Kultur:Greifbar machen

Das digitale Ausstellungsformat "Guest-Room" wird jetzt durch eine von Katrin Weber initiierte Galerie ergänzt

Von Jürgen Moises

Eine Ausstellung ohne Thema, ohne Hintergrundinformationen zu den gezeigten Fotografien und deren Urhebern? Das ist, gibt die Leiterin der Galerie f5,6 und Kuratorin der Ausstellung "Guest-Room" Katrin Weber zu, zunächst "erklärungsbedürftig". Wer jedenfalls eine Erklärung braucht, der findet diese auf www.dergreif-online.de, der Website des Augsburger Fotomagazins "Der Greif". Dort ist tatsächlich auch der eigentliche Ort von "Guest-Room": einer monatlichen "Online-Ausstellung mit offenen Einreichungen - in Echtzeit von herausragenden Persönlichkeiten der Fotografie-Welt kuratiert", wie es erläuternd dazu heißt. Die Galerie-Ausstellung ist gewissermaßen ein "Nebenprodukt", das von Katrin Weber initiiert wurde. Auch die sehr schön aufgemachte Publikation zur Ausstellung: ein Schuber mit allen, jeweils einzeln auf hochwertiges Papier gedruckten Fotos, ist im Grunde "nur" eine Zutat.

Zu den Persönlichkeiten, die bisher an "Guest-Room" beteiligt waren, zählen neben Weber der Autor, Kurator und Gründer von "Self Publish, Be Happy" Bruno Ceschel und der Kurator am Haus der Fotografie in Hamburg Ingo Taubhorn. Weitere bereits feststehende Kuratoren für die neun im diesem Jahr geplanten "Guest-Rooms" sind: Elisa Medde, Herausgeberin des "Foam"-Magazins, Timothy Persons, Leiter der Gallery Taik Persons in Berlin und Helsinki, und Christoph Tannert vom Künstlerhaus Bethanien in Berlin. Sie alle hatten oder haben die Aufgabe, aus etwa vier- bis fünftausend Fotografien aus aller Welt rund 30 auszuwählen und diese so zu gruppieren, dass jeweils ein bis drei davon täglich auf der "Greif"-Website veröffentlicht werden können. Dort sind die Bilder dann weltweit zu sehen.

Kultur: Für jede Ausgabe des "Greif" wählen die jungen Designer aus mehreren tausend Einsendungen aus.

Für jede Ausgabe des "Greif" wählen die jungen Designer aus mehreren tausend Einsendungen aus.

(Foto: Leon Kirchlechner/oh)

Das Prinzip, nach dem "Guest-Room" als digitales Ausstellungsformat funktioniert, ist im "Greif"-Kosmos nicht neu. Denn genauso funktioniert im Wesentlichen das von Matthias Lohscheidt, Simon Karlstetter und Leon Kirchlechner seit 2008 auf Papier herausgegebene "Greif"-Magazin, das 2014 in New York mit dem Lucie-Award zum "Photography Magazine of the Year" gekürt wurde. Das heißt: Fotografen und Fotografinnen schicken ihnen auf eine Ausschreibung hin Arbeiten zu, aus denen die jungen Designer dann ein Heft zusammenstellen. An der ersten Ausgabe waren nur Freunde und Bekannte beteiligt, inzwischen gehen pro Ausgabe mehrere tausend Einsendungen aus über 90 Ländern ein. Rund 150 davon werden ausgewählt, arrangiert und mit Gedichten und Prosatexten von verschiedenen Autoren kombiniert. Über die jeweiligen Werke erfährt man nur die Grundinfos: Name, Titel, Ort, Jahr.

Auch sonst hat das "Greif-Prinzip", gibt Matthias Lohscheidt zu, gewisse Vorbilder. Er selbst vergleicht es mit der Remix- und Resampling-Arbeit von DJs. Auf die Idee dazu sind sie 2008 bei einem Gespräch darüber gekommen, dass unzählige Fotografien auf Festplatten oder im Internet ungesehen vergammeln. Diese sicht- und greifbar zu machen, das war die Grundidee zum "Greif". Man könnte ihren Umgang mit Fotografien vielleicht auch noch mit einem anderen Begriff umschreiben. Nämlich dem des "Kuratierens". Auch Ausstellungskuratoren machen im Prinzip ja nichts anderes: Sie nehmen Arbeiten von Künstlern her, kombinieren sie und bringen sie in einen neuen Kontext. Dass die "Greif"-Macher bei "Guest-Room" nun mit Kuratoren zusammenarbeiten, ist, könnte man sagen, nur konsequent.

Kultur: Das Layout ist puristisch und wurde 2014 in New York mit dem Lucie-Award zum "Photography Magazine of the Year" gekürt.

Das Layout ist puristisch und wurde 2014 in New York mit dem Lucie-Award zum "Photography Magazine of the Year" gekürt.

(Foto: Leon Kirchlechner/oh)

Der Kurator als DJ? Diese Analogie findet sich auch in Jonathan Rosenbaums Buch "Curation Nation" von 2011, in dem es vorwiegend darum geht, wie man in die digitale Informationsflut Ordnung bringt. Rosenbaums Lösung: "Kuratoren", die Informationen auf auffindbare Weise bündeln. Und sein Fazit: im digitalen Zeitalter ist der Kurator König. Professionellen Kunst-Kuratoren hat Rosenbaums Loblied interessanterweise wenig gefallen. Weil sie darin eine Aufweichung des Kuratoren-Begriffs sehen. Tatsächlich könnte man auch das "Guest-Room"-Projekt ein Stück weit als freiwillige "Dekonstruktion" dieses Begriffs sehen, und auch des "Greif-Prinzips" selbst. Weil es Fragen evoziert wie: Warum wurden genau diese Bilder ausgewählt? Von Katrin Weber heißt es dazu, dass ihre vielleicht irritierende Auswahl "ganz natürlich" passiert sei und auf "persönlichen" Entscheidungen beruhe.

Eine ehrliche, sehr subjektive Antwort, die man diskutieren kann. Und genau das wollen die "Greif"-Macher auch erreichen: Dass eine Diskussion darüber in Gang kommt, wie man im digitalen Zeitalter mit Fotografien umgehen kann. Und sie wollen sehen, wie ihre eigene Lösung, ihr "Greif-Prinzip", bei Anderen und in anderen Kontexten funktioniert. Ein erster Eindruck: Es macht sich im Ausstellungsraum nicht ganz so überzeugend, da sich die Fotografien etwas im Raum verlieren. Im Internet ist es umgekehrt. Da wirken sie teilweise zu sehr in ein festes Format gezwängt. Das heißt: Am besten macht sich das "Greif-Prinzip" noch immer als frei-assoziatives Spiel auf den Papierseiten. Deswegen sollte man sich schon einmal die Finissage am 30. April vormerken. An diesem Tag erscheint auch "Greif"-Ausgabe Nr. 8 und wird in der Galerie ausliegen.

Guest-Room Katrin Weber, bis 30. April, Galerie F 5,6, Ludwigstr. 7

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