Krisenszenarien in der Großstadt:Hamstern für den Katastrophenfall

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Konserven für den Notfall: Fleisch, Fisch und Gemüse aus der Dose können den Hunger stillen. (Foto: picture alliance / dpa)

Eine Bombenexplosion, ein Chemieunfall, ein Ausbruch von Ebola: Opfer einer Katastrophe zu werden, ist für die meisten Münchner unvorstellbar. Dennoch beschäftigen sich Experten der Feuerwehr mit diesen Szenarien und entwerfen Notfallpläne - denn Vorbereitung ist alles.

Von Karoline Meta Beisel

Auf den Philippinen war es ein Wirbelsturm. Im November des vergangenen Jahres suchte der Taifun Haiyan die Inseln heim, fast 8000 Menschen kamen dabei ums Leben. Auf Platz zwei der Liste mit den größten Katastrophen des vergangenen Jahres, die das Internationale Rote Kreuz kürzlich veröffentlichte: ebenfalls Wasser, vom Monsun ausgelöste Überschwemmungen in Indien. Welches Unglück die Stadt München als nächstes heimsuchen wird, weiß keiner. Eine Isar-Flut? Ein Sturm? Eine Bombe? Vielleicht passiert auch etwas ganz anderes. Oder gar nichts.

Aber nur mal rein hypothetisch: Wenn die Versorgung mit Strom und Wasser zusammenbricht - und dafür ist es ja erst einmal egal, warum es dazu kommt - was passiert dann? Wo schlafen die Menschen, was essen sie? Es gibt Leute, deren Job es ist, sich in einem fort neue Katastrophen auszudenken und dann Pläne zu machen, wie mit der Katastrophe umzugehen ist.

Eine Räumung ist keine Evakuierung

Einer von ihnen ist Axel Rothstein. Er ist der Sachgebietsleiter für den Katastrophenschutz bei der Münchner Berufsfeuerwehr. Mehr als 100 "Katastrophensonderpläne" liegen dort bereit. Nach ihnen können im Notfall zum Beispiel ganze Straßenzüge evakuiert werden. "Nein, geräumt", sagt Axel Rothstein. Für Laien ist der Unterschied eher lexikalischer Natur, für Profis aber sind das zwei völlig unterschiedliche Vorgänge. "Geräumt bedeutet, dass die Leute nach nicht allzu langer Zeit wieder zurückdürfen", erklärt Rothstein. "Bei einer Evakuierung gehen wir davon aus, dass es keine Wiederkehr gibt." Wenn man so will, ist die Räumung die kleine Schwester der Evakuierung.

Als 2012 die Schwabinger Fliegerbombe in die Luft ging, wurde geräumt. 850 Anwohner mussten vorübergehend in sogenannte "Akutbetreuungsstellen" gebracht werden. So nennt man Turnhallen oder andere Räume, in denen die Menschen ausharren, bis sie wieder in ihre Häuser dürfen.

Es gibt immer einen Plan

In den vergangenen Tagen kommen die Katastrophenhelfer immer wieder ins Spiel, wenn es darum geht, den Flüchtlingen in den überfüllten Erstaufnahmeeinrichtungen zu helfen. Und auch Ebola ist für die Helfer ein großes Thema. Nicht, dass man irgendwo davon ausginge, dass eine Epidemie in München besonders wahrscheinlich wäre. Aber Wahrscheinlichkeiten sind für diesen Job sowieso weniger wichtig als man denken könnte: Es hilft einem ja nicht weiter, dass eine großflächige Überschwemmung auf dem Nockherberg einigermaßen unwahrscheinlich ist. Wenn dann doch wider Erwarten alles unter Wasser steht, muss man ja trotzdem irgendwie damit umgehen. "Alles ist möglich", sagt Axel Rothstein.

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Rothstein und seine Kollegen müssen aber nicht bei Null anfangen, ein paar Erfahrungen auf dem Gebiet der ansteckenden Krankheiten haben sie schon. "Da greifen dann ähnliche Mechanismen wie bei der Vogelgrippe oder der Schweinepest", sagt Rothstein. Überhaupt geht es im Katastrophenschutz vor allem darum, allgemeine Abläufe zu üben und Geübtes anzuwenden. Vorbereitet sein, das ist entscheidend. Dazu gehört auch: Vorräte zu haben. Auf Seiten der Feuerwehr ist dafür Christian Kaehs zuständig, Rothsteins Kollege vom Bevölkerungsschutz.

Aber eigentlich sollte sich jemand anderes um ausreichende Nahrungsmittelreserven kümmern: die Münchner selbst. "Die private Vorsorge ist leider in Vergessenheit geraten", bedauert Kaehs. Vor allem junge Leute hielten es heute für selbstverständlich, immer alles kaufen zu können. Nach dem Motto: "Lebensmittelvorräte brauche ich nicht. Selbst wenn am Sonntag Besuch kommt, kann ich ja noch an der Tankstelle etwas holen." Christian Kaehs findet das unvernünftig und legt den Leuten ans Herz, sich wenigstens an die Empfehlungen des Bundesamtes für Bevölkerungsschutz zu halten. Aber weil das eben nicht jeder macht, stellt sich doch die Frage: Gibt es tatsächlich diese geheimen Lebensmittelvorräte, von denen manchmal gemunkelt wird?

"Ja", sagt Christian Kaehs. Wo genau die sind, will er nicht sagen. Nur so viel, dass die Vorräte nicht in der Stadt selbst gelagert werden. Die seien aber noch nie gebraucht worden, selbst nicht bei den großen Hochwassern in der jüngeren Vergangenheit. Damit die Sachen nicht verderben, würden sie manchmal als Hilfslieferung in Krisengebiete geschickt, wo sie dann zügig verbraucht werden können. Das Lager wird dann wieder aufgefüllt, mehr passiert dort nicht.

Viele Geheimnisse

Auch Lebensmittel- und Versorgungskarten halten die Behörden vor. "Früher hatten wir welche für vier Wochen, aber einige haben wir nach der Wiedervereinigung an die neuen Bundesländer abgegeben", sagt Kaehs. Der Gedanke hinter diesen Marken ist, dass die Verteilung von Lebensmitteln und anderem, wie Kleidung oder Bettdecken, nicht davon abhängen soll, wie reich die Leute sind. "Wenn es nicht mehr genug für alle gibt, dann gibt es Nahrungsmittel nur noch im Tausch gegen Karten", sagt Kaehs. Auch der Händler kriegt dann nur auf diesem Weg Nachschub. Wie die Karten aussehen, will Rothstein nicht verraten: "Ich habe selbst noch nie ein Original gesehen." Je weniger Leute wissen, wie die Karten aussehen, umso geringer das Risiko von Fälschungen.

Auch über die Lage der vorhandenen Schutzräume redet Kaehs nicht gern. Die Räume sollen ja nicht verwüstet werden. Tatsächlich wird der sogenannte "öffentliche Schutzbau" seit dem Ende des Kalten Krieges sowieso nicht mehr weiterverfolgt. Und für akute Katastrophen waren die Bauten wegen ihrer langen Vorlaufzeit ohnehin nur bedingt geeignet: Bei einem großen Feuer, einem Chemieunfall oder anderen Ereignissen hat man keine Zeit. Die Bauten, die es noch gibt, werden nur noch unter Verkehrssicherungsaspekten in Stand gehalten, also soweit in Schuss gehalten, dass sich in den Räumen niemand verletzt. "Zivilschutz ist seit der Wende eigentlich nur noch Resteverwaltung", sagt Christian Kaehs.

Permanent planen für den schlimmsten und hoffentlich unwahrscheinlichen Notfall, neue Szenarien entwickeln, was sonst noch Furchtbares passieren könnte - es ist ein merkwürdiger Beruf, den die Katastrophenschützer ausüben, und das wissen sie auch. "Ich bin froh, dass schon so lange nichts mehr passiert ist", sagt Christian Kaehs. "Aber darin liegt auch das Schwierige: Man darf nicht vergessen, dass doch einmal etwas passieren könnte."

© SZ vom 20.10.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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