Konzertkritik Robbie Williams:Du darfst Gott nicht langweilen

Die Gebote des Robbie Williams, demütig vorgebracht beim Tourstart in München.

Oliver Fuchs

Wenn sich dieser Abend unter einem Begriff fassen lässt, dann unter diesem: La Ola! Schon bevor es los geht, schicken die Zuschauer eine Welle durchs Stadion. In der Mitte fängt es an, und ein paar Sekunden später springen, zeitversetzt um ein paar Hundertstelsekunden, alle 62.000 Zuschauer im Stadion auf und werfen die Arme in die Luft.

Eine fein austarierte Bewegung ist das, die irgendwie an Kunstturnen erinnert oder an Synchron-Turmspringen, an eine Sportart jedenfalls, die harmonisch koordinierte Abläufe erfordert. Die "Masse", sie genießt kein hohes Ansehen bei der Kulturkritik.

Wenn sich Zehntausende irgendwo zusammenballen, wittert der kritische Verstand meist Gleichschaltung, sieht kollektive Dummheit am Werk. Diese Masse hier wirkt jedoch hochintelligent. Irgendwo, denkt man, muss ein Gehirn sein, das Signale an die verschiedenen Stadionabschnitte aussendet. Anders ist es nicht zu erklären, dass die La-Ola-Wellen derart exakt, derart formvollendet durch das Stadion rollen.

Der Körper der 62.000

Als Robbie Williams kurz nach neun Uhr auf die Bühne kommt, sind die 62.000 im Stadion bereits wie zu einem Körper verschmolzen, mit einem eigenem Willen. Das Werbefernsehen auf der Videoscreen haben sie weitgehend ignoriert, der etwas alberne Spot für ein "extrem hartes" Haar-Gel wurde sogar ausgelacht, und als die Sponsoren große, mit den Logos von Smart und XBox bedruckte Bälle von der Bühne in die Menge werfen, hat das Publikum erst mal keine Lust zu spielen.

Die Bälle werden zurück nach vorne gereicht, zu den verdrossen blickenden Security-Sheriffs. Alles deutet also zunächst darauf hin, dass selbst ein gewiefter Charmeur wie Robbie Williams kein leichtes Spiel haben dürfte mit dieser Menge.

Als er schließlich kopfüber an einem Seil baumelnd auftaucht, wie auf dem Cover seines letzten Albums "Escapology", steht die Sonne zufällig im genau gleichen Winkel am Himmel und leuchtet genauso karamelfarben wie auf dem "Escapology"-Cover.

Um 21.05 Uhr kommt Robbie Williams auf die Bühne geflogen, und in diesem Moment, so scheint es, ist irgendwie auch der Sommer zurückgekehrt nach München. "My name is Robbie Williams and I am a rockstar", sagt er, klopft Hose und Hemd in Form, zupft die Krawatte gerade und ist wenige Augenblicke nach seinem Stuntman-Entree ganz offensichtlich ready to rock.

Der Fanblock direkt vor der Bühne jubelt von Anfang an, als fielen Weihnachten, Ostern, Fußballweltmeisterschafts-Endspiel und Jahrtausendwende auf einen Tag, auf den Sitzplätzen wird noch zurückhaltend geklatscht. So leicht, heißt das, kriegst du uns nicht herum.

Es geht los mit "Let me entertain you" - eine programmatische Aussage. Und es geht weiter mit "Let love be your energy" - mindestens genauso programmatisch. Der Show-Wagen setzt sich in Bewegung, die Räder sind perfekt geölt, das Triebwerk schnurrt.

In die ersten Lieder wirft Robbie Williams sich hinein, er singt, als ob es nicht um Popsongs, sondern um sein Leben ginge. Und er schafft es, dabei unglaublich lässig auszusehen. Man spürt, dass hier jemand die allerhöchsten Ansprüche an sich als Pop-Star stellt, man spürt, wie jemand sein Leben voll und ganz dem Entertainment widmet. Die Maxime heißt: Es gibt keine zehn Gebote, es gibt in Wirklichkeit nur eins: Du darfst Gott nicht langweilen!

Der Typ am Tresen

Williams befehligt einen Trupp mit Tänzerinnen in Hot Pants, ein Fingerschnippen genügt, und sie laufen nach rechts, er schnippt nochmal, und sie laufen nach links, er schnippt wieder, und sie stellen sich zum Spalier auf. Wenn er sagt: "Kann ich bitte ein Klavier haben?", dann öffnet sich der Bühnenboden und durch die Luke fährt: ein Klavier.

Es muss berauschend sein, über eine solche Show-Maschine zu gebieten, und Robbie Williams ist sichtlich berauscht. "Kann ich jetzt bitte Heidi Klum nackt haben?", sagt er, nachdem die Klavier-Nummer so gut geklappt hat. Es würde einen nicht wundern, wenn tatsächlich Heidi Klum nackt erschiene. Dass sie es nicht tut, beruhigt einen dann irgendwie. Auch Robbie Williams sind Grenzen gesetzt.

"You've come to witness the best show in the world", brüllt er. Gut, aber etwas anderes haben wir, ehrlich gesagt, auch nicht erwartet. Ein Satz wie dieser könnte ein Indiz dafür sein, dass der Mann völlig übergeschnappt ist, ein großes Kind, gefangen in einer Kapsel aus Größenwahn.

Und wenn bei all dem Irrsinn und der ganzen Perfektion an diesem Abend nicht noch etwas anderes mitschwingen würde, dann müsste man Williams vielleicht wirklich für einen talentierten Schwachkopf halten.

Stark, trotzdem

Aber es gibt einen Moment, da zieht er auch den letzten Skeptiker im Stadion auf seine Seite. Die Tänzerinnen sind gerade verschwunden, Robbie Williams steht allein auf der großen Bühne. Er wirkt ausgeliefert, schutzlos, legt sich flach auf den Bauch, und man weiß nicht, ob das nun das Ende der Show ist oder nur der Anfang einer neuen Sketch-Einlage. Dann hört man die ersten Takte von "Strong", auf der Videoscreen wird der Text eingeblendet, und das Publikum begreift, dass dies sein schwacher Moment ist, dass der liegende Williams Demut zeigen will, dass jetzt andere für ihn singen sollen: "You think that I'm strong, you're wrong."

Und plötzlich läuft vor dem inneren Auge des Besuchers noch einmal der ganze Robbie-Williams-Film ab, in dem ein ängstlicher Junge Tänzer bei einer Boygroup wird, mit dem Versuch scheitert, eine Prise Rock'n'Roll in die Truppe zu bringen, gefeuert wird und schrecklich abstürzt. "He was a teen star, now he's a fat joke", hieß es über Williams, als er mit einem Soloalbum daher kam, auf das niemand einen Pfifferling gab. 350 Besucher waren da, als er es in München vorstellte.

Sechs Jahre später, wieder München. Robbie Williams erzählt das Drama seines Lebens, er singt es für uns. Es ist die Geschichte eines Mannes, der Verletzungen und Demütigungen in showmanship verwandelt hat. Zeige Deine Wunde! Und: Let love be your energy!

"Im gonna get intimate now", sagt er und bedeutet dem Publikum, dass es ruhig näher kommen kann. Robbie Williams ist jetzt der Typ, der neben einem am Tresen sitzt und davon erzählt, was ihm alles passiert ist und wie er es geschafft hat, aus dem Schlamassel herauszukommen. Und man begreift, warum aus Alexander nie ein Superstar werden wird. Der Mann hat keine Geschichte.

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