Kostenfreiheit für Kindertagesstätten in München:Klingt verlockend - hat dennoch seine Tücken

Storche Kari

SZ-Zeichnung: Dieter Hanitzsch

SZ-Leser sind eher skeptisch, ob sich diese Investition lohnt, und schlagen stattdessen andere Subventionen vor, etwa für Altenpflege

"Alle wollen kostenfreie Kitas" vom 30. Mai und "Willkommen im Familienparadies" vom 27./28. Mai:

Gleiches Recht für die Alten?

Die SPD geht davon aus, dass kostenlose Kita-Plätze Gerechtigkeit schaffen und Eltern entlasten. Das kann man durchaus auch anders sehen. Was ist daran gerecht, wenn man Gut- und Bestverdiener entlastet? Schon heute werden Plätze für Geringverdiener kostenfrei oder ermäßigt zur Verfügung gestellt. Erst ab 60 000 Euro bereinigtem Jahreseinkommen (Vor-Vorjahr) muss ein Platz vollständig gezahlt werden. Das sind beispielsweise für 9 Stunden Krippe 421 Euro, Kindergarten circa die Hälfte, was jedermann auf www.muenchen.de nachlesen kann.

Gerecht ist wenn jeder das bezahlt, was er aufgrund seiner finanziellen Verhältnisse leisten kann, und somit die Verantwortung für sein Leben übernimmt. Dazu kommt außerdem: Wie wollen Sie rechtfertigen, dass man Betreuung für Kinder kostenfrei stellt, Betreuung für hilflose, weil alte Menschen aber nicht? Ist der Mensch am Ende seines Lebens der SPD weniger wert? Es schafft durchaus große Probleme in Familien, wenn massive Kosten entstehen, die man für die Eltern übernehmen muss. Parallel zum "Kinderfall" wäre es also durchaus gerecht, Betreuungsplätze für Alte kostenfrei zu stellen.

Gerechtigkeit ist ein großes Ziel, aber mit populistischen Versprechungen nicht zu erreichen. Kostenfrei klingt immer erstmal gut, weil die Leute nicht nachdenken oder nur an ihren eigenen Geldbeutel denken. Ich finde solche Forderungen wirklich grundsätzlich verkehrt. Im übrigen habe ich selbst drei Kinder und auch schon Enkel, die die Kinderbetreuung nutzen und bezahlen. Brigitte Niegl, München

Keine Chancengleichheit

Bin ich im Familienparadies, wenn mein Kitaplatz in München nichts kostet? Ein bisschen näher dran? Leider nicht. Wer genauer hinsieht, bemerkt, dass in München in den letzten Jahren sehr viele private Einrichtungen entstanden und gefördert wurden, die häufig weit mehr kosten als ein Platz in einer städtischen oder kirchlichen Einrichtung. Viele Eltern zahlen monatlich an die 1000 Euro Gebühren für bestausgestattete Krippen und Kitas, weil die wenigen städtischen Plätze schon restlos ausgebucht sind. Die günstigsten Kiga-Plätze in meinem "reichen" Münchner Stadtteil ergattern übrigens auffallend oft vermögende Familien. Sie kümmern sich sehr frühzeitig darum und sind bestens vernetzt. Ebenso werden die wenigen Mittagsbetreuungs-Plätze an gut vernetzte Familien vergeben. Wer jemanden kennt, ist klar im Vorteil. Davon wissen aber viele Familien nichts - chancenlos.

Aber darum geht es mir gar nicht. Es geht ja um den Einzug ins Familienparadies - und auch um Chancengleichheit. Die wahren Probleme liegen für die meisten Eltern nicht in der Finanzierung des Kindergartenplatzes. Die Eltern haben oft ein Betreuungsproblem in der Grundschulzeit, weil politisch keine kreative und umsetzbare Lösung für alle Kinder angestrebt wird. Gefördert und umgesetzt werden soll nur, was in Richtung gebundene Ganztagsschule geht. Zum einen fehlen hierfür jedoch Räume und Mittel, zum anderen haben auch nicht alle Kinder automatisch bessere Chancen, wenn sie bis 15.30 Uhr in großen Klassen und mit wenig Personal betreut werden. Jede Mutter eines schüchternen Kindes weiß, was es heißt, wenn ihr Kind im Unterricht und in der Betreuung nicht wagt, eine Frage zu stellen. Sämtliches Lernen und die Hausaufgaben finden am Nachmittag mit der Mutter statt. Karen Kirsch, München

Mehr Quantität, weniger Qualität

Im Privaten wie in der Politik gilt: Geld ausgeben ist immer eine Prioritätensetzung. Wünschenswert wäre vieles. Aber man kann das Geld nur einmal ausgeben. Ich bin strikt dafür, im Bildungsbereich erst bestehende Probleme zu lösen, bevor man neue Wohltaten verkündet, die neue Probleme nach sich ziehen. Bestehende Probleme sind zum Beispiel: die zu geringe personelle Ausstattung in Kindergärten und Grundschulen, eine zu geringe Verzahnung von Kindergarten und Grundschule, ein überholtes Übertritts-System an den bayerischen Grundschulen, zu geringe bauliche Kapazitäten an den Grundschulen für zunehmend mehr Ganztagsbetreuung, und, und, und. Die kostenlose Betreuung unter Dreijähriger sehe ich dagegen nicht als das vorrangige Ziel bayerischer Bildungspolitik an. Kostenlose Angebote werden zu mehr Nachfrage führen, die dann schwer zu bedienen sein wird. Mehr Quantität wird zu weniger Qualität führen. Wie gesagt: Weder Geld noch Erzieherinnen lassen sich beliebig vervielfältigen.

Wenn man etwas subventionieren will, sollte man lieber Erzieherinnen besser bezahlen, damit sie sich eine so teure Stadt wie München überhaupt leisten können. Die SPD-Linie in Sachen Kinderbetreuung und frühkindlicher Bildung lässt sich umreißen mit den Schlagwörtern "mehr", "früher" und "kostenlos". Das ist realitätsfern und geht eindeutig zu Lasten der Qualität.

Politiker aller Parteien betonen seit Jahren die Wichtigkeit guter Bildung, machen vollmundige Versprechungen, stellen dann aber bei weitem nicht genügend Geld bereit, um diese auch in die Tat umzusetzen. Das ist unter dem Grünen Kretschmann in Baden-Württemberg nicht anders als unter Seehofer. Sowohl das mit Pisa verbrämte G 8 als auch die Inklusion - sowie sie tatsächlich umgesetzt wird - waren in Wirklichkeit erst einmal "Geldeinsparmodelle". Für mich gibt es keinen Politikbereich, in dem eine größere Kluft herrscht zwischen Sonntagsreden und Realität und wo es eine größere Heuchelei gibt als im Bildungssektor. Mark Seeger-Kelbe, München

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