Kommentar:Ein unerträgliches Bild

Die Argumentation der Richter lässt die nötige Sensibilität vermissen

Von Kassian Stroh

Was für ein schreckliches Bild: Da wird das NS-Dokumentationszentrum eröffnet und gegenüber stehen Neonazis und fordern, es abzureißen. Da reisen Holocaust-Überlebende an und nebenan wird gegen einen angeblichen "antideutschen Schuldkult" demonstriert. Da blicken aus aller Welt Menschen auf München, auf die Stadt, die die Nazis einst "Hauptstadt" ihrer Bewegung nannten, und sie sehen die Ewiggestrigen, einen so kleinen wie grässlichen Teil dieser Stadt. Das ist kaum zu ertragen. Doch der Bayerische Verwaltungsgerichtshof hat das am Donnerstag anders gesehen. Er hat das Demonstrationsverbot der Stadt gekippt und den Neonazis zur Eröffnung des Zentrum große Aufmerksamkeit ermöglicht.

Die Demonstrationsfreiheit ist ein hohes Gut, die Freiheit, sich mit anderen zusammenzutun und in aller Öffentlichkeit noch den größtmöglichen Blödsinn von sich zu geben. Doch sie hat ihre Grenzen. Sie endet an Gedenkstätten, wenn Neonazis Orte heimsuchen wollen, die einen besonderen Bezug zur Nazi-Vergangenheit haben und wenn anzunehmen ist, dass die Würde von Nazi-Opfern durch eine Demonstration verletzt wird. So hat es der Gesetzgeber aus guten Gründen beschlossen. Das ist eine im Einzelfall schwierige Abwägung, aber wann, wenn nicht an diesem 30. April vor der Eröffnungsfeier des NS-Dokuzentrums träfen diese Bedingungen zu? Am Todestag Adolf Hitlers, am Jahrestag der Befreiung Münchens, inmitten der ehemaligen Parteibauten der Nazis? Die Argumentation der Richter, die das anders bewerten, lässt die nötige Sensibilität vermissen.

An diesem Donnerstag hat München einen doppelten Tag der Befreiung gefeiert: Weil vor 70 Jahren amerikanische Soldaten in die Stadt einrückten und weil sich München nun mit dem neuen Zentrum ernsthaft und gut sichtbar seiner braunen Vergangenheit stellt - nachdem es sich viel zu lange schwer getan hat damit. Das bleibt ein heller Tag für die Stadt, auch wenn der Verwaltungsgerichtshof einen Schatten darauf hat fallen lassen.

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