08.05.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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