Kommentar:Keine Insel der Seligen

Die Stimmung beim Solidaritätskonzert auf dem Königsplatz war gut. Aber sie sollte nicht zu wohlig werden

Von Kassian Stroh

Ein bisschen Lokalpatriotismus war natürlich mit dabei. Die Berliner wollten ja auch ein Solidaritätskonzert für Flüchtlinge organisieren, das aber sagten sie bereits vor Wochen ab. Und in München? Wird ein solches binnen gerade mal 14 Tagen auf die Beine gestellt. Tja, Berlin. Aber das ist nur ein Randaspekt, und er erklärt nicht, warum das Bild, das München heuer abgibt, so viel Beachtung findet.

Hier gingen im Winter Zigtausende gegen Pegida auf die Straße, da war Pegida noch gar nicht da. Im Februar bildeten die Münchner eine Friedenskette durch die Altstadt. Im September packten hier Tausende Freiwillige mit an, als am Hauptbahnhof Züge voller Flüchtlinge einrollten. Keine andere Großstadt der Republik hat derart zu spüren bekommen, wie anstrengend das ist, und in dieser Stadt haben nun 24 000 Menschen ein Konzert zu einer Kundgebung für Offenheit und gegen Fremdenfeindlichkeit umfunktioniert.

Dass München dieses Bild abgibt, hat vor allem zwei Gründe: Hier gibt es tatsächlich noch funktionierende Strukturen, die Behörden sind nicht kaputtgespart worden - so wie etwa in Berlin, dessen Verwaltung bei der Betreuung von Flüchtlingen derzeit kollabiert. Zum zweiten gibt es hier ein über Jahre und Jahrzehnte aufgebautes Netzwerk vieler kleiner Initiativen und Gruppen, die sich gegen rechte Umtriebe stellen - und darüber hinaus auch das Münchner Bündnis für Toleranz, Demokratie und Rechtsstaat, an dem viele große gesellschaftliche Gruppen beteiligt sind. Es ist ein bleibendes Verdienst der abgewählten rot-grünen Stadtregierung, diese Initiativen immer, und nicht immer zur Freude der CSU, gefördert zu haben. Damit wurde der Nährboden geschaffen, auf dem das bunte München nun blühen kann.

Doch so sehr sich dieses München am Sonntag selbst auf die Schulter geklopft hat - es ist nur ein Teil der Stadt. Es gibt auch hier viele Ressentiments und Ängste, nur dass sie sich nicht in Massenveranstaltungen artikulieren. Und es gibt auch hier Pegida-Demos Montag für Montag, bei denen vor der Feldherrnhalle Neonazi-Reden geschwungen werden. Rechtsradikale nutzen Sitzungen von Bezirksausschüssen, um Stimmung zu machen. Homo- und xenophobe Übergriffe werden auch hier registriert - vom ganz alltäglichen, kleinteiligen Rassismus ganz zu schweigen.

So selig-heimelig die Stimmung am Königsplatz war: München ist keine Insel der Seligen. Tragen Ereignisse wie das Konzert dazu bei, aufmerksam zu bleiben, ist es gut. Fatal wäre es, sich in einer wohligen Wir-sind-gut-deshalb-ist-alles-gut-Stimmung zu suhlen. Das wäre Selbstbetrug.

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