Kommentar:Eine Folge des Wandels

Darf man aus der Heimat vertrieben werden, also aus einer Wohnung, in der man ein halbes Jahrhundert lang gelebt hat? Benötigt eine junge Familie ein ganzes Haus? Eine Klage auf Eigenbedarf zwingt das Gericht nun, genau darüber zu entscheiden

Von Thomas Kronewiter

Der Streit zwischen Mieter und Eigentümer an der Veterinärstraße ist nicht gekennzeichnet durch das wohlbekannte Schwarz und Weiß auf dem überhitzten Münchner Mietwohnungsmarkt. Es handelt sich nicht um die immer wieder geschilderte Geschichte vom bösen Investor und seinen Opfern, von der Vertreibung um der Gewinnmaximierung willen - zumindest nicht auf den ersten Blick. Und doch ist es eine auch für München ganz typische Begebenheit, die sich so oder ähnlich in nahezu jedem Viertel schon ereignet hat und immer wieder ereignen dürfte.

Gut situierter, wohlhabender Eigentümer schöpft seine Rechte aus. Betagter, wirtschaftlich wesentlich weniger potenter Mieter soll das Feld räumen. Soweit ist das Grundmuster bekannt, das oft genug in der allseits beklagten Vertreibung alteingesessener Bewohner resultiert - wenn letzterer Glück und einen kämpferischen rechtlichen Vertreter hat, vielleicht gegen eine Abfindung. Man kann den Fall aber auch anders erzählen: Junge Familie erfüllt sich den Lebenstraum vom Eigenheim und vertraut auf die Eigentumsgarantie des Grundgesetzes, dass sie sich diesen auch erfüllen darf.

Der Fall in der Veterinärstraße ist nicht einfach gelagert, was ebenso für die blanke juristische Komponente wie für den moralischen Aspekt gilt. Muss sich das Eigentümer-Paar dafür schämen, dass es aus der großzügigen Mietwohnung aus- und in die eigenen vier Wände einziehen will, wenn dafür Mieter weichen müssen? Spielen letztere völlig überzogen die Karte des alten kranken Künstlers, obwohl ihnen der Eigentümer - in zumindest einem Fall - weit entgegenkommt? Hält der Eigenbedarf den rechtlichen Vorgaben stand, oder wird er sich nach einigen Monaten oder wenigen Jahren als bloß vorgeschobenes Argument entpuppen? Dieser Verwertungsstrategie haben sich clevere und von moralischen Anfechtungen nicht beschwerte Gewinnmaximierer in der Vergangenheit durchaus immer wieder skrupellos bedient.

An der Veterinärstraße verbietet sich ein vorschnelles Urteil, und die Richter, die nun eine Entscheidung treffen sollen, sind nicht zu beneiden. Verlierer ist in jedem Fall die Stadtgesellschaft, deren Zusammensetzung sich längst nicht mehr nur schleichend ändert - und das auf mannigfache Weise.

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