Kündigung:Ein Jahr Gnadenfrist für das Café Freiraum

Kündigung: Das Café Freiraum ist eine Institution im Viertel, 600 Unterstützer haben sich spontan für den Freiraum eingesetzt.

Das Café Freiraum ist eine Institution im Viertel, 600 Unterstützer haben sich spontan für den Freiraum eingesetzt.

(Foto: Stephan Rumpf)

Der Verein an der Pestalozzistraße 8 hat die Kündigung erhalten und muss ausziehen. Damit geht der Isarvorstadt auch ein besonderes Kultur- und selbst verwaltetes Wohnprojekt verloren.

Von Birgit Lotze, Ludwigsvorstadt/Isarvorstadt

Eigentlich hatten die Kunstschaffenden in und um das Café Freiraum davon geträumt, ihr Haus an der Pestalozzistraße 8 irgendwann aus dem freien Markt herauszukaufen. So, wie es die Betreiber des alternativen Wohnprojekts Ligsalz 8 im Westend vor einigen Jahren gemacht haben. Stattdessen steht der Kunst- und Kulturverein, der in dem Haus ein Restaurant und eine Galerie betreibt, eventuell bald ganz ohne Räume da. Die Kündigung durch den Hauseigentümer, das Münchner Zentrum der Anthroposophischen Gesellschaft in Deutschland, liegt dem Verein bereits vor.

Das Café Freiraum ist eine Institution im Viertel, 600 Unterstützer haben sich spontan für den Freiraum eingesetzt. Die Unterschriften hätten noch einmal "etwas Aufwind" gebracht, wie Roland Brummer sagt. Brummer ist Hausbewohner, Architekt, Vereinsvorsitzender und so etwas wie der Hausmeister in der Pestalozzistraße 8. Ein Jahr dürfe der Verein Freiraum, den er mitbegründet hat, nach dem Einsatz der Unterstützer zumindest noch in der Galerie bleiben, bis 30. September 2018. Eine Gnadenfrist. Allerdings zu anderen, weit schlechteren Bedingungen als bisher.

Die Gründer sind seit mehr als 30 Jahren mit dem Haus verbunden. Damals waren es 15 Menschen, die das Ideal hatten, unter der Überschrift "Wohnen und Kultur" ein Haus zu betreiben, in dem Anwohner und Engagierte ausstellen oder sich über die Kunst und die Auseinandersetzung damit weiterentwickeln können. Der Verein wolle das Umfeld einbeziehen. "Jeder Mensch ist ein Künstler", zitiert die Kunsttherapeutin Elisabeth Seidel, Geschäftsführerin im Freiraum-Vorstand, ihr Vorbild Joseph Beuys. Jeder könne sich kreativ ausdrücken.

Acht Parteien wohnen in der Pestalozzistraße 8. Die Bewohner sind nicht alle Kunstschaffende oder Kunsttherapeuten, einige sind Lehrer, vor allem an Waldorfschulen. Ebenerdig ist die Galerie untergebracht, oben Kursräume und die Verwaltung. 30 Jahre Kulturarbeit hat der Verein im Stadtviertel gemacht. In der Galerie finden laufend Ausstellungen statt. Man habe es gut gehabt mit dem alten Vertrag, sagt die Künstlerin Christa Lux, die Skulpturen macht und ebenfalls in dem Haus lebt. Die Zeiten seien vorbei.

Die Anthroposophische Gesellschaft hatte dem Verein 1985 eine Gelegenheit gegeben, die in der bayerischen Landeshauptstadt eher ungewöhnlich ist: Mieter und Verein verwalteten bisher das Haus selbst. Sie legten in Hausversammlungen sogar ihre Mietpreise fest, wie auch sonst alles, was rund ums Haus anstand. Der Eigentümerin wurde ein für Münchner Verhältnisse eher geringer Pauschalbetrag überwiesen. Dafür hielten die Bewohner das Haus instand, kümmerten sich um alles, sie bauten aus. Neben der Galerie richteten sie ein Vereins-Café im Erdgeschoss ein. Dann vermietete der Verein vor zwölf Jahren den Raum an Norma Marquez und ihren Mann, die ein argentinisches Lokal dort aufmachten. Der Verein Freiraum nutzte das Restaurant, das heute noch "Café Freiraum" genannt wird, weiterhin als Ausstellungsraum: Kunst als Dekoration zum guten Essen.

Kündigung: Ratlosigkeit bei Roland Brummer und Sabine Bijewitz: Café und Galerie wurden nach drei Jahrzehnten gekündigt.

Ratlosigkeit bei Roland Brummer und Sabine Bijewitz: Café und Galerie wurden nach drei Jahrzehnten gekündigt.

(Foto: Stephan Rumpf)

Die Eigenständigkeit ist in einigen Wochen vorbei. "Das Schlimmste ist, dass wir kein Café mehr haben. Das war 30 Jahre lang unser Ort der Begegnung, unser Herzstück", sagt Roland Brummer. Doch es geht noch mehr verloren: Der Vermieter wolle künftig "alles in Eigenregie" machen, sagt Elisabeth Seidel. Auch das Kursprogramm breche dem Verein wahrscheinlich weg. Fraglich sei, ob die Ausstellungen - drei sind für dieses Jahr noch geplant - überhaupt so über die Bühne gehen könnten. Zeiten und Inhalte müsse sich der Verein eventuell künftig von den Anthroposophen genehmigen lassen. Die Gesellschaft habe den Eindruck hinterlassen, als ob sie das Haus künftig rein nach ihren Ideen ausrichten wolle. Von der Anthroposophischen Gesellschaft in München war dazu noch keine Stellungnahme zu erhalten, sie ist bis 11. September in der Sommerpause.

Das Viertel vor der Tür hat sich verändert. Früher führte das Haus an der Pestalozzistraße an der Stelle unweit der Müllerstraße eher ein Schattendasein, sagt Roland Brummer. Dann kamen die Schwulen, später zog das Partyvolk immer größere Kreise, heute liegt die Adresse inmitten des sehr lebendigen Teils des hippen Glockenbachviertels. Doch auch im Haus veränderte sich einiges: Nicht alle Hausbewohner sind unglücklich darüber, dass sie künftig ein ganz normales Mieterverhältnis eingehen sollen. Die vielen Diskussionen in den Zeiten der Selbstverwaltung zermürbten auch, schafften Unfrieden, vor allem in den vergangenen drei, vier Jahren soll es regelrecht Streit gegeben haben.

Natürlich wird immer wieder darüber geredet, ob die Anthroposophische Gesellschaft die Zwist-Situation ausgenutzt hat, um sich das Haus wieder zu sichern. Eine neue Generation habe dort das Sagen, heißt es. Sie habe andere Interessen als die Vertragspartner vor 30 Jahren, ebenfalls Anthroposophen, doch sie unterstützten die Freiraum-Ideen. "Wir sind der neuen Generation zu wenig anthroposophisch", sagt Elisabeth Seidel. Der Verein könne sich ja schlecht dem Konzept der Anthroposophischen Gesellschaft unterwerfen. Klar, Rudolf Steiner sei im Freiraum voll akzeptiert. Doch der Verein stehe für Offenheit, eben für Freiraum. "Und diesen Freiraum sollen alle nutzen - nicht nur die Anthroposophie."

Derzeit werden Ausweichlösungen eruiert. Das Kreativquartier an der Dachauer Straße ist unter anderem im Gespräch. Doch eigentlich wollen die Freiraum-Mitglieder gar nicht weg. "Alle unsere Ideen und Bemühungen, woanders hinzugehen, sind eigentlich halbherzig, aus der Not heraus", sagt Brummer. Sie hofften immer noch auf ein Einlenken. "Aber egal wie: Wir werden auf jeden Fall weitermachen." Wirtin Norma Marquez macht vorerst in jedem Fall weiter: Allerdings hat sie von 1. Oktober an einen neuen Pachtvertragspartner: die Anthroposophische Gesellschaft.

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