Krankenhaus vor  125 Jahren eröffnet:Pioniere und Handwerker

In der Chirurgischen Klinik an der Nußbaumstraße wurde Medizingeschichte geschrieben. Inzwischen ist das Haus in die Jahre gekommen - die großen Operationen finden in Großhadern statt

Von Jakob Wetzel

Den Journalisten war es offensichtlich nicht geheuer, was sich diese Chirurgen da zutrauten. Ihr Bericht ist arrangiert wie ein Horrorfilm: Die Kamera zeigt leere Gänge, eine Tür zum OP, die sich wie von Geisterhand schließt. Ein aufgespreizter Brustkorb ist zu sehen, Geräte stecken darin, in ihrer Mitte schlägt ein Herz - und dazu sind hohe, beklemmende Dissonanzen zu hören, unterbrochen von dumpfen Paukenschlägen. "Ärzte der Münchner Chirurgischen Universitätsklinik wagten die erste Herzverpflanzung in Deutschland und scheiterten", sagt ein Sprecher. Am 18. Februar 1969 wurde der Beitrag ausgestrahlt, es lief die Wochenschau "Ufa-Dabei". Es war der prominenteste Bericht in der Sendung, in ganz Deutschland blickten die Fernsehzuschauer auf München. Und trotz des Misserfolgs: Für die Chirurgische Klinik an der Nußbaumstraße war es der spektakulärste Moment in ihrer Geschichte.

Dabei ist diese Geschichte lang und reich an großen Namen. In diesen Tagen feiert die Klinik ihr 125-jähriges Bestehen. Ihren Anfang genommen hatte sie im 19. Jahrhundert, in einer Zeit, in der sich die Chirurgie als ärztliche Disziplin gerade erst vom Handwerk der Bader und Wundärzte emanzipiert hatte; "Chirurgie" bedeutet wörtlich übersetzt ja nichts anderes als "Handwerk". Es war kein leichter Beginn. Bereits am städtischen Klinikum hatte das Fach einen schweren Stand gehabt. Philipp Franz von Walther zum Beispiel, einer der Vorreiter der wissenschaftlich fundierten Chirurgie und Leibarzt König Ludwigs I., war 1836 angesichts der Widerstände als Leiter der chirurgischen Abteilung abgetreten. Sein Fazit war vernichtend: "An der Isar gedeiht die Chirurgie nicht."

Chirurgische Klinik der LMU in München, 2011

Aus ihrem Stammgebäude müssen die Chirurgen in den kommenden Jahren ausziehen.

(Foto: Alessandra Schellnegger)

Doch seine Nachfolger straften ihn Lügen. Schon wenige Jahre später erregte die Chirurgie noch am städtischen Klinikum Aufsehen unter Johann Nepomuk von Nußbaum, einem der Pioniere der Desinfektion; sein Leitfaden dafür wurde in fünf Sprachen übersetzt. Unter seinem Nachfolger Ottmar von Angerer begann schließlich die Geschichte der Chirurgischen Klinik an der Ludwig-Maximilians-Universität.

Am 25. April 1891 eröffnete sie an der Nußbaumstraße mit zunächst 293 Betten - und sie machte rasch Fortschritte. Noch unter Angerer wuchs sie auf 400 Betten an, wurde elektrifiziert, erhielt Sterilisationsapparate und neue Operationssäle. 1896 kam das erste Röntgengerät. Einen großen Sprung machte sie ab 1918 unter Ferdinand Sauerbruch: Der Rheinländer hatte zuvor in Breslau eine Unterdruckkammer entwickelt, in der man den Brustkorb eines Patienten öffnen konnte, ohne dass dessen Lunge zusammenfiel. Sauerbruch hatte damit chirurgische Eingriffe im Brustkorb überhaupt erst möglich gemacht. Unter seiner Leitung erhielt auch die Klinik an der Nußbaumstraße eine solche Kammer. Als der Chirurg München 1928 wieder verließ, hatte sich die Klinik international einen Namen gemacht. Sie galt als weltweit führend im Bereich der Thoraxchirurgie.

Sauerbruchs Nachfolger legten zum Teil andere Schwerpunkte. Erich Lexer etwa setzte auf die plastische Chirurgie; er gilt als Begründer dieser Disziplin und hinterließ bis heute gültige Lehrbücher zu Transplantationen und zur Rekonstruktion von Körperteilen. Andere Ärzte konzentrierten sich auf Wirbelsäulenverletzungen, wiederum andere auf die Unfallchirurgie, besonders nach dem Wiederaufbau bis 1949. Bomben und Feuer hatten die Chirurgische Klinik im Zweiten Weltkrieg zu vier Fünfteln zerstört, der Klinikbetrieb war im Krieg nach Tegernsee ausgelagert worden.

Erste Herztransplantation in der Bundesrepublik

1969 führten Rudolf Zenker (v. li.), Werner Rudolph und Werner Klinner an der Nußbaumstraße die erste Herztransplantation in Deutschland durch.

(Foto: dpa)

Seitdem sind in der LMU-Chirurgie zahlreiche spezialisierte Abteilungen entstanden, die größte Veränderung aber kam im Sommer 1978: Damals verlegte die LMU ihre Chirurgie in Teilen in das neu eröffnete Klinikum Großhadern. Die Klinik hat nun zwei Standorte mit verschiedenen Schwerpunkten - und unterschiedlichen Möglichkeiten. Das alte Gebäude an der Nußbaumstraße ist mittlerweile in die Jahre gekommen. In Großhadern dagegen eröffnete erst 2014 ein neues, modernes OP-Zentrum; hier werden schwerst verletzte Unfallopfer versorgt, hier werden komplizierte bauchchirurgische Eingriffe mit Roboter-Unterstützung durchgeführt. In der Innenstadt liegt der Fokus neben der Unfallchirurgie auf Gelenkoperationen und Eingriffen bei Stoffwechselkrankheiten und Adipositas. Freilich: Die Klinik ist eins, die Ärzte betreuen beide Standorte.

Allerdings steht den Abteilungen an der Nußbaumstraße bereits der nächste Umzug bevor, diesmal auf die andere Straßenseite. Bis 2020 entsteht an der Ecke Ziemssen- und Nußbaumstraße die neue Portalklinik der LMU; das gesamte Innenstadtklinikum wird umstrukturiert. Die Chirurgen sollten später gegenüber einziehen, sagt Wolfgang Böcker, Direktor der Klinik für Allgemein-, Unfall- und Wiederherstellungschirurgie. Was mit dem nun 125-jährigen Altbau geschehen soll, sei noch offen.

Krankenhaus vor  125 Jahren eröffnet: Das Bild zeigt einen historischen OP-Saal.

Das Bild zeigt einen historischen OP-Saal.

(Foto: Wolfgang Locher/Cygnus Verlag)

Der OP, in dem 1969 die Herztransplantation versucht wurde, werde mittlerweile als Abstellkammer genutzt, sagt Böcker. Die Herzchirurgie ist längst nach Großhadern gezogen. Damals war Rudolf Zenker Lehrstuhlinhaber für Chirurgie und Klinikdirektor. Er kam in der Sendung "Ufa-Dabei" auch zu Wort. Er zeigte sich zerknirscht, aber zuversichtlich. Man werde weiter transplantieren, sagte er. Man habe doch gesehen, dass ein so schwieriger Eingriff technisch gut durchzuführen sei. Ein Dreivierteljahr lang hatte sich die Klinik damals auf die Operation vorbereitet, hatte eine keimfreie Station eingerichtet, die beiden das Messer führenden Chirurgen hatten Tausende Eingriffe am offenen Herzen absolviert. Und doch überlebte der Patient die Transplantation nur um gut 27 Stunden. Dabei hatten die Operateure wohl schlicht Pech. Die Obduktion ergab später, dass das Spenderherz von einer Thrombose vorgeschädigt war. Bis zur ersten erfolgreichen Herztransplantation in Deutschland dauerte es noch zwölf Jahre. Sie gelang nicht an der LMU, sondern im Deutschen Herzzentrum in München. Und doch war die LMU-Chirurgie zumindest indirekt beteiligt. Das Messer führte Fritz Sebening, ein Schüler Zenkers. Er war einer der beiden Chirurgen, die bereits im Jahr 1969 an der Nußbaumstraße operiert hatten.

Die Klinik feiert ihr Jubiläum am Samstag, 23. Juli, von 10 bis 16 Uhr mit einem Tag der offenen Tür an der Nußbaumstraße 20. Besucher können die Intensivstation oder das Simulationszentrum für Notfälle besichtigen und auch den OP ausprobieren. Für Interessierte gibt es Vorträge, Kinder dürfen gipsen oder Kuscheltiere verarzten. Das Programm findet sich online unter www.chirurgische-klinik.de.

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