Kommentar:Vorsicht vor Verboten

Keine Werbung mehr oberhalb des Erdgeschosses? Dieser Antrag, mit dem sich der Stadtrat beschäftigen muss, ist nun wirklich übertrieben

Von Kassian Stroh

Eine derart unverschämte Reihung kratzt natürlich am Münchner Selbstbewusstsein: Wie in "New York, Rio, Rosenheim" sähen die Straßenzüge der Altstadt inzwischen aus, wegen all der Werbung und Markenlogos an den Fassaden, "die Unverwechselbarkeit Münchens nimmt ab". Das monierte ein Bewohner der Sendlinger Straße bei der Altstadt-Bürgerversammlung. Und weil die seinen Antrag billigte, das Rathaus solle jegliche Werbung oberhalb des Erdgeschosses verbieten, muss sich damit am Mittwoch der Planungsausschuss des Stadtrats befassen.

München und die Werbung - das Thema hat Aufregerpotenzial. Erst im Sommer lief die Stadtgestaltungskommission Sturm gegen den Plan, an ein paar Tram- und Bushaltestellen mehr wechselnde Werbungen zu installieren, also rollierende Plakate. Kurz darauf entbrannte eine Debatte, ob das riesige Plakat vor der Hugendubel-Baustelle am Marienplatz angebracht sei. Gemach, gemach - so lässt sich daher die Vorlage für den Ausschuss lesen. Das Planungsreferat führt darin auf, warum seiner Meinung nach ein generelles Werbeverbot weder sinnvoll noch rechtlich möglich ist. Weil die Stadt nämlich durchaus regelnd eingreift (über Bebauungspläne und Richtlinien für Werbeanlagen) und weil ein Generalverbot von Werbung nur dann zulässig wäre, wenn ein "homogenes Ortsbild" geschützt werden müsse. Das gebe es in München nicht. Was richtig und fürs hiesige Selbstbewusstsein eine gute Nachricht ist - ganz unabhängig davon, wie es in New York, Rio oder Rosenheim ausschaut.

Das Rathaus muss zwar darauf achten, dass die Altstadt optisch nicht vermüllt wird. Aber man kann es auch übertreiben, und ein generelles Verbot täte das. Um den Stadträten die Entscheidung zu erleichtern, hat das Planungsreferat auch noch ein Bild mitgeschickt. Es zeigt ein inzwischen zerstörtes Palais an der Kaufingerstraße: eine prächtige Fassade mit Werbung an wirklich jeder Fensterscheibe im ersten Stock und über dem Dach. Das Bild stammt von 1910. So schlimm steht's ums heutige München also nicht.

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