Kommunalpolitik:Rathaus-Politik verstehen nur Stadträte

Großer Sitzungssaal: Im Stadtrats-Plenum gibt es spannende Themen, die gar nicht angesprochen werden.

Großer Sitzungssaal: Im Stadtrats-Plenum gibt es spannende Themen, die gar nicht angesprochen werden. Das ist zuvor im Fachausschuss geschehen. Pech gehabt.

(Foto: Stephan Rumpf)

Wer eine Sitzung im Münchner Rathaus besucht, durchblickt oft nicht einmal die Tagesordnung. Die Stadträte haben das Problem erkannt, einen echten Ausweg daraus wissen sie noch nicht.

Von Dominik Hutter

Eine rasche Auffassungsgabe war Grundvoraussetzung an diesem Vormittag. Denn kaum hatte die Schulklasse auf der Zuschauergalerie Platz genommen, wurde sie von Oberbürgermeister Dieter Reiter erst begrüßt und dann sofort wieder hinauskomplimentiert. Nicht aus bösem Willen, die Sitzung des Kreisverwaltungsausschusses war schlicht und einfach nach wenigen Minuten beendet. Kein Diskussionsbedarf. Die Schüler griffen nach ihren Jacken, die sie gerade erst abgelegt hatten, und trollten sich.

Das kommt vor im Münchner Rathaus. Und es ist beileibe kein Einzelfall. Denn natürlich kann der Stadtrat nicht spontan eine Show-Debatte starten, nur weil gerade eine Schulklasse den Rathausbetrieb kennenlernen will. Andererseits: Der Eindruck, den die Alsbald-Wähler von der Politik bekommen, dürfte nicht zum Eintritt bei Jusos, Junger Union oder Grüner Jugend motivieren. Immerhin: Wenn sich Schulklassen rechtzeitig bei Bürgermeisterin Christine Strobl anmelden, werden sie beim Rathausbesuch von ihr selbst oder ihren Mitarbeitern begleitet. Samt kurzer Einführung, wie der Stadtrat arbeitet, und anschließender Debatte über das Wesen der Kommunalpolitik. Bei nicht organisierten Besuchern, das räumt Strobl ein, wird es schwierig. "Wir wissen nicht, wer da oben sitzt und welches Vorwissen er hat."

Tatsächlich wird es Besuchern des Rathauses nicht gerade leicht gemacht, die Vorgänge dort zu verstehen. Wer sich eine Sitzung ansehen will, wird erst einmal von Rathaus-Mitarbeitern oder dem Sicherheitsdienst zur Galerie in den dritten Stock geschickt. Um dort eine Weile ratlos vor verschlossener Tür herumzustehen - drinnen im Saal wird derweil die nicht-öffentliche Tagesordnung debattiert. Dürfen die Besucher endlich hinein, erfahren sie, dass es um Themen wie MBQ, AWM oder Great Place To Work gehen soll. Also das städtische Qualifizierungsprogramm, die Müllabfuhr sowie eine Bewertung der Mitarbeiterzufriedenheit. Aber das muss man natürlich erst einmal wissen.

Handelt es sich um eine Vollversammlung, ist die nächste typische Reaktion: Erstaunen. Weil wirklich spannend klingende Themen gar nicht diskutiert werden. Das liegt meistens daran, dass dies zuvor schon in einem Fachausschuss geschehen ist. Aber das muss man natürlich erst einmal wissen. Diese Themen werden dann en bloc abgestimmt, unter Verwendung von Floskeln wie "Begründung wie im Ausschuss". Um das zu kapieren, muss man zuvor die Ausschusssitzung besucht haben. Was nur wenige Leute tun. Normalerweise bemüht sich bestenfalls eine Handvoll auf die Galerie, manchmal auch gar niemand. Im Plenum oder bei spektakulären Themen sind es aber auch mal 100 Zuhörer oder mehr, der Internet-Livestream hat sogar vierstellige Zugriffszahlen.

Manchmal warten Sitzungsbesucher auch sehnsüchtig auf ein ganz bestimmtes Thema, das als Nummer eins auf der Tagesordnung auftaucht, die sie ausgedruckt mitgebracht haben. Gemeinsame Sitzung des Kreisverwaltungs- und Kommunalausschusses steht dann da beispielsweise, und dass es um 9.30 Uhr losgeht. Was nicht erwähnt ist: Oft tagen den ganzen Vormittag lang diverse Ausschüsse in unterschiedlichen Kombinationen. Mal der Kreisverwaltungs- mit dem Finanzausschuss, dann der Kreisverwaltungs- zusammen mit dem Bauausschuss, später auch der Kreisverwaltungsausschuss allein.

Jede dieser Sitzungen hat eine eigene Tagesordnung, und über jeder steht 9.30 Uhr. Auch wenn es in Wahrheit erst um 11.45 Uhr losgeht. Aber das wissen vorher nicht einmal die Stadträte selbst. Der Zeitplan hängt von der Zahl der Vertagungen und der Tiefe der Debatte ab. All das sollte wissen, wer kein Sitzkissen mitgebracht hat. Denn Stadtratsdebatten können lang ausfallen. Sehr lang sogar.

Was machen die da eigentlich?

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Juristische Bibliothek: Wenn die Tagesordnung einer Sitzung besprochen wird, geht es um Begriffe wie MBQ, AWM oder Great Place To Work. Das wird dann diskutiert. Alles klar?

(Foto: Catherina Hess)

Für den Nichteingeweihten erinnert das neugotische Münchner Rathaus oft an das undurchschaubare Labyrinth von Hogwarts, der gruseligen Zauberschule aus den Harry-Potter-Romanen. Was machen die da eigentlich, und wo führt das hin? "Manchmal fällt einem das selber gar nicht so auf", räumt Strobl selbstkritisch ein. Auch Grünen-Fraktionschef Florian Roth ist bewusst, dass vieles am Marienplatz aus einer Insiderperspektive heraus debattiert wird. Nur: Der Stadtrat muss natürlich auch arbeitsfähig bleiben, und endlose Gebrauchsanweisungen vor und während jeder Sitzung sind für einen effizienten Betrieb nicht gerade hilfreich.

Zumal die Vorkenntnisse der Besucher eben sehr unterschiedlich sind. Manche sind politische Aktivisten, denen der Stadtratsbetrieb ähnlich vertraut ist wie Weihnachten im Familienkreis. Andere schneien das erste Mal herein, sind ohnehin erzürnt und hatten bislang keinerlei Kontakt mit den Niederungen der Kommunalpolitik. Aus der Perspektive des Stadtrats handelt es sich aber um eine Arbeitssitzung souveräner Volksvertreter, nicht um eine Showveranstaltung mit engem zeitlichem Korsett.

Bürgermeister Josef Schmid weiß um diesen Zwiespalt, kann sich aber auch nicht daran erinnern, dass Münchens Kommunalpolitiker das Thema Verständlichkeit von Stadtratsdebatten jemals ausführlich diskutiert hätten. "Ich selbst sage als Sitzungsleiter lieber mal zwei Sätze zu viel, wenn Zuschauer da sind", so der CSU-Politiker - damit die Bürger auf der Galerie dem Geschehen besser folgen können. Es sei schon viel geholfen, wenn die Tagesordnungspunkte verständlich vorgetragen und Wortungetüme wie motorisierter Individualverkehr weggelassen würden.

Oberbürgermeister Dieter Reiter setzt eher auf andere Formate als die klassische Stadtratssitzung, die wenig auf Öffentlichkeitswirkung zugeschnitten sei. Die Bürgersprechstunden etwa, bei denen er in Turnhallen Rede und Antwort steht und dabei auch politische Zusammenhänge erläutern kann. Oder Interessenkonflikte aufzeigt, die in Debatten Gleichgesinnter gerne ausgeblendet werden. Grünen-Politiker Roth hält die Bürgerfreundlichkeit von Stadtratsdebatten vor allem für eine "Bewusstseinsfrage". Der Sitzungsleiter müsse sich stets in Erinnerung rufen, dass Demokratie eine öffentliche Angelegenheit ist. "Wir sollten mal im Ältestenrat darüber reden", schlägt Roth vor.

Bürgermeisterin Strobl hält es für sinnvoll, die Abläufe im Stadtrat "tatsächlich einmal didaktisch aufzubereiten und darzustellen". Zum Beispiel in Form einer Broschüre, die auf der Galerie ausliegt und Schulklassen vor ihrem Besuch zugeschickt wird. Noch am Montag will sie darüber mit dem Oberbürgermeister reden.

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