Kritiken:Barbusiger Altrocker, krachlederner Nachwuchs

Rockavaria, Festival Olympiapark

Oben ohne und mit jugendlicher Energie: Iggy Pop mussten die Tontechniker um 23 Uhr den Saft abdrehen, damit er aufhört.

(Foto: Florian Peljak)

Iggy Pop will gar nicht mehr von der Bühne, Mando Diao bringen das Stadion zum Tanzen, kleine Bands spielen groß auf - und die Sängerin von Garbage brüllt: "Mögt ihr keine Frauen?"

Von DIRK WAGNER

Henry Rollins steht auf der Bühne, einer der stimmgewaltigsten Sänger der Rockgeschichte, und was macht er? Er predigt! So, wie im Film "Gutterdämmerung", in welchem er einen Prediger spielt. Eine Band, ein Sänger und eine Sängerin, und eben besagter Henry Rollins, den man hier lieber als Sänger erlebt hätte, ergänzen die Vorführung jenes Films auf Rockavaria mit Live-Musik und Schauspiel auf der Bühne. Besser macht das den Film allerdings nicht, in welchem noch weitere Rock-Größen wie der im Dezember verstorbene Lemmy Kilmister, Grace Jones oder Nina Hagen mitwirken. Oder Iggy Pop, der im Anschluss eines der besten Konzerte des Festivals spielt.

Es ist seine Abschieds-Tournee, ein würdiger Ausstieg aus jenem Rock'n'Roll-Zirkus, dem der mittlerweile 69 Jahre alte Sänger in den Sechzigern mit den Stooges nicht nur beigetreten ist, sondern den er als "Godfather of Punk" auch entscheidend vorangetrieben hat. Auf Rockavaria zieht er noch einmal alle Register, reiht er Hits der Stooges wie "No Fun", "I wanna be your dog" oder "1969" an Solohits wie "The Passenger" oder "Lust For Life", die an die Zusammenarbeit mit dem im Januar verstorbenen David Bowie erinnern. Als hätte er keine Zeit zu verlieren startet er sein Set mit einem Hit-Feuerwerk, das andere Musiker gewöhnlich für ihre Zugabe aufsparen. Doch in die steckt Iggy die Songs vom neuen Album "Post Pop Depression", das ein würdiger Schwanengesang ist und damit die ideale Vorgabe für ein großartiges Abschiedskonzert. Barbusig tänzelt Iggy Pop darin wie eh und je über die Bühne, ohne einem Jugendwahn folgend sein Alter zu kaschieren. Denn natürlich erkennt man im Tänzeln auch das Hüftleiden bedingte Humpeln. Und natürlich zeigt die lederne Haut seines rockgestählten Oberkörpers nicht nur die Narben seiner Exzesse, sondern auch die ganz natürliche Alterung eines menschlichen Körpers. Als die Tontechniker um 23 Uhr den Sound wie vereinbart runterfahren, obgleich Iggy Pop keine Lust zeigt, das Konzert zu beenden, zitiert er zum Abschluss noch einmal ohne Ton einige seiner bekannten Posen. Spätestens jetzt wird klar: Ihm würde der Punkrock sogar in einem Stummfilm gelingen.

Natürlich kann man die Qualität eines Festivals am Mitwirken solcher Rocklegenden messen. Davon hat Rockavaria auch im zweiten Jahr einige zu bieten: Dog Eat Dog zum Beispiel, die Crossover-Helden aus den Neunzigern, und deren Vorbilder Suicidal Tendencies am ersten Tag. Oder die finnischen Bombast-Rocker Nightwish, die Schweizer Gotthard oder die schwedischen Mando Diao, die am zweiten Tag das Stadion mit ihrem Sound zum Tanzen bringen. Nicht zu vergessen Iron Maiden, deren Auftritt am Sonntagabend den meisten anwesenden Metal-Fans ohnehin der eigentliche Höhepunkt des dreitägigen Rockmarathons ist. Wem dabei übrigens der Sound der Band zu altbacken, weil konsequent in der eigenen Vergangenheit verhaftet erscheint, darf sich hier zumindest über Neuinszenierungen des Bandmaskottchens Eddie freuen, jener Zombie-Figur, die bei Rockfans selbst schon Kultstatus genießt.

Man kann die Qualität eines Festivals aber auch an der dort stattfindende Nachwuchsförderung messen. Auch hier überzeugt Rockavaria, wenn etwa die österreichische Band Tuxedoo heuer zum zweiten Mal aufspielt, nachdem sie im ersten Jahr ihren Auftritt über einen Bandwettbewerb gewonnen hatte. Alpencore nennt die Band selbst ihre Mischung aus Rock und alpinen Heimatklängen. Da wird dann auch mal zum visuellen Spaß auf einer Milchkanne getrommelt. Allerdings gewinnen die Jungs solcher Milchkanne auch die auditive Glaubwürdigkeit einer als Perkussionsinstrument gängigen Cowbell ab. Und so danken die Zuschauer auch jener Kanne eine perkussive Erweiterung der Rockmusik, wie sie Eric Burdon schon mal in seiner Zusammenarbeit mit der Band War angedacht hatte.

Auf den beiden großen Bühnen, die im Stadion abwechselnd bespielt werden, um keine Zeit mit Pausen zu verschwenden, wären Tuxedoo neben Mother's Cake oder die das Spektakel eröffnenden J.B.O. wahrscheinlich untergegangen. Auf der kleineren Seebühne, die neben dem letztes Jahr noch bespielten Theatron im Olympiapark aufgebaut wurde, um den dort geltenden Auflagen wie Stehverbot und Personenbegrenzung auszuweichen, machen sie indes eine sehr gute Figur. Überhaupt gedeihen die als Zusatzprogramm gedachten Konzerte auf der Seebühne zum regelrechten Parallelfestival, das im Gegensatz zu den geschichtsträchtigen Rocklegenden im Stadion den aktuellen Stand der Rockmusik misst und auch ein paar Prognosen wagt.

Einzig in einem Punkt versagt Rockavaria wie beinahe alle Festivals solcher Größenordnung: Weibliche Musikerinnen kommen kaum vor. Das bemängelt auch die Sängerin von Garbage: "Mögt Ihr keine Frauen?", fragt sie und schimpft über die Frauen im Publikum, die ihre Schwestern auf der Bühne nicht ausreichend unterstützen würden: "Wacht auf!"

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