Anbau:Kulinarische Geheimtipps, für die das Verlassen des Ufers lohnt

Anbau: Heike Hoffmann (Mitte) sucht kulinarische Geheimtipps bei den Kräuterbauern Elena Bertagna und Paolo Ferri.

Heike Hoffmann (Mitte) sucht kulinarische Geheimtipps bei den Kräuterbauern Elena Bertagna und Paolo Ferri.

(Foto: Stephan Rumpf)

Kooperativen beackern die Erde nachhaltig, Winzer verschmähen dünne Industriebrühe, Köche besinnen sich aufs Handwerk: Im Hinterland des Gardasees gibt es einiges zu entdecken.

Von David Costanzo

Wer bei Peschiera die Uferstraße in Richtung Süden verlässt, der erreicht nach nur drei Kilometern Italien. Erdfarbene Fassaden, bröckelnde Fenster, die Provinzstraße schlängelt sich mitten durch den Ort, die Alten sitzen vor der Bar. Für Dörfer wie Salionze, Monzambano oder Pozzolengo interessieren sich Touristen eigentlich nur, wenn sie in engen Neon-Trikots auf nicht immer austrainierten Oberkörpern durchstrampeln.

Heike Hoffmann aus Dießen fährt gut zehnmal im Jahr auf solche Provinzstraßen am Gardasee ab, um Restaurants für ihren Reiseführer zu testen und um Bauern, Winzer und Metzger zu treffen. Bevor die 52-jährige promovierte Historikerin wieder zurück über den Brenner fährt, lädt sie den Kofferraum ihres Familienvans voll mit Weinen, Salami und Olivenöl. Den Gusto vom Gardasee bietet sie dann in ihrem Garagenladen am Ammersee an - in ihrer "Dispensa Verde", der "Grünen Speisekammer".

Früher hat auch sie den Gardasee auf dem Weg in die Toskana rechts von der Autobahn A 22 liegen lassen, hochnäsig wie so viele, sagt sie, nur Deutsche, kein echtes Italien, pah. Aber die Dinge haben sich geändert, der See, die Italiener, die Deutschen und sie selbst. Vor Jahren war Hoffmann einmal bei einer Freundin am See eingeladen und verlor ihr Herz an das raue Hinterland südlich des Sees, wie sie sagt. Bei einer anderen Tour lernte sie einen Winzer kennen, der alles anders als seine Eltern machen wollte - und den sie später zu einer Weinprobe einlud.

Und nun steckt das Land in einer schweren Krise, das alte Durchs-Leben-Wurschteln funktioniert nicht mehr, das Land und Menschen denken um - Kooperativen beackern die Erde nachhaltig, Winzer verschmähen dünne Industriebrühe, Köche besinnen sich aufs Handwerk. Aber man muss sie noch suchen. Und das tut Heike Hoffmann. Zwar verlassen die meisten deutschen Garda-Touristen das sichere Ufer noch immer recht zuverlässig nur für einen Arena-Besuch in Verona. Aber: "Es gibt immer mehr Urlauber, die das Land schmecken lernen wollen."

Duftende Kräuter

Elena Bertagna ist verrückt. Das sagt die 39-Jährige selbst von sich. Nach Schwangerschaft und Geburt ist sie nicht in ihren alten Job im Büro zurückgekehrt. Sie hätte die Stelle wieder haben können. Doch sie hat die Festanstellung aufgegeben, das regelmäßige Gehalt verschmäht. Viele Italiener würden für so eine Stelle alles geben, bei offiziell zwölf Prozent Arbeitslosigkeit, unter den Jungen sucht jeder Dritte eine Beschäftigung, viele andere schlagen sich mit Billigjobs durch.

Und nun kniet sie auf dem steinigen Boden in den Hügeln von Monzambano und zupft Lavendel und Rosmarin Stängel für Stängel, Blatt für Blatt, immer genau dann, wenn sie die einzelne Pflanze für reif hält. "Ich hatte das Gefühl, etwas Nachhaltiges tun zu müssen", sagt sie. Also gründete sie im Mai ein Unternehmen und baut Heilkräuter auf Feldern an, die seit der Zeit ihres Großvaters brach lagen, weil sie für die großen Agrarmaschinen kaum zugänglich sind - und heute mit ihrem Duft Myriaden von Insekten und Bienen anziehen.

Paolo Ferri hat mit ihr die verrückte Idee gesponnen. Der 33-Jährige hat vor sechs Jahren den Hof seines Vaters übernommen, er baut Wein an, produziert Honig und zieht nun auch Kräuter. Zusammen bewirtschaften sie etwas mehr als einen Hektar, im Herbst wollen sie sich verdoppeln. Teile davon überlassen sie Freunden aus dem Dorf, damit sie sich ausprobieren können - Gleichaltrige, Mitt- und Enddreißiger, sie nennen sich noch "ragazzi".

In Sachen Marketing, Absatz und Bürokratie probieren sich die Ragazzi noch aus - welche Zertifizierungen es gibt, welche Genehmigungen sie brauchen, um Tees, Salze, Öle herzustellen. Die ersten Kräuter haben sie immerhin schon verkauft. Denn sie bauen sechs unterschiedliche Sorten Minze an und beliefern die ersten Bars in Peschiera, die ihre Drinks damit shaken. Daran haben sie anfangs überhaupt nicht gedacht, sagt Ferri. Der Preis: zwölf Euro das Kilo. Zu günstig, findet Heike Hoffmann.

Sie hat die Gruppe kennengelernt, als sie den ersten Kräuterspaziergang über die Felder organisierten. Obwohl sie den nur im Internet und per Handzettel ankündigten, kamen 130 Menschen. Natürlich wird sich das Unternehmen irgendwann rechnen müssen, sagt Elena Bertagna, "ein Minimum muss sein". Doch Paolo Ferri ist von der Idee so überzeugt, dass er augenzwinkernd sagt, bald die ganzen Hügel von Monzambano mit Kräutern bepflanzen zu wollen.

Marmoriertes Fleisch

Anbau: Andrea Castrini ist Metzger am Gardasee.

Andrea Castrini ist Metzger am Gardasee.

(Foto: Stephan Rumpf)

Im "Centro Carni dei Colli Storici" steht die ganze Familie am Arbeitstisch, denn zum Weinfest in San Martino della Battaglia müssen 4000 Spießchen fertig werden. Da piksen auch der Chef Andrea Castrini und seine Frau Michela Fleisch, Paprika, Salsiccia und dann alles wieder von vorne auf. Das Geschäft ist von der Aufzucht bis zur Theke ein Familienbetrieb: Denn vor allem das Rindfleisch kommt vom Hof seines Bruders Massimo, der artgerecht ausschließlich Piemonteser Rinder hält, die sehr groß werden und ein fein marmoriertes Fleisch abgeben.

Andrea Castrinis Meisterstück ist jedoch der Salame Morenico di Pozzolengo: Der 40-Jährige legt Knoblauch in hiesigen Rotwein ein, in Merlot, Cabernet oder Garda Classico, bis dieser schön parfümiert ist. Davon kommt ein Liter in rund 40 Kilo Salami. Im Laden kostet die luftgetrocknete Wurst dann 18 Euro das Kilo. Heike Hoffmann nimmt bei vielen Besuchen etliche Zehn-Kilo-Kisten mit - in ihrem Laden bietet sie die Salami dann inklusive Transport und Lagerung für 29 Euro das Kilo an.

Kantiger Wein

Cesare Gozzi ist der Winzer, der alles anders als seine Eltern machen wollte und den Bauernhof in Monzambano schon in den Achtzigern zu einem Weingut umbaute. Das gab einen riesigen Ärger bei jeder Kuh, die den Hof verlassen musste, erzählt Heike Hoffmann. Dann stand der heute 63-Jährige vor einem anderen Problem: Warum muss der Wein aus der Region nur so dünn sein? Seine Frau Elisabeth stammt von der französischen Atlantikküste, also bat er sie, ihm das Bordeaux-Gebiet zu zeigen. Dort tragen die Reben viel weniger Trauben.

Dabei hatte er auf der Landwirtschaftschule gelernt, dass drei Dinge wichtig seien: Ertrag, Ertrag, Ertrag - als ginge es um Mais. Zurück am Gardasee schlich er sonntags, als Vater und Onkel bei der Messe waren, in die Weinberge und schnitt einen Großteil der Trauben weg, damit die verbleibenden besser reifen. "Das gab wieder Ärger!", erzählt Gozzi. Doch daraus entstand der preisgekrönte, kantige "Rosso Saline". Der 35-Hektar-Betrieb, den er zusammen mit seinem Bruder Franco führt, produziert heute insgesamt 250 000 Liter Wein im Jahr. Viermal im Jahr beliefert er Heike Hoffmann persönlich - mit seinem Transporter über den Brenner.

Anbau: Winzer Cesare Gozzi produziert gemeinsam mit seinem Bruder Franco 250 000 Liter Wein im Jahr.

Winzer Cesare Gozzi produziert gemeinsam mit seinem Bruder Franco 250 000 Liter Wein im Jahr.

(Foto: Stephan Rumpf)
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