"Kriminalaktennachweis":Warum die Polizei Daten von unbescholtenen Bürgern speichert

  • Die Polizei behält Vermerke in ihren Polizeiakten, auch wenn Verfahren eingestellt werden.
  • Datenschützer warnen davor - und raten, vom Auskunftsrecht Gebrauch zu machen.
  • Die bayerische Polizei sammelt besonders viele Informationen.

Von Susi Wimmer

Martin Bäumler (Name geändert) bekam beim Anblick von Polizeibeamten immer Schweißausbrüche. Denn er wusste, was unweigerlich auf ihn zukam: Splitternackt ausziehen, breitbeinig hinstellen, Analnachschau. Vor etlichen Jahren waren bei dem Münchner Hanfblätter ohne Drogengehalt gefunden worden. Das Verfahren gegen ihn war eingestellt worden. Was die Polizei nicht daran hinderte, den Vorfall in ihren Polizeiakten zu speichern.

Martin Bäumler befindet sich in guter Gesellschaft: Über Landtagspräsidentin Barbara Stamm gab es einen Kriminalaktennachweis (KAN), über den Münchner Rechtsanwalt Gerd Tersteegen, der jüngst dagegen geklagt hat, und über gut eine Million weiterer, teils ahnungsloser, bayerischer Bürger. "Ich kann jedem nur raten, von seinem Auskunftsrecht bei der Polizei Gebrauch zu machen", sagt Thomas Petri, Bayerns oberster Datenschützer.

Die Polizeiakte, auch Kriminalakte genannt, bezieht sich immer auf eine Person und einen Ort. Besteht der Verdacht auf irgendein Delikt, sammelt der Ermittler in der Akte alle relevanten Beweise und Spuren. Die Originalakte geht an die Staatsanwaltschaft, die Polizei behält die wichtigsten Unterlagen in Kopie. Stellt die Staatsanwaltschaft das Verfahren ein, weil sich der Verdacht als völlig unbegründet erwiesen hat, so müsste auch die Polizei den Kriminalaktennachweis (KAN) löschen, sagt Datenschutzbeauftragter Petri. Bei eingestellten Verfahren dürfe die Polizei die Daten nur speichern, "wenn ein Tatverdacht von gewisser Substanz bleibt oder wenn der Eintrag für die vorbeugende Kriminalitäts-Bekämpfung relevant ist".

"Bayern zählt da sicher zu den Spitzenreitern im Bundesgebiet"

Etwa 1,6 Millionen Datensätze hat die bayerische Polizei gespeichert, gut 400 000 die Münchner. Da es zu einer Person in diversen Städten mehrere Einträge geben kann, geht Thomas Petri von etwa einer Million gespeicherter Bürger aus. "Bayern zählt da sicher zu den Spitzenreitern im Bundesgebiet", meint er. Zum Vergleich: Im Bundes-KAN, wo Straftaten von länderübergreifender Bedeutung erfasst sind, befinden sich vier bis fünf Millionen Datensätze.

Gottfried Schlicht, Sprecher der Münchner Polizei, sagt, dass bei erwiesener Unschuld die KAN-Daten sofort gelöscht werden. Wird das Verfahren aus Mangel an Beweisen eingestellt, bedarf der Fall einer Einzelprüfung. Natürlich seien gewisse Einträge für die Polizei von Nutzen: "Wenn wir wissen, dass ein Mann bereits mehrmals wegen Waffenbesitzes aufgefallen ist, können wir bei einem Einsatz ganz anders reagieren."

Der Fall des Herrn mit dem Anabolika-Paket

Petri hat in seiner Zeit als Datenschützer schon die verrücktesten Sachen erlebt. Zum Beispiel der Fall des unbescholtenen Herrn, nennen wir ihn Huber. Herr Huber erhält per Post ein Päckchen mit Anabolika von einer gewissen Frau Meier. Herr Huber kennt Frau Meier nicht, hat auch keine Tabletten bestellt. Er geht mit dem Päckchen zur Polizei. Frau Meier, eine Lehrerin, wird von der Polizei befragt, die Vorwürfe erweisen sich als haltlos. Offenbar hatte sich jemand einen bösen Scherz erlaubt.

Da ein Drogendelikt im Raum stand, hatte die Polizei auch die Fahrerlaubnisbehörde informiert. Die schickt Frau Meier ein Schreiben, sie möge doch bitte zur Fahreignungsprüfung erscheinen. Frau Meier wendet sich an den Datenschutzbeauftragten. Der findet heraus, dass sowohl Huber als auch Meier im KAN registriert sind - wegen des Verdachts eines Drogendeliktes.

Petri sagt, es fehle ein standardisiertes Verfahren, dass die Polizei automatisch über den Ausgang des Verfahrens unterrichtet werde. "Und die Polizei müsste nach der Rückmeldung auch prüfen, ob die beiden Speichervoraussetzungen gegeben sind." Was für die Beamten mehr Arbeit bedeuten würde: Denn laut Staatsanwaltschaft wird eine mit Gründen versehene Einstellungsentscheidung nicht automatisch mitgeschickt, die muss die Polizei extra anfordern.

Petri glaubt, dass etliche Bürger keine Ahnung haben, dass sie im KAN-Register gelandet sind - und sich vielleicht über vermehrte Polizeikontrollen wundern. Die Daten werden aber nicht bis in alle Ewigkeit gespeichert: Fällt nichts weiteres an, liegen die Speicherfristen bei durchschnittlichen Delikten Erwachsener bei zehn Jahren, für Jugendliche bei fünf. So werden am Münchner Präsidium Ende des Jahres etwa 35 000 Daten automatisch gelöscht.

Wer wissen will, ob es einen KAN-Eintrag über ihn gibt, kann sich an jede Polizeidienststelle wenden. Diese leitetet den Antrag weiter. Wer Einträge anfechten will, erhält beim Datenschutzbeauftragten Petri, Telefon 089/212 67 20, Unterstützung.

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