Konkurrenten auf dem Oktoberfest:Eine Wiesn, zwei Chefs

Oktoberfest 2014 - Halbzeitbilanz

Wiesn für zwei: OB Dieter Reiter (li.) und Bürgermeister Josef Schmid bei einer Pressekonferenz im Velodrom.

(Foto: Tobias Hase/DPA)

Gewunken, getrunken, geschäkert: Oberbürgermeister Dieter Reiter und sein Stellvertreter Josef Schmid durchlaufen fast im Gleichklang ihre erste Wiesn im Amt. Nur einer möchte sich sichtbar etwas mehr profilieren.

Von Andreas Glas

Ein bisschen blass sah er aus, die linke Wange war geschwollen, aber Dieter Reiter musste da jetzt durch. Ein Bodyguard schob ihn durch die Menge, Reiter nickte nach rechts und nach links, schüttelte eine Hand, zwei, drei, die vierte hielt ihn fest. "Wie ich das mit Ihren Zähnen gelesen hab', mei, das hat mir so leid getan", sagte die Dame, zu der die Hand gehörte. "Geht scho' wieder", sagte Reiter und lächelte so gut es eben ging, der Bodyguard hatte ihn da schon weitergeschoben. Hände schütteln, lächeln, weiterschieben.

Zwei Wochen ging das so, wenn Dieter Reiter über die Wiesn marschierte. Na ja, fast zwei Wochen, dazwischen gab es ja noch die Zahn-OP. Drei Backenzähne bekam er gezogen, drei Tage lag er flach. Das erklärte das Mitleid der Dame und die geschwollene Wange. Aber für die Blässe, sagen Spötter, sei ein anderer verantwortlich gewesen: Josef Schmid, Zweiter Bürgermeister, Wiesn-Chef, Hans Dampf in allen Zelten. Es gab praktisch keinen offiziellen Wiesn-Termin, der ohne Schmid stattfand, praktisch kein offizielles Foto, auf dem er nicht zu sehen war. Im Gegensatz zu Schmid, sagen Spötter, habe Reiter auf der Wiesn ziemlich blass ausgesehen.

Wenn man so will, ist Dieter Reiter selbst schuld daran, dass Schmid sich während der Wiesn so stark in Szene setzen konnte. Als Gabriele Weishäupl 2012 ihr Amt als Wiesn-Chefin aufgab, machte der damalige Wirtschaftsreferent Reiter die Festleitung zur Chefsache des Wirtschaftsreferenten - also zu seiner eigenen. Die Strategie war offensichtlich: Die publikumswirksame Aufgabe half, den eher unbekannten Dieter Reiter stadtbekannt zu machen. Es war ein kluger Schachzug im Wahlkampf, an dessen Ende er als Oberbürgermeister ins Rathaus einzog.

So ähnlich dürfte das jetzt Josef Schmid planen, der Reiter als Wirtschaftsreferent und damit auch als Wiesn-Chef beerbt hat. Klar, es dauert noch ein paar Jahre bis zur nächsten Wahl, aber hat man ihn auf der Wiesn erlebt, sah es so aus, als habe sein Wahlkampf schon begonnen. Es ging ihm darum aufzufallen, noch bekannter zu werden, und sei es mit textmarkerblauen Kniestrümpfen, die er zur Lederhose trug. ("Die sind einfach total praktisch", sagt er) Und wenn kein Fotograf zur Stelle war, dann schickte er eigene Bilder in die Welt.

Wie zum Beispiel das Bussel-Foto, das seine Frau Natalie auf Facebook gepostet hat. Entstanden ist es im Weinzelt, es zeigt das Ehepaar Schmid küssend, mit geschlossenen Augen. "Das bislang innigste Foto aus den Wiesn-Zelten", schrieb die tz, die das Bild groß abdruckte. Schmid selbst sagt, dass so etwas "überhaupt nichts mit Strategie oder Kalkül zu tun" habe, sondern einfach nur aus der Wiesn-Laune heraus entstehe. Die Wiesn sei ihm halt eine "Herzensangelegenheit". Und überhaupt: Sein Einsatz sei eine "Frage der Dienstauffassung: bei den Leuten zu sein und dafür zu sorgen, dass alles läuft". Es gehe nicht darum, wer wem die Show stehle, sondern darum, dass "wir beide München gemeinsam voranbringen", sagt Schmid.

Dieter Reiter gibt sich gelassen ob Schmids Inszenierung, kann sich eine Spitze aber trotzdem nicht verkneifen: "Es ist ja nicht die Frage, wie die Selbstdarstellung ist, sondern wie die politische Arbeit der letzten fünf Monate war. Und da, muss ich sagen, habe ich bei ihm noch keine richtig treffende Idee erkannt", sagt Reiter. Fast im gleichen Atemzug spricht er von Schmid aber als "verlässlichem und kollegialem Partner".

Tatsächlich gaben sich beide im Gleichklang volksnah, auch wenn zu Reiters Strategie weder Bussel-Fotos noch extravagante Tracht gehörte. Die beiden winkten, prosteten, schäkerten, herzten, was die Wiesn hergab. Distanziert erlebte man Reiter und Schmid nur dann, wenn sie gemeinsame Auftritte hatten. So wie beim Platzkonzert am mittleren Wiesn-Sonntag unterhalb der Bavaria. Zwischen Festwirten und Bussibussi-Menschen nutzten Reiter und Schmid jeden Millimeter, um sich gegenseitig aus dem Weg zu gehen - und das sehr erfolgreich.

Nur Natalie Schmid ging auf Dieter Reiter zu, in mintfarbenem Dirndl und Leoparden-Pumps, an ihren Händen klammerten Sohn und Tochter. "Das ist der Herr Reiter", sagte Natalie Schmid zu ihren Kindern. Der Herr Reiter beugte sich runter, griff nach den Händchen der Kinder, die ihn mit strengen Brauen anschauten. Das war es dann aber auch zwischen Natalie Schmid und Dieter Reiter. Sie zog ihre Kinder weiter durch die Menge und suchte ein Plätzchen, von wo aus die Familie einen guten Blick auf die Bühne hatte.

Dort stand der Papa, in seinen blauen Kniestrümpfen und mit einem Taktstock in der Hand. Jetzt war es Josef Schmid, der da durch musste. Wer beim Platzkonzert auf die Bühne gerufen wird, muss das Blasorchester dirigieren, da gibt es kein Entkommen. Hinter Absperrbändern standen ein paar Tausend Leute, das Dritte übertrug live, man konnte sich leicht blamieren. Die Bläser bliesen den Deutschmeister-Regimentsmarsch, Josef Schmid versuchte zu dirigieren, das Lächeln eingefroren, die Beine wie angewurzelt, ziemlich mechanisch sah das aus. Als er von der Bühne stieg, klopfte ihm seine Frau Natalie auf die Schulter, sagte: "Gut gemacht." Auch sie war sichtlich froh, als es vorbei war.

"Er nimmt seine Sache eben ernst", sagte Dieter Reiter über Schmids Auftritt und schmunzelte. Man beobachtete sich halt doch ganz genau. "Nicht megaentspannt" sei der Auftritt gewesen, lästerte Reiter, der wenig später selbst mit Taktstock auf der Bühne stand. Zum Defiliermarsch drehte sich Reiter im Kreis, dirigierte mal das Orchester, mal das Publikum, und bewegte seine Lippen zum Ufftata, was wegen der dicken Backe besonders lustig aussah. Von allen Szenen der Wiesn zeigte der direkte Dirigier-Vergleich vielleicht am besten, warum sich Josef Schmid trotz Omnipräsenz schwerer tat zu punkten: Bei Reiter hatte man stets das Gefühl, als lege er eine gewisse ironische Distanz zwischen sich und seinen Job - gerade dann, wenn der nur darin bestand, einen Taktstock zu schwingen.

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