Kritik II:Eilig

Valery Gergiev zaubert erst bei Wagners "Parsifal"

Von Egbert Tholl

Das Festival beginnt überfallartig am Freitagabend. Valery Gergiev stürzt die Münchner Philharmoniker in Prokofjews erste Symphonie; der erste Satz ist ein Erlebnis von hoher Spontanität, sehr al fresco, von einer Eile, die er im vierten Satz noch steigern wird. Bis man leicht verdattert gewahr wird, was hier eigentlich gespielt wird, ist das Stück schon wieder vorbei. Ein scharfer Teaser für das, was an diesem Wochenende in Sachen Prokofjew noch kommen wird - alle Symphonien, alle Klaviersonaten. Auf den Prokofjew folgt ein gänzlich überflüssiges Erlebnis: Der 15-jährige Daniel Lozakovich spielt den Solopart in Mozarts fünftem Violinkonzert A-Dur. Er hat einen schönen, sanglichen, eher dünnen Geigenton, doch um Musik zu machen, muss er erst noch lieben, leiden, leben. Vielleicht könnte es interessant sein, ihn in zehn Jahren zu hören. Im Jetztzustand ist er ein hochtrainiertes Kind, das nichts zu sagen hat. Natürlich wird seine virtuose Kreisler-Zugabe bejubelt; das werden Zirkuskunststücke immer.

Man fragt sich schon, weshalb Gergiev diese Lappalie vor das Ereignis gestellt hat, das dann folgt. Wagners "Parsifal", dritter Aufzug. Es ist großartig. Schon im Vorspiel zaubern die Philharmoniker eine atemberaubende Spannung, die sehr lange anhalten wird - so lange René Pape singt. Er singt den Gurnemanz, fabelhaft wie immer, mit einer Sprache wie aus Granit gemeißelt, mit menschlicher Rührung, berichtet er vom Tod Titurels, mit hoher Plastizität, erzählt er Parsifal, was dieser alles verpasst hat, während er den Gral suchte. Wie Papes Kunst und das Sehen und Zehren des Orchesters hier eins werden, das ist schon große Kunst.

Aus dem Philharmonischen Chor erhebt sich Katharina Ritschel, singt "Dienen, dienen", was ihr als Kundry eine ausführliche Vita im Programmheft einbringt. So ausführlich wie die von Sergej Semishkur, der als Parsifal-Sänger engagiert wurde und mit vielleicht schöner, aber völlig unzureichender Stimme meist im Orchesterklang verschwindet. Seltsam nur: Es stört überhaupt nicht, weil die Philharmoniker alles überwölben und zusammen mit dem Chor und den Augsburger Domsingknaben schließlich für 80 Sekunden großartig schöne Erlösung sorgen, auch mit vorbereitet von Albert Dohmen, der für den erkrankten Evgeny Nikitin den Amfortas übernimmt.

Zum Zeitpunkt seines Auftritts hat Gergiev mit seinen Munich Philharmonows die lange währende Spannung in ein Fest der klanglichen Überwältigung gewandelt. Eine Stunde und 18 Minuten braucht er für den dritten Aufzug, das ist nicht gerade eilig, aber es hält. Nichts fällt auseinander, und von diesem Glück, Wagner konzertant, kann er in Zukunft ruhig mehr erschaffen.

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