Kultur:Neue Lockerheit auf dem Münchner Filmfest

Bei der Eröffnung des 35. Filmfests fehlt der Stargast - vor einigen Jahren wäre das noch eine mittlere Katastrophe gewesen. Nun aber herrscht aufreizend große Vorfreude und tiefe Entspannung.

Von Philipp Crone

Normalerweise hat der ausgerollte Teppich eine andere Bedeutung als an diesem Abend im Mathäser-Kino. Er soll in den meisten Fällen den Drüberläufern ein noch exklusiveres Gefühl geben, als sie es durch VIP-Bändchen, Abendgarderobe oder eines der begehrten Tickets in der Hand ohnehin schon haben. Bei der Filmfesteröffnung ist das schon immer ein wenig anders und in diesem Jahr ganz besonders.

Der Teppich, so muss man das im glühenden Spätjuni-München sehen, ist hier mehr eine optische Orientierung als ein Gütesiegel für Wichtige. Das ist am Donnerstagabend bei der Eröffnung des 35. Filmfests allein daran schon zu erkennen, dass die meisten Gäste achtlos darauf rumstehen und ihre Begleitung für den Eröffnungsfilm "Un beau soleil intérieur" ("Eine schöne innere Sonne") suchen. Der Teppich als Wegweiser in den Saal oder zum Empfang und nicht als Hinweiser auf den, der ihn betreten darf. Es ist dann auch nicht so schlimm, dass Hauptdarstellerin Juliette Binoche am Donnerstagabend nicht kommt, denn es geht mehr um das Sehen auf die Leinwand als um das Sehen und Gesehen werden. Die Premierengäste wollen sich vom Eröffnungsabend einstimmen lassen, um dann eineinhalb Wochen lang den Puls in der nationalen und internationalen Filmszene zu spüren.

Filmfestchefin Diana Iljine hat seit ihrem Start 2011 das Festival Schritt für Schritt mit einer eigenen Identität ausgestattet. Wo es früher eher bemüht hemdsärmelig zuging mit einem unterdrückten Stolz auf filmische Schmankerl, spürt man heute das Selbstvertrauen in die starken Filmreihen. Von Jahr zu Jahr steigt die Zahl der kleineren Filmfeiern und Premieren, die man eigentlich besucht haben sollte. Und von Jahr zu Jahr steigt auch allmählich die Zahl der namhaften Gäste. Wenn nun Bryan Cranston oder Sofia Coppola kommen, gehört das längst zur neuen Selbstverständlichkeit des Filmfests. Und die Stars kommen mittlerweile gerne. In einer Branche der Illusionen merken die Leute eben, ob man ein Festival einfach irgendwie glamourös präsentieren und damit auffallen will, oder ob die Veranstalter einfach das machen, wofür sie stehen und wovon sie überzeugt sind. Auch bei der Auswahl des Eröffnungsfilms.

Schon im vergangenen Jahr war "Toni Erdmann" eine gelungene Wahl, da waren sich die Gäste einig. Nachdenklich, skurril, komisch und verstörend, später für den Oscar nominiert. In diesem Jahr eröffnet die französische Regisseurin Claire Denis das Fest im Mathäser-Kino. Sie lässt Juliette Binoche, die sie schon in ihrem Debütfilm "Chocolat" inszenierte, als "50-Jährige nach Liebe suchen, wobei sie immer nur coole Lover findet", sagt Iljine. "Eine sehr moderne Geschichte über die Politik in Beziehungen und wie schwierig es ist, die echte Liebe zu finden."

Der Film trifft in München auf ein traditionell kritisches Publikum, wobei sich der Unmut des vergangenen Jahres ausschließlich auf die verunglückte Präsentation des Abends mit einem arg bemüht lustigen Comedian bezog. Die neue Lockerheit und das Selbstbewusstsein der Münchner Filmfestmacher zeigt sich auch darin, dass sie eben keine Hilfe mehr brauchen, um Wirkung zu erzielen. Das machen Filme, Gäste und Atmosphäre schon ganz alleine.

Dieser legere Münchner Stolz war bereits am Mittwoch wieder zu spüren, beim "Warm-up"-Fest im Literaturhaus, wo sich seit einigen Jahren die Branche im möglichst unglamourös biergartlichen Ambiente trifft. Ein roter Teppich liegt zwar aus, ist aber auch nur wieder ein Wegweiser, wo es reingeht. Drinnen reden Maximilian Brückner und Sigi Zimmerschied über neue und alte Projekte, stöckeln sich Damen schon mal warm für den elegant beiläufigen Herumspazier-Gang mit Sprizz-Balancieren, den sie die nächsten zehn Tage zeigen wollen. Regisseur Joseph Vilsmaier referiert über den Vorteil des Pflanzens von Essigbäumen bei Nachbarschaftsstreitigkeiten und die besten Filmfestempfänge ("nicht zu viele Gäste und ein gutes Helles"). Für Vilsmaier ist die Filmfesteröffnung eine Art Animationsabend, "um in die richtige Stimmung zu kommen für die nächsten Tage", für Rufus Beck eine Chance, "Leute zu gucken". Der Mann muss ohnehin ein wenig entspannen, er hat gerade erst 90 CDs eingesprochen, "die Bibel im Reformationsjahr", sagt er mit seiner schwingenden Hörspiel-Stimme.

Bayerns Medienministerin Ilse Aigner spricht am Donnerstagabend vom Filmfest als wichtige Bühne, um "gesellschaftlich relevante Stoffe künstlerisch zu präsentieren", und Oberbürgermeister Dieter Reiter spricht vom jugendlichen Charme und einem sprühenden Erlebnis. Das ist auch nötig bei Temperaturen wie am Eröffnungsabend mit mehr als 30 Grad. Wobei die Besucher auch das mit stoisch norditalienischer Lockerheit samt bayerischer Wurschtigkeit annehmen werden. Sprühende Leinwanderlebnisse wie die "schöne innere Sonne" am Donnerstag, die einen so nachdenklich fröhlich in den Abend entlässt, dass man die Hitze fast vergisst, samt erfrischenden Weißwein-Diskussionen mit viel Eis. Und die Orientierung ist einfach: Man muss immer nur den Teppichen nach flanieren.

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