Kommentar:Geliebt und geschmäht

Die Wohnqualität der Messestadt speist sich weniger aus der Architektur, sondern vielmehr aus der Lage an See und Landschaftspark

Von Renate Winkler-Schlang

Die Messestadt polarisiert. Bei vielen ist das Neubauviertel unten durch: Jetzt war ich mal dort. Wusste gar nicht, dass es so hässlich ist, bekommt man von Erst-Besuchern zu hören, die die glatten, weißen Bauten ablehnen. Mancher, der gerne hier lebt, weil die Nachbarn so nett sind und der Himmel so weit ist und der See so nah, muss sich bei der Nennung seines Wohnsitzes gefasst machen auf den abschätzigen Satz: Was, da lebst Du?

Anders sehen es viele Profis der Stadt. Sie haben einen ökologischen und architektonischen Musterstadtteil geplant und auch wirklich einiges dafür getan. Für viele Projekte gab es Wettbewerbe. Die Stadt hatte von vornherein eine Beratergruppe installiert mit der Stadtbaurätin persönlich an der Spitze, die den Bauherren und deren Architekten durchaus Tipps für Qualitätsvolles gab. Zudem werden als Anreiz Bauherrenpreise verteilt. Bewohner solch preisgekrönter Objekte können sich nicht retten vor Architektenscharen: Experten und Studenten pilgern in die Messestadt, weil da deren Vorbilder stehen. Und die Stadt druckt Eigenlob-Hochglanzbroschüren.

Wie aber passen das Bild der Laien und das der Profis zusammen? In einem ganz neuen Fall trifft die Meinung des bodenständigen Bezirksausschusses ("glatte Fünf") auf typische Architekten-Prosa ("Lebendiger Bienenstock"). Darf man die Diskrepanz subsumieren unter den weisen Satz, dass sich über Geschmack trefflich streiten lässt? Vielleicht. Das Gezänk über Architektur lässt jedenfalls viele irgendwie hilflos und resigniert zurück. Womöglich versteht man moderne Architektur grundsätzlich nicht, weil man tief im Herzen lieber in alten italienischen Städten Kaffee trinkt als vor den glatten Riem Arcaden? Das in der Messestadt Gebaute und Geplante wirkt für diese Romantiker einmal schlecht - und einmal noch schlechter. Sie zucken die Schultern: Ändern könne man ohnehin nichts. Nur abwarten, bis ein wenig Patina der Mode-Architektur schmeichelt oder Efeu sie zurankt. Denn ein neues Florenz oder Arezzo wird leider keiner bauen. Nicht einmal ein neues Sendling.

Immerhin eines ist sicher: Die meisten Messestädter leben gerne in ihrem Viertel. Die Nachbarn sind nett. Der Himmel ist weit. Und der See ist nah. Da ist es für manchen vielleicht sogar einfach zweitrangig, wie das Haus, in dem er wohnt, von außen wirkt.

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