Kriminelle Polizei:Die Exekutive und ihre Affären

Irgendwann hat Hauptkommissar Wolfgang R. aufgehört, Polizist zu sein, und wechselte die Seite: der 40-Jährige verging sich an Frauen im Bordell, hatte falsche Freunde und Koks im Blut. Da ist er nicht der einzige: In München ermitteln Beamte ständig gegen Kollegen.

Susi Wimmer

Irgendwann hatte Hauptkommissar Wolfgang R. aufgehört, Polizist zu sein. Irgendwann wechselte er die Seite. Falsche Freunde, Koks im Blut, Drogenhandel sogar auf der Polizeiwache.

Interne Affären
(Foto: Foto: Andreas Heddergott)

Der 40-Jährige unterstützte die Machenschaften in der Ottobrunner Table-Dance-Bar ,,Maximila'', wo junge Tschechinnen zur Prostitution gezwungen wurden. Er verging sich auch selbst an den Frauen und steckte dem Betreiber, wann seine Kollegen die nächste Razzia planten.

Dass Kriminaler kriminell werden, kommt vor. ,,Schließlich sind auch wir ein Querschnitt der Gesellschaft'', sagt der Leitende Kriminaldirektor Bernhard Parma. Einmalig in Bayern hat das Münchner Präsidium ein eigenes Kommissariat, in dem Beamte gegen ihre Kollegen ermitteln.

Gegen den Corpsgeist

,,Uns umgibt schon so eine gewisse Aura'', sagt Kriminalhauptkommissar Armin Hetzel. Der Kommissariats-Leiter sitzt in seinem Büro im sechsten Stock. Unten das Gewusel des Bahnhofsviertels, oben endlos grauer Himmel. Seit sieben Jahren empfangen er und seine acht Mitarbeiter die Kollegen, um sie zu vernehmen.

Die sechs Männer und drei Frauen, die hier arbeiten, wurden sorgfältig ausgewählt: Sie müssen erfahren sein, Sensibilität mitbringen und charakterlich gefestigt sein. Ganz bewusst wurde die Dienststelle von der Ettstraße abgeschottet und in die Bayerstraße gesetzt, ganz bewusst werden die Ermittler vom K 134 nicht für andere Arbeiten wie Großeinsätze herangezogen.

,,Für viele Kollegen sind wir hier die, die sie in die Pfanne hauen wollen'', sagt Hetzel unverblümt. Dabei gehe es in den meisten Fällen in die andere Richtung: ,,Durch unsere Ermittlungen können wir viele Vorwürfe gegen die Kollegen entkräften und sie schützen.'' Einen Ermessensspielraum aber, sagt Hetzel, gebe es nicht.

Etwa 5000 Polizeibeamte verrichten in München ihren Dienst. 362 von ihnen wurden im vergangenen Jahr angezeigt. ,,Die meisten Delikte entwickeln sich aus der normalen Arbeit heraus'', erklärt Direktionsleiter Parma. Paradebeispiel Alkoholkontrolle: Ein Autofahrer wird angehalten und zum Test am Alkomaten gebeten. Den verweigert er und muss nun in die Rechtsmedizin zur Blutentnahme gebracht werden. Es kommt zu verbalen Auseinandersetzungen, Handgreiflichkeiten, die Beamten müssen den Fahrer fesseln.

,,Gerade bei Festnahmen oder Kontrollen kommt es oft zu Gegenanzeigen, weil der Bürger die polizeilichen Maßnahmen in Frage stellt'', meint Parma. Etwa in 98 Prozent aller Fälle werden die Ermittlungsverfahren gegen die Polizisten wieder eingestellt.

Das K 134 befasst sich mit privat verübten Straftaten, etwa wenn ein Polizist nach Dienstschluss im Laden klaut oder zuhause seine Frau schlägt, und mit ,,Amtsdelikten'', sprich solchen, die nur ein Polizist im Rahmen seiner Dienstausübung begehen kann. Das fängt an bei Aussageerpressung, Verfolgung Unschuldiger und geht bis zu Datenschutzverstößen, wenn ein Polizist ,,den Neuen'' seiner Ex-Frau durchchecken will.

Die Exekutive und ihre Affären

Oft kommt es vor, dass nach einem Todesfall die Ermittler in eine Singlewohnung kommen und die Angehörigen später behaupten, es sei etwas gestohlen worden.

Das K 134 behandelt die gesamte Bandbreite quer durch das Strafgesetzbuch - mit Ausnahme von Tötungsdelikten, Verkehrsstraftaten und Staatsschutzdelikten. Wenn ein Personenschützer rechtsextremer Umtriebe verdächtig würde, wie beim aktuellen Fall Friedman in Frankfurt, würde ihn das Staatsschutz-Dezernat vernehmen.

Ein Fall für K 134 war Wolfgang R., der Stammgast des Etablissements ,,Maximila''. Fünf Jahre lang ging der Polizist in der Ottobrunner Bar ein und aus, immer tiefer verstrickte er sich, und er war dabei nicht der einzige Beamte. Zu Sondertarifen mussten ihm die Mädchen zu Diensten sein, im Gegenzug deckten R. und drei seiner Kollegen die Straftaten in der Table-Dance-Bar.

Die jungen Tschechinnen, die dort anschaffen mussten, waren unter falschem Vorwand nach Deutschland gelockt und zur Prostitution gezwungen worden. Von den vier Gesetzeshütern aber hatten sie keine Hilfe zu erwarten. Im Gegenteil.

Bei einem Koks-Deal flog er schließlich auf - und mit ihm seine korrupten Kollegen. Erst ein eher zufälliger Tipp, den eine Frau aus R.s Bekanntenkreis der Polizei gegeben hatte, ließ den Polizisten zur Vernehmung im Kommissariat 134 landen.

Keine Hilfe zu erwarten

Dieses ermittelt auch gegen Beamte anderer Behörden. Beispielsweise wenn bei der Stadt im Wohnungsamt krumme Dinger gedreht werden oder ein Gerichtsvollzieher gegen Unschuldige vollstreckt. Die Dienststelle ,,Beamtendelikte'' ist übrigens keine Erfindung der Jetztzeit: Sie wurde 1945 von der Besatzungsmacht ins Leben gerufen, um bei der Entnazifizierung zu helfen und um Behördenwillkür wie im Dritten Reich vorzubeugen.

Ein kleiner Lift bringt den Besucher in den sechsten Stock des 60er-Jahre-Baus. Hier standen die vier Wiesn-Schläger, die 1998 Besucher des Oktoberfestes schwer misshandelten hatten, hier wurden die Beamten vernommen, die die Strafzettel von ,,Kaiser'' Franz Beckenbauer verschwinden ließen, hier standen auch die Polizisten, die bei Geschwindigkeitskontrollen die Bußgelder in die eigene Tasche gesteckt hatten.

,,Eine belastende Geschichte war das damals'', erinnert sich Parma an den Fall von 2003. Jeder von den Verkehrs-Kollegen hätte für die jungen Polizisten ,,jederzeit die Hand ins Feuer gelegt''.

Werden derart massive Vorwürfe - damals gegen die Abteilung Verkehrsüberwachung - laut, läuft im Präsidium ein Riesenapparat an: Die Personalabteilung wird eingeschaltet, ebenso die Staatsanwaltschaft, die Direktion Verkehr, die Abteilung Einsatz sowie das Präsidialbüro mit Polizeipräsident Schmidbauer.

Die Staatsanwaltschaft lädt alle mutmaßlichen Täter gleichzeitig vor und lässt Wohnungen und Arbeitsplätze durchsuchen. Die Personalabteilung erwirkte die Suspendierung der vier Polizisten. Alle vier Beschuldigten wurden zu Bewährungsstrafen verurteilt. Ein Beamter musste gehen, die anderen reichten von sich aus die Kündigung ein. ,,Wir ermitteln besonders intensiv, um ja nicht den Eindruck zu erwecken, dass etwas vertuscht werden soll'', meint Parma.

Die Exekutive und ihre Affären

Für die Polizei steht viel auf dem Spiel. ,,Mein Glaube an den Rechtsstaat war wohl noch zu gut", meinte Richterin Birgit Benesch in der Verhandlung gegen die Prügel-Polizisten von der Wiesn am 18. Juli 2000. Die Frau war erschüttert ob des ,,Corpsgeistes unter den Polizeibeamten'', darüber, dass Kollegen die Misshandlungen stillschweigend übergingen.

Sie selbst habe inzwischen ein ,,ausgesprochen ungutes Gefühl'', da sich Verurteilungen in vielen Fällen allein auf die Aussagen von Beamten stützten: ,,Ich möchte gar nicht wissen, wie viele Unschuldige ich verurteilt habe, nur weil Beamte Anzeigen erstatten haben, um eigene Übergriffe zu vertuschen.''

Schlechtere Verbrecher

Tatsächlich war in den 70er Jahren die klassische Funkstreife zum Teil aus dem Grund aufgelöst worden, weil Beamte in festen Zweierteams unterwegs waren, als eingespieltes Duo, das immer zusammenhält. Heute soll die Besatzung in jeder Schicht wechseln. ,,Einem erfahrenen Schandi etwas nachzuweisen ist schwierig'', räumt auch Armin Hetzel ein. Allerdings - wenn einer im Jahr dreimal bei ihm einläuft, ,,dann fällt er natürlich auf''.

Was die kriminelle Energie anbelangt, glaubt er, dass Polizisten die schlechteren Ganoven sind: ,,Sie meinen, sie sind schlau. Aber in Wirklichkeit agieren sie schlechter als andere Verbrecher.'' Täter, die in einem entsprechenden Milieu aufgewachsen seien, würden eine ganz andere Schläue an den Tag legen.

Armin Hetzel ist gelegentlich auch bei den jungen Kollegen in den Einsatzhundertschaften zu Gast. Er stellt sich vor, erklärt seine Arbeit. ,,Gerade für die jungen Polizisten ist es psychisch total heftig, wenn sie eine Anzeige bekommen'', sagt er. Tatsächlich werden Polizisten von der Justiz nicht wie Normalbürger behandelt. ,,Wenn sie Vorsatz nachweisen, dann wird mit ganz anderen Maßstäben gemessen.''

Ein Beispiel: Zwei Kollegen fahren in einem Auto nach Manching, um dort vor dem Amtsgericht eine Zeugenaussage zu machen. Beim Aussteigen aus dem Wagen werden sie von einer Justizbeamtin gesehen. Nach der Verhandlung geben sie aber an, dass jeder mit seinem eigenen Auto da ist, um Fahrgeld abzukassieren. Die Justizbeamtin zeigt die beiden an.

"Freche Aktion"

Der Polizeiapparat setzt sich in Bewegung. Am Ende muss die junge Beamtin, knapp 20 Jahre und noch in der Probezeit, ihren Dienst quittieren. Ihr Kollege hat ein Disziplinarverfahren am Hals, muss 12 000 Euro Strafe zahlen, wird degradiert und strafversetzt. Die erschwindelte Summe: zehn Euro.

A propos Polizisten sind die schlechteren Gangster: Der Beamte, der vor einem Jahr im Landeskriminalamt 15 000 Euro Vorzeigegeld aus dem Tresor geklaut hatte, schien clever gewesen zu sein. ,,Wir haben uns viel Arbeit gemacht, alle Register bis zum DNS-Test gezogen - vergeblich.''

Die ,,freche Aktion, ausgerechnet im Haus der geballten Kriminalwissenschaft'', ist bis heute nicht aufgeklärt. Damals, erzählt Hetzel, seien die LKA-Kollegen euphorisch gewesen, als die Ermittler des K 134 den Fall übernahmen. Aber als die entsprechenden Maßnahmen anliefen, hagelte es sofort Beschwerden.

Den Ottobrunner Wolfgang R. kam sein Engagement für die Table Dance Bar teuer zu stehen. 1999 wurde er zu zwei Jahren und neun Monaten Haft verurteilt wegen unerlaubten Handels mit Betäubungsmitteln. Wegen guter Führung verbüßt er nur zwei Drittel der Strafe. Wieder in Freiheit, eröffnet der ehemalige Hauptkommissar einen Kiosk. 2003 dann der Prozess wegen Beihilfe zu Menschenhandel und Prostitution. Das Urteil: vier Jahre Gefängnis.

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