Kommunalpolitik:Für immer rot

Kommunalpolitik: "Bundespolitik ist nicht gleich Gemeindepolitik", sagt Harry Blöchl. Für ihn sei schon als Kind klar gewesen, ein Sozialdemokrat zu sein.

"Bundespolitik ist nicht gleich Gemeindepolitik", sagt Harry Blöchl. Für ihn sei schon als Kind klar gewesen, ein Sozialdemokrat zu sein.

(Foto: Christian Endt)

Harry Blöchl sitzt seit 50 Jahren für die SPD im Gemeinderat

Von Christoph Hollender, Kirchseeon

Sie nannten ihn Harry. Damals nach dem Krieg, als die Amerikaner in Kirchseeon waren. Harry Blöchl war damals ein kleiner Junge, gerade mal sechs Jahre alt. Er verstand sich gut mit den Soldaten, die seinen Vornamen, er heißt Heribert, einfach nicht aussprechen konnten. Also wurde aus Heribert, Harry. Und Harry blieb es bis heute, nur das a wird deutsch ausgesprochen. "Jeder kennt mich so", sagt Harry Blöchl. Er lacht. Und jeder in Kirchseeon scheint den 76-Jährigen heute tatsächlich zu kennen. Viele wahrscheinlich aus der Kommunalpolitik. Seit einem halben Jahrhundert ist er Kommunalpolitiker und Gemeinderat in Kirchseeon. Mit einer dicken Haut, wie Weggefährten des 76-Jährigen sagen, geduldig und ausdauernd.

Wenn der Gemeinderat in Kirchseeon tagt, dann sitzt Harry Blöchl ganz vorne im Sitzungssaal, ganz nahe beim Bürgermeister. Seine SPD-Fraktion sitzt hinter Blöchl, nacheinander reihen sich die SPD-Gemeinderäte hinter ihm auf, als ob sie sich versteckten. Vielleicht, weil Blöchl - wie man in Bayern sagt - ein gestandenes Mannsbild ist, groß, kräftig und gemütlich. Vielleicht aber auch, weil er Politik lebt und genau weiß, was er wann sagt. Überzeugt und mit klarer Sprache. Wenn er über Politik spricht, sind andere meistens ganz ruhig, sogar der Bürgermeister Kirchseeons, Udo Ockel (CSU), dann erklärt Blöchl die Welt im Landkreis Ebersberg. Seine Finger hat er gerne ineinander verschränkt und auf dem Tisch liegen, wie eine doppelte Faust aus 50 Jahren Erfahrung auf der Kommunalpolitikbühne. Ein "in sich ruhendes Gebirge" nennt ihn der frühere Bürgermeister aus Vaterstetten und Parteifreund Peter Dingler. Doch auf die Ruhe folge auch einmal der Sturm, auch das sei Blöchl. Bärbeißig, redselig, dampfend, aufbrausend. Dingler sagt, wenn Blöchl plötzlich spreche, dann ströme es aus ihm, wie Dampf aus einem Kraftwerk mit Überdruck, und dann der vulkanische Ausbruch: mitreißend, rückhaltlos.

Die Liebe zur SPD hat Blöchl über die Jahre nie verloren, trotz der heutigen bundespolitischen - sagen wir - Schwierigkeiten, mit der die Sozialdemokraten zu kämpfen haben. Aber: "Bundespolitik ist nicht gleich Gemeindepolitik", sagt Blöchl. Für ihn sei schon als Kind klar gewesen, ein Sozialdemokrat zu sein, erzählt er. Immer mittig-links habe er die Welt gesehen, immer irgendwie gegenüber der CSU, immer rot. Würde es rote Hunde geben, Blöchl würde sich einen zulegen, sagt er und lächelt. Der Hund seiner Enkelin ist weiß, ein kleiner wuscheliger Havaneser, der neben Blöchl hin und her läuft und gespannt darauf wartet, bis er fertig erzählt hat.

Als er 26 Jahre alt war, 1966, kandidierte er das erste Mal für den Kirchseeoner Gemeinderat. Er wurde gewählt. Er wollte etwas verändern in Kirchseeon, seinen Teil dazu beitragen, erzählt er heute. "Damals sollte der Ebersberger Forst abgeholzt werden und einer der größten Protonenbeschleuniger gebaut werden", sagt er. Einer der konkreten Gründe, warum es Blöchl auf die Politikbühne zog. Widerstand habe sich damals gegen das CSU-Vorhaben im Forst formiert, erinnert sich Blöchl. Er fand sich aufgehoben, in der Sozialdemokratie. Im Gemeinderat Kirchseeons saßen 1966 neun SPD-Räte, der Rathauschef war ein Sozialdemokrat. Von 1968 bis 1998 war Blöchl der Chef der SPD-Fraktion im Kirchseeoner Gemeinderat.

Zweimal probierte es Blöchl Bürgermeister zu werden, 1978 und 1984. Zweimal ohne Erfolg. Demotivieren habe er sich dadurch aber nie lassen. Es sei ihm auch nie um den Bürgermeisterposten gegangen; Blöchl legte Wert auf Beständigkeit in der Kommunalpolitik. Im Kreistag seien die Jahre geprägt gewesen von maßgeblichen politischen Themen, es habe Anträge gegen die Nachrüstung und gegen gentechnikveränderte Anpflanzungen gegeben. "Mitte der Achtzigerjahre haben wir den Antrag gestellt, jährlich sechs Millionen Mark für den sozialen Wohnungsbau zur Verfügung zu stellen", sagt Peter Dingler. Die CSU-Fraktion habe die Ideen nur zu oft mit "mildem homerischem Gelächter abgelehnt". Heute mangle es immer noch an Wohnungen im Landkreis.

Blöchl ist keiner, der die Auseinandersetzung liebt, ganz im Gegenteil, er mag es, wenn man sich einig ist, im Kern. Viele Gemeinderatsbeschlüsse seien einstimmig gewesen, sagt er. Es gebe eben bei manchen Dingen wenig Alternativen, so wie beim Neubau des Kinderhauses in Kirchseeon heute, das "wir einfach brauchen", auch wenn es ein paar Millionen mehr koste. Wichtig sei für Blöchl, etwas für die Region zu machen. Von 1972 bis 1990 war er Kreisrat und 20 Jahre ehrenamtlicher SPD-Kreisgeschäftsführer.

Er engagierte sich bei Wahlkämpfen, von der Landtagswahl 1970, der Bundestagswahl 1972 über die Europawahlen und alle Kommunalwahlen, und prägte mit seinem Gesicht die SPD im Landkreis Ebersberg und Oberbayern. 1973 wurde er zum ehrenamtlichen Richter am Verwaltungsgericht München berufen. 1984 wurde er für seine kommunalpolitischen Verdienste vom Regierungspräsidenten geehrt, die kommunale Verdienstmedaille erhielt er im Jahr 1998 vom Innenminister.

Doch in vier Jahren ist Schluss, kündigt Blöchl an. Bei der Kommunalwahl 2020 "trete ich nicht mehr an". Irgendwann sei es genug, meint er, so wie mit dem Rock 'n' Roll. Auch das Tanzen habe er irgendwann aufgeben müssen. Er sei ein guter und sportlicher Tänzer gewesen, beteuert er und zwinkert mit den Augen. Doch jeder Tanz gehe zu Ende, auch auf der politischen Bühne.

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