Hamburger Schule:Was die Münchner Konzerthaus-Planer von der Elphi lernen können

Hamburger Schule: Ein überragendes Konzert spielte das Bayerische Staatsorchester unter Kirill Petrenko in der Elbphilharmonie.

Ein überragendes Konzert spielte das Bayerische Staatsorchester unter Kirill Petrenko in der Elbphilharmonie.

(Foto: Christoph Brech)
  • Für die Münchner Konzertsaal-Planer ist die Hamburger Elbphilharmonie imposantes Vorbild und abschreckendes Beispiel zugleich.
  • Die Architektur ist spektakulär, die Akustik beeindruckend - aber nicht für alle Aufführungen geeignet.
  • Die Erfahrungen aus Hamburg können nun in die Münchner Planung einfließen.

Von Rita Argauer und Egbert Tholl

Nach mehreren Besuchen in der Elbphilharmonie weiß man: Es ist kompliziert. Das beginnt damit, dass die Elbphilharmonie keine eigene U-Bahn-Station hat. Zwar trägt die Station "Baumwall" inzwischen den Untertitel "Elbphilharmonie", aber nur, weil sie von den weit entfernten Stationen die nächstgelegene ist.

Immerhin muss man nicht durch einen tristen, olfaktorisch anspruchsvollen Tunnel gehen wie derzeit, wenn man in München vom Ostbahnhof ins Werksviertel gelangen will; in Hamburg weht einem frisch der Wind um die Nase, wie es sich für eine Hansestadt gehört. Entsprechend zerzaust kommt man an. Falls man die Elbphilharmonie findet, denn obwohl man diese tagsüber annähernd von jedem Punkt in der Stadt sieht, weil sie so hoch ist, sieht man in der Nähe an einem Winterabend gar nichts mehr von ihr, außer bei Mondlicht einen großen Schatten.

Passend dazu der Eingangsbereich zu ebener Erde. Der Elbphilharmonie Crux ist, dass das Bauwerk allein ein Touristenmagnet ist. Und die Massen müssen in die Höhe der Plaza und des eigentlichen Konzertsaaleingangs geschleust werden. Nach einigen Besuchen kennt man allerdings den Seitentunnel, durch den man zu den Aufzügen gelangt, die man dann auch benutzen darf, falls man im Besitz einer gültigen Konzertkarte ist. Die muss nicht nur gültig sein, sondern auch die Scanner am Eingang befriedigen, was nicht immer der Fall ist.

Insgesamt dauert es also lang, bis man von der U-Bahn auf die Plaza gelangt ist, dort wird die Karte abermals gescannt, es ist ein monströses Gedöns, das allerdings den Wert eines jeden Konzerts erhöht, allein schon deshalb, weil man es hineingeschafft hat.

Aber: Die geschwungene Treppe ins Allerheiligste ist grandios. Als würden alle potenziellen Konzertbesucher von der Plaza weg in Richtung Foyers und Garderoben gesogen. Ein gieriger Schlund, zwar eben mit Scannern bewacht, aber die jungen Menschen, die diese in Händen halten, sind allesamt sehr fröhlich, obwohl sie im Winter blaugefrorene Lippen haben. Denn es zieht auf der Plaza. Weiter oben zieht es nicht mehr, dafür sucht man länger nach dem richtigen Eingang in den Saal.

Kein Schaulaufen der Zuschauer

Denn obwohl man sich ja mittlerweile in ziemlicher Höhe befindet, wirkt der Zuschauerbereich des Konzerthauses eher, als befinde man sich unter der Erde. Ein wenig fühlt sich das an wie im Bergwerk des Deutschen Museums, nur dass die Wände nicht dreckig braun sondern strahlend weiß sind, während die Fensterfronten im Dunklen das verwinkelte Innere reflektieren. Labyrinthisch wie ein Spiegelkabinett und ein wenig verwirrend, welcher Eingang zum Saal sich jetzt auf welcher Ebene befindet und welche Treppe dahin führt. Doch an so etwas kann man sich gewöhnen. Und die eher engen Gänge und Säulen, bei denen rechte Winkel so konsequent vermieden wurden wie in einer Waldorfschule, nehmen dem Konzerthaus sämtliche Herrschaftlichkeit.

Das Schaulaufen der Zuschauer erübrigt sich dann auch, es gibt kein großes Foyer, sondern eher viele kleine. In denen werden keine Lachshäppchen serviert, sondern Wurst- und Käsebrötchen. Das wirkt im Vergleich zu den Münchner Sälen alles etwas nüchterner und etwas heruntergekocht. Und irgendwie ist der Gedanke schön, einem Konzerthaus, das von Außen so monumental wirkt, im Inneren eine verwinkelte Intimität zu geben, auch wenn das Bergwerks-Gefühl bisweilen ins Klaustrophobische kippen kann.

Man kann also viel lernen von der Elbphilharmonie, wenn man in München Foyer, Eingang, Zugang und Ausgang plant. Aber die spezifische spektakuläre Bausituation in Hamburg lässt sich im Werksviertel ohnehin nicht nachahmen.

Es geht um den Klang im neuen Saal

Aber eigentlich geht es ja um den Klang. Taugt der am Ende nichts, braucht man auch in München keinen neuen Saal. Wenn Sitzplatz, Orchester, Dirigent und Repertoire in idealer Weise zusammenpassen, ist die Elbphilharmonie der beeindruckendste Saal der Welt. Nur: Wie oft und für wie viele Besucher trifft das zu? Das demokratische Prinzip der annähernden Rundumbestuhlung kommt schnell an das Ende der Demokratie, wenn man von vielen Plätzen aus den Rücken eines Sängers sieht. Dann hört man den nämlich nicht. Den Sänger. Und der Sänger selbst fühlt sich unwohl, wenn er gerade nach vorne singt - es gibt hier ein "Vorne", weil es doch einige Parkettplätze im klassischen Sinn gibt - und gleichzeitig weiß, dass in seinem Rücken Zuhörer gerade von seiner Kunst nichts mitkriegen.

Valery Gergiev nannte den Saal "sensitiv" und hat Recht damit. Man muss in der Elbphilharmonie extrem vorsichtig spielen. Und extrem exakt. Aber wenn das klappt, dankt es einem der Saal. Von dieser Erfahrung berichtet auch Christian Loferer, Hornist des Bayerischen Staatsorchesters: Man habe hier viel leiser spielen müssen als im Nationaltheater in München. Doch dieses sei sowieso eine "harte Schule". Für das Orchester, das die meiste Zeit im Graben spielt und ab und an auf einer Bühne in einem Raum, der einem akustisch nichts schenkt, ist die transparente Akustik der Elbphilharmonie Balsam.

Ähnliches scheint übrigens fürs Podium zu gelten. Manche Musiker meinten, sie hörten sich selbst nicht, dafür andere Instrumentengruppen sehr deutlich. Andere, wie etwa Loferer, sind begeistert und glauben auf der Bühne ein genaues Gefühl für den Gesamtklang entwickeln zu können. Das Blech hört die Streicher nicht, die Streicher hören nur Streicher, es gebe bessere Säle. Sagen die einen. Andere machen im Orchester wiederum viel positivere Erfahrungen.

Aber wirklich restlos begeistert ist niemand außer dem Staatsorchester. Doch das hat dort unter Kirill Petrenko auch ein Konzert gespielt, das so überragend gut war, dass die Euphorie über diese besondere musikalische Erfahrung die Wahrnehmung des Saals vielleicht auch noch einmal mitgeprägt hat.

Nun könnte man sagen, egal wie sich die Musiker hören, für das Ergebnis hat man ja den Dirigenten. Allerdings ist das eines der großen Probleme der Münchner Philharmonie: Nur wenn die Musiker ein echtes Gefühl dafür haben können, wie sie gerade spielen, können sie in den Bereich absoluter Faszination vordringen, dort, wo sie hinwollen. In München ist das nur unter großen Mühen möglich, in Hamburg ist das leichter. Fragt man viele Musiker, die viele Säle kennen, so bleibt stets der All-time-favorite die Suntory Hall in Tokio. Weil die auch wärmer klingt als die Elbphilharmonie. Und weil sie die allergenauste Kommunikation innerhalb eines Orchesters zulässt.

Das Weinbergprinzip muss nicht funktionieren

An der Elbphilharmonie kann man lernen, dass eine Raumordnung nach einem extremen Weinbergprinzip, also rundum Publikum, nicht vollkommen seligmachend ist. Ein Saal etwa wie der in Breslau, eine modifizierte Schachtel, klingt sehr gut und ist viel leichter zu bedienen, vielseitiger, wenn auch nicht so überwältigend, wie die Elbphilharmonie im Idealfall sein kann. Eine echte Niederlage erlitt die Elbphilharmonie jedoch mit dem Hamburger Opernorchester unter Kent Nagano; da konnte man erleben, wie der Saal an seine Grenzen kommt und zu viel Klang nicht mehr bewältigen kann (Schönberg, "Gurrelieder").

Die Bamberger Symphoniker brachten hier hingegen das Kunststück zustande, sogar konzertant eine Oper zu machen ("Don Giovanni"), aber da war der Sitzplatz auch perfekt. Das Symphonieorchester des Bayrischen Rundfunks konnte mustergültig seine technische Brillanz ausspielen, wie es in München nicht möglich ist. Und die Philharmoniker konnten ihr ureigenes Melos mit Gergiev hierher exportieren. Aber da passte jeweils auch das Repertoire.

Das Bayerische Staatsorchester unter Petrenko ist jedoch noch einmal eine Kategorie für sich, weil sich das Orchester unter Petrenko zu diesem überragenden Klangkörper entwickelt hat, der im Normalfall in München unter den in dieser Stadt schwierigsten akustischen Bedingungen auftritt und sich in Hamburg in Grenzbereiche der Musik hochgespielt hat, die man sowieso nur ein paar Mal im Jahr erlebt. Dabei kann ein Saal helfen, aber allein verantwortlich für so etwas ist er nicht.

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