Kritik an Kardinal Reinhard Marx:Langes Warten, tiefer Frust

Kardinal Reinhard Marx gab 2008 ein Versprechen: Beim Zukunftsforum dürfe jeder mitmachen. Die Münchner Gläubigen haben viele Ordner voll mit Vorschlägen formuliert - aber die Antworten des Erzbischofs lassen auf sich warten.

Franziska Brüning

Der Frust sitzt tief. Egal mit wem man in diesen Tagen in der Erzdiözese München und Freising spricht: Wenn das Wort Zukunftsforum fällt, kippt die Stimmung. Zu viele Hoffnungen in diese Reform sind geschürt, zu viele Menschen enttäuscht worden. Die zentralen Vorwürfe: Die Informationspolitik der Bistumsleitung sei mangelhaft und der Prozess stagniere inhaltlich. Viele haben das Gefühl, dass den Reden des Erzbischofs keine Taten gefolgt sind.

Pk nach Herbstversammlung der Freisinger Bischofskonferenz

Seit 2008 ist Reinhard Marx Erzbischof von München und Freising. Er gibt sich leutselig, doch viele Gläubige sind inzwischen von ihm enttäuscht. Sie fühlen sich nicht ernst genommen.

(Foto: dpa)

Dabei hatte Kardinal Reinhard Marx den Gläubigen im Sommer 2008 ein Versprechen gegeben. Er wollte sie unter dem Motto "Dem Glauben Zukunft geben" in einen "umfassenden Prozess zur geistlichen Neuorientierung" einbinden, der die Kirche fit für die Zukunft machen sollte. Alle Katholiken des Erzbistums wurden aufgefordert, in diesem Projekt mitzudenken und mitzuplanen. Entsprechend groß war die Resonanz. In kurzer Zeit sollen die Gläubigen viele Ordner voll mit Vorschlägen zusammengetragen haben.

Denn das Ganze sollte ja mehr sein als eine simple Strukturreform, mehr als die Schaffung großer Pfarrverbände. Es gehe um die Frage, "wie wir unseren Glauben in die Zukunft hineintragen und damit bewahren können", kündigte Marx an, der sich auch für den katholischen Dialogprozess auf Bundesebene engagiert.

Vor gut einem Jahr, im Dezember 2010, traf sich die Vollversammlung des Zukunftsforums zum vierten und letzten Mal. Sie überreichte der Bistumsleitung eine 67-seitige Zusammenfassung der Ergebnisse ihrer zwölf Arbeitsgruppen unter dem Titel "Pastorale Perspektiven - Empfehlungen an Kardinal Marx".

Die Forderungen der Gläubigen

Gefordert wurden darin zum Beispiel der Abbau hierarchischen Denkens, die Wende von Amts- und Priesterzentriertheit hin zu mehr Demokratie und Gleichberechtigung. Priesteramtskandidaten sollten teamfähiger werden, Homosexuelle und Geschiedene als vollwertige Gläubige angenommen werden. Dann begann das lange Warten auf Antworten des Kardinals.

Schon in der Anfangsphase war von Seiten der Laien erste Kritik zu hören, etwa was die Zusammensetzung des Forums betraf, die einige als "zu klerikal" und "zu hierarchisch" empfanden. So sitzen im Forum, das 126 Delegierte zählt, neben der Bistumsleitung alle 38 Dekane, aber nur zwei Vertreter der Jugend. Repräsentanten der Reformbewegung "Wir sind Kirche" sind gar nicht dabei. Kardinal Marx hatte vorgewarnt: Man dürfe "keine neue Synode" erwarten.

Wer einen Eindruck davon gewinnen möchte, wie sehr die Gläubigen an das Wort "Zukunft" geglaubt haben, unter dem der gesamte Reform- und Dialogprozess in der Erzdiözese steht, muss sich nur an die Rede erinnern, die der Vorsitzende des Katholikenrates der Region München, Uwe Karrer, im Oktober 2010 anlässlich des Jahresempfangs des Rates gehalten hat. Vor dem Hintergrund der kurz zuvor bekannt gewordenen Missbrauchsfälle formulierte Karrer ein ernüchterndes Urteil. Der Vertrauensverlust, den die katholische Kirche insgesamt und die Priester im Besonderen "zu Recht" erlitten hätten, münde in "Demotivation, ja Frustration ihrer haupt- und auch ehrenamtlichen Mitarbeiter".

Karrer stellte die Frage nach dem Pflichtzölibat und dem Diakonat der Frau. Und mit Blick auf das Zukunftsforum sagte er: "Innerhalb der Bistumsleitung sehe ich in diesen Fragen bisher wenig bis keine Bewegung." Provokant fügte er hinzu: "Ich wünsche mir in der Region München gescheite Pfarrer, gerne verheiratet, gerne mit Kindern, gerne auch eine Diakonin oder Pfarrerin."

Die Ungeduld der Gläubigen

Bis heute sind die 61 pastoralen Empfehlungen des Zukunftsforums, die Kardinal Marx schon zu Pfingsten 2011 bewerten wollte, noch immer nicht veröffentlicht. Erste Antworten gab es erst im Oktober 2011 auf der Vollversammlung des Diözesanrates in Freising, weitere kurz darauf auf der Dekane-Konferenz. Für das Treffen in Freising hatte Marx 19 der 61 Empfehlungen ausgewählt; seine Antworten darauf überraschten wenig: Nein zu einer demokratischen Kirche, zum Diakonat der Frau oder zu einer Aufwertung der Schwangerschaftskonfliktberatung Donum Vitae. (Im November meldete Donum Vitae dann, dass die frühere Landesvorsitzende des Katholischen Deutschen Frauenbundes, Waltraud Deckelmann, die bereits zugesagte Korbiniansmedaille des Erzbistums München und Freising nicht verliehen worden war, weil sie bei Donum Vitae mitarbeitet.)

Dafür formulierte Marx ein klares Ja zur katholischen Sexuallehre. Und als konkreten Vorschlag präsentierte er eine Ehrenamtsakademie, die das Miteinander von Geistlichen und Laien richten soll.

Aber nicht nur der Inhalt seiner Antworten sorgte für Unmut - das Wort Stagnation soll in Freising die Runde gemacht haben -, sondern auch sein Umgang mit den Laien. Mitglieder des Diözesanrats beklagten, dass sie die ersten Antworten nicht etwa im Vorfeld, sondern erst bei der Veranstaltung ausgehändigt bekommen hätten. Da habe die Zeit nicht gereicht, die Antworten des Kardinals vollkommen zu erfassen. Immerhin waren im Programm der Vollversammlung Gespräche in Arbeitsgruppen vorgesehen, in denen sich die Diözesanratsmitglieder im geschützten Rahmen austauschen konnten.

Als die Arbeitsgruppen allerdings am Ende ihre Ergebnisse vorstellen wollten, soll von der Bistumsleitung niemand mehr dabei gewesen sein. Bis heute sind viele Beteiligte darüber verärgert. Selbst der Vorsitzende des Diözesanrats, Hans Tremmel, der bislang immer um Verständnis für die Bistumsleitung bemüht war, kritisierte im Dezember in einem Gespräch, zu dem Generalvikar Peter Beer eingeladen hatte: "Nicht nur die Jugend ist ungeduldig, weil es zu langsam geht." Reden allein genüge nicht. Man erkenne den Reformwillen an den Taten.

Beer erklärte der SZ, dass man diese Ungeduld "wahr- und sehr ernst" nehme. "Auch für uns sind diese Verzögerungen sehr ärgerlich. Wir wollen sie nicht schön oder klein reden." Es entstehe "leider der völlig falsche Eindruck", dass "wir manche Themen bewusst scheuen oder manches absichtlich ohne Grund verzögern", sagt Beer und beteuert: Das sei nicht der Fall.

Vielmehr habe unter anderem die Aufarbeitung des Missbrauchsskandals über das Jahr 2010 hinaus "viel Arbeit und Kraft" erfordert. Die Empfehlungen des Zukunftsforums würden zusammen mit den Kommentierungen des Erzbischofs so bald als möglich veröffentlicht. Allerdings sei er vorsichtig geworden, "taggenaue Termine" zu nennen, und bitte deswegen um Verständnis.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: