Konzert in München:Haim wollen heim

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So muss ein Gitarren-Solo aussehen: Danielle Haim von der Pop-Rock-Band Haim bei einem Konzert Mitte Februar in Berlin. (Foto: dpa-Zentralbild)

München liebt Haim. Aber liebt Haim auch München? Warum die aufregendste Band Kaliforniens auch mal müde sein darf und wie man ein Gitarren-Solo so spielt, dass nicht alle sofort an masturbierende Männer denken.

Von Nadia Pantel

Alle lieben Haim. Aber Haim lieben nicht jeden. München zum Beispiel, lieben die drei Schwestern vielleicht eher nicht so sehr. Obwohl es in Fragen nicht erwiderter Liebe ja immer höflicher ist, zu behaupten: "Doch, die können's nur nicht zeigen!" Daher also: München liebt Haim und Haim lieben München, nur leider hat's keiner gemerkt.

Freitagabend, die Freiheiz-Halle ist ausverkauft. Die Duftwolke aus Speck und Wurst, die vom Hot-Dog und Flammkuchen-Stand vom Foyer aus in die Halle wabert, hält das Publikum nicht davon ab, sich hip und unwurstig zu geben. Die Mädchen haben American Apparel und H&M auf Haim-Style hin leer gekauft und stehen in sehr engen oder sehr kurzen Hosen herum, legen mit quadrat-schlabbrigen Mini-T-Shirts die untere Rippe frei und sind jung und schön. Es liegt ein wenig die gespannte Erwartung in der Luft, die Abende auszeichnet, an denen alle das Gefühl haben, es mal zur richtigen Zeit an den richtigen Ort geschafft zu haben.

Man muss Pop hassen, um sich nicht über Haim zu freuen

Haim: Drei Schwestern aus Kalifornien, die direkt von Brit Awards kommen, wo sie beim Rumhängen mit Pharell Williams fotografiert wurden. 2013 von der BBC zu den viel versprechendsten Newcomern des Jahres erkoren, gefeiertes Konzert im Sommer in Glastonbury, hochsouveräner Auftritt bei Saturday Night Live, bisher nur ein Album ("Days are gone"), mit dem seit eineinhalb Jahren beinah durchgehend auf Tour. Die bisherigen Single-Auskopplungen: folkiger Gesang, Schlagzeug, das genau auf die Hüfte zielt, Michael-Jackson-artige Sex-Atmung als Rhythmus-Element und hymnische Refrains. "Don't stop, no one's ever enough/ I'll never look back, never give up/ And if it gets rough, it's time to get rough." Verdammt, man muss Pop hassen, um sich nicht über Haim zu freuen.

Und jetzt also innerhalb eines halben Jahres schon zum zweiten Mal in München. Im November noch als Vorband von Phoenix. Damals haben sie das deutlich größere Zenith lässig bis in die letzte Reihe hinein begeistert. Drei Frauen um die zwanzig. Drei Multi-Instrumentalistinnen. Fast schon prollige Gitarrensoli, wilde Trommelperformance und immer im richtigen Moment wieder ins Süßliche hochgerissen. Dabei live viel, viel lauter und rotziger als auf ihrem Pop-Album. Vielleicht sind es also auch die Erwartungen, die an diesem Abend zu hoch sind. Haim ist Hype. Und Haim ist müde.

"Munich! How the fuck are we doing tonight? Fuck yeah!" Este Haim ist die Älteste der drei Schwestern und die unangefochtene Rampensau. Vielleicht steht sie deshalb immer extra am Rand, um die Band nicht völlig aus dem Gleichgewicht zu bringen. Este fuckyeaht also München und München ruft ein bisschen verwirrt "Fuck yeah". Dreimal fragt Este nach, ob es da keine deutsche Entsprechung gäbe.

Kurzes Stimmendurcheinander, keine Einigung, dann schreit einer von weiter hinten wieder verzweifelt "Fuck yeah". Was hätten sie auch sagen sollen? "Los geht's?" Este tut das einzig Weise und gibt auf: "Okay, just shut the fuck up now, I am going to sing a song." Wenn zwischen einer Band und dem Publikum diese Energie, die manche Funke nennen, überspringt, dann sieht das anders aus.

Dabei war ja eigentlich alles da an diesem Abend. Este war so aufs Spielen konzentriert, dass ihr die Gesichtsmuskulatur im Rhythmus des Basslaufs völlig entglitt. Auf Youtube sind Estes "Bassface" ziemlich viele Fanvideos gewidmet: Eine 27-jährige Frau, die mit völlig entgrenzter Mimik ebenso souverän wie bescheuert wirkt. Wirklich cool und sexy wird nur, wer sich traut, auch mal völlig daneben auszusehen. Wie gut, dass das inzwischen auch für Frauen auf der Bühne gilt.

Dann Danielle Haim, die wirkt wie eine abgeklärte Wiedergeburt von Alanis Morissette: tiefe, klare Stimme, langes Zottelhaar, das bei den Rocknummern AC/DC mäßig geschüttelt wird und all das ohne Alanis' leicht anstrengendes Hippie-Staune-Gesicht. Die jüngste Schwester, Alana Haim, macht zwar ein wenig einfallslose Lolita-Moves auf der Bühne, aber das schmälert nichts von der musikalischen Präzision der Drei. Allein Danielle macht Gitarrensoli wieder erträglich. Sie lässt die Saiten singen, fiepen, wabern, brüllen - und endlich mal muss man nicht an masturbierende Männer denken, wie bei den selbstverliebten "Gitarren-Göttern" des 80er-Jahre-Rock.

Bevor Ekstase und Euphorie aufkommen, ist es auch schon wieder vorbei

Nur irgendwie ist hier in der Freiheiz-Halle alles vorbei, bevor auch nur der Hauch von Extase oder Euphorie aufkommen kann. Wie auch, wenn ein Konzert inklusive Zugabe knapp unter einer Stunde dauert. Ein eifriger Roadie hält Este ein weißstrahlendes Frottee-Handtuch hin, als sie von der Bühne geht. Freundlich irritiert schüttelt sie abwehrend den Kopf. Wo niemand über Grenzen geht, ist auch kein Schweiß und folglich auch nichts zum wegfrottieren.

"Hey it's Friday!" hat Alana immer wieder gerufen. Es sollte klingen wie ein, wow, Wochenende, Zeit auszuflippen. Es klang eher wie ein, hm, Freitag... War das nicht dieser Tag wo diese Menschen mit diesen Bürojobs mal so richtig ausflippen wollen? Es war nicht böse gemeint, aber es wirkte irgendwie völlig abwesend. Vielleicht darf man sich Haim nicht banal müde vorstellen, um von diesem Abend nicht enttäuscht zu sein. Vielleicht sind sie einfach zurecht verkatert. Von all der aufgeregten Begeisterung um sie herum ebenso erstaunt wie erschöpft.

Aber lieber müde Stars, als solche, die zwanghaft ihre Zunge rausstrecken, um zu beweisen, dass sie nie, nie, nie müde werden. "We can't stop" singt Miley Cyrus in ihrer dauer-gut-gelauten Dickfelligkeit. Haim sind Rock genug, auch einfach mal aufzuhören. An diesem Abend schon nach 50 Minuten. Macht nix, trotzdem danke.

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